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Inhalt
Drohende Schatten über Manuela
Wer bist du, kleine Nicoletta?
Felicia Lorenzen blickte nicht von ihrem Buch auf, als sich die Tür ihres Zimmers öffnete. Sie war so versunken in ihre Lektüre, daß sie nicht einmal bemerkte, daß jemand eintrat.
»Dachte ich es mir doch«, sagte ihre Schwester Annette spöttisch. »Der Bücherwurm liest lieber, anstatt den herrlichen Frühlingstag zu genießen.«
Das zierliche Mädchen errötete.
»Es ist so spannend«, erwiderte sie leise. »Ein richtiges Märchen in Fortsetzungen. An einem Frühlingstag begann es«, fügte sie verträumt hin zu.
»Zeig her«, meinte Annette ungehalten. »Ich muß mich wohl doch mal darum kümmern, was du so liest.« Und schon hatte sie mit einer heftigen Bewegung das kleine Buch an sich gerissen.
»Darf denn so was wahr sein«, rief sie lachend. »Das Amulett der Fatima Radames. Wunderbare Geschichten um die Zaubermacht eines Amuletts, die sich wirklich zugetragen haben.«
Jedes ihrer Worte klang betont sarkastisch, und ihr Gesichtsausdruck verriet, daß sie sich über ihre jüngere Schwester lustig machte.
»Und du glaubst womöglich auch noch an solche Ammenmärchen«, fuhr sie fort. »Du Träumerin, was meinst du, wie das Leben wirklich ist? Es wird höchste Zeit, daß du es mal merkst.«
»Wenn es das ist, was du unter Leben verstehst, möchte ich es lieber gar nicht kennenlernen«, widersprach Felicia mit ungewohnter Aggressivität.
Annette verschlug es die Stimme. »Was willst du damit sagen?« fragte sie scharf.
»Daß ich es abscheulich finde, von Party zu Party zu jagen, mit den Männern zu flirten und nichts anderes im Sinn zu haben als Äußerlichkeiten. Du warst doch früher nicht so, Annette, als die Eltern noch lebten.«
Annettes Gesicht verschloß sich. Felicia hatte da einen wunden Punkt berührt. Sie war fünf Jahre älter als ihre Schwester, und sie hatte den Tod ihrer Eltern wohl noch schmerzhafter empfunden als die Jüngere, die eben erst vierzehn Jahre gewesen war, als das Schreckliche geschah. Was Felicia heute, mit neunzehn Jahren, noch nicht begreifen konnte, war die Tatsache, daß sich Annette in dieses Leben, das ihr jetzt vorgeworfen wurde, geflüchtet hatte, um diesen Schmerz zu verwinden. Doch irgendwie wurde es ihr in diesen Minuten bewußt, wie wenig es ihr gelang.
Sie schob diesen Gedanken rasch beiseite. Ein arrogantes Lächeln legte sich um ihren Mund.
»Nun, wenn du meinst, dann werde ich mich einmal der Lektüre deines Buches widmen. Vielleicht bekomme ich dadurch neue Erkenntnisse, du Klugschnack«, sagte sie und verschwand.
Felicia blickte ihr nach. Ein nachdenklicher Ausdruck trat in ihre Augen. Sie wurde manchmal einfach nicht klug aus ihrer Schwester, dabei war sie ihr sehr zugetan. Sie konnte es zwar nicht so zeigen, aber der Gedanke, daß Annette unglücklich werden könnte, daß sie sich an einen solchen Mann wie diesen Bob Webster binden würde, stimmte sie traurig. Hätte sie nicht einmal ganz offen mit ihr darüber sprechen sollen? Warum war Annette nur so schnell gegangen?
Felicia holte ihren Mantel und ging hinaus in den strahlenden Frühlingstag.
Wenn es ihr doch auch einmal widerfahren könnte, daß ihr so ein Amulett geschenkt würde. Dann könnte sie Annette vielleicht davon überzeugen, daß sie auf dem falschen Weg war, und daß sie ihre Zuneigung einem Unwürdigen schenkte!
Während sie noch darüber nachdachte, sah sie ihr Wunschbild in Lebensgröße auf sich zukommen. Groß, schlank und sehr gut aussehend.
»O Felicia«, sagte eine überraschte Männerstimme, »man sieht Sie einmal außerhalb des Hauses?«
»Guten Tag, Dr. Bergström«, erwiderte sie scheu und kämpfte vergeblich gegen ihre Verwirrung an. »Wollen Sie zu uns?«
Er sah über sie hinweg, als sei sie gar nicht da. Wenigstens empfand sie dies so.
»Ich wollte Annette einen Besuch machen«, erklärte er. »Ist sie daheim?«
Felicia nickte. Sprechen konnte sie nicht. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Annette würde sich nicht einmal freuen. Sie hatte ja jetzt diesen Bob Webster, diesen Playboy, der Felicia in tiefster Seele zuwider war. Ein Dr. Holger Berg-ström war Annette viel zu solide.
Sie mußte sich zwingen, ihm nicht nachzublicken, als er nach einem kurzen Kopfnicken schnell weitereilte. Bemerkt hatte er es bestimmt nicht. Seine Gedanken waren schon bei Annette.
*
Mit spöttischem Lächeln hatte Annette die ersten Zeilen des schmalen Bändchens gelesen, aber dann wurde sie plötzlich auch gefesselt.
Das waren ja Wunderdinge, die der Erzähler von diesem Amulett berichtete. Wenn es das Amulett wirklich gab, eröffneten sich mit seinem Besitz ungeahnte Möglichkeiten. Aber auch die Tatsache,
daß es von unschätzbarem Wert sein mußte und ein herrliches Schmuckstück dazu, versetzte Annette in Erregung und erweckte in ihr den Wunsch, dieses Amulett um jeden Preis zu erwerben.
Sie gab sich nicht wie Felicia Träumen hin, sondern war sofort bereit, den Dingen auf den Grund zu gehen.
In diese Gedanken hinein wurde ihr der Besuch von Dr. Bergström gemeldet. Der anhängliche Holger! Eigentlich sollte sie ein wenig netter zu ihm sein. Man wußte schließlich nie, ob man ihn nicht mal brauchen konnte. Bob war manchmal unausstehlich, wenn andere hübsche Mädchen in der Nähe waren.
Annette behandelte Holger Bergström heute so liebenswürdig wie schon lange nicht mehr, und ihn beglückte dies ganz offensichtlich.
Heute erwachte neue Hoffnung in ihm, zumal sie sogar einwilligte, mit ihm das Konzert zu besuchen, zu dem er sie einlud.
Ein frohes Lächeln erhellte sein schmales, immer ein wenig melancholisch wirkendes Gesicht.
»Ich freue mich, Annette«, sagte er. »Es wird bestimmt ein Genuß. Magnus von Thalau dirigiert.«
Annette stutzte. Magnus von Thalau! Zwei Jahre war es her, daß sie ihn kennengelernt hatte. Auf einem Empfang bei Konsul von Walther hatte sie sich mit ihm unterhalten und war fasziniert von diesem attraktiven Mann, der zu ihrem Bedauern jedoch sehr zurückhaltend blieb.
»Ist er wieder im Lande?« fragte sie.
»Er wird sogar Chefdirigent an unserer Oper«, erklärte Holger Bergström.
Das waren erfreuliche Aspekte für Annette. Bob Webster wurde sofort aufgegeben, und für Holger Bergström empfand sie nur eine gewisse Dankbarkeit, weil er ihr zu dem Besuch des Konzertes verhalf. In der Vorfreude auf den gemeinsamen Abend merkte Holger gar nicht, daß ihre Gedanken schon abgeirrt waren, und daß sie ihn hinauskomplimentierte.
Für diesen Abend wollte sie sich natürlich besonders vorteilhaft herrichten, denn es konnte ja sein, daß Magnus von Thalau ihr in den