Max Weber

Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen


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bis zu dessen höfischen und Provinzialbeamten, beanspruchten und erreichten nur Sippen schon herrschender politischer Gewalthaber und ihrer Gefolgschaft. Vor allem die kaiserliche Sippe selbst. Ebenso aber die Sippen derjenigen Fürsten, welche sich ihm rechtzeitig unterworfen und im vollen oder teilweisen Besitz ihrer Herrschaft belassen waren[86]. Und endlich die Sippen aller derjenigen, die sich als Helden und Vertrauensleute ausgezeichnet hatten. Das Charisma haftete jedenfalls längst nicht mehr am einzelnen streng persönlich, sondern – wie wir dies als Typus später bei Erörterung der indischen Verhältnisse näher kennen lernen werden–an seiner Sippe. Nicht der durch freie Kommendation in die Vasallität und Investitur erlangte Lehensbesitz schuf den Stand, sondern – im Prinzip wenigstens – umgekehrt: die Zugehörigkeit zu jenen adligen Sippen qualifizierte, je nach dem herkömmlichen Rang der Familie, zu einem Amtslehen bestimmten Ranges. Minister- und selbst bestimmte Gesandtenposten finden wir im chinesischen feudalen Mittelalter fest in den Händen bestimmter Familien und auch Konfuzius war vornehm, weil er von einer Herrscherfamilie abstammte. Die auch in den Inschriften späterer Zeiten hervortretenden »großen Familien« waren diese charismatischen Sippen, die ihre Stellung ökonomisch vorwiegend aus politisch bedingten Einkünften, daneben aus erblich zusammengehaltenem Grundbesitz bestritten. Der Gegensatz gegen den Okzident war natürlich in mancher Hinsicht relativ, aber in seiner Bedeutsamkeit immerhin nicht gering. Im Okzident war die Erblichkeit der Lehen erst Entwicklungsprodukt. Und vollends die ständische Scheidung der Lehensinhaber, je nachdem sie Gerichtsbann erhalten hatten oder nicht, die Scheidung der beneficia nach der Art des Dienstes, endlich die ständische Scheidung des Ritterstandes von anderen, zuletzt auch vom städtischen Patriziat, vollzog sich innerhalb einer schon fest durch Appropriation des Bodens und (weitgehend) aller möglichen Verkehrserwerbschancen gegliederten Gesellschaft. Die erbcharismatische Stellung der (in vielem noch sehr hypothetischen) »Dynasten« im frühesten deutschen Mittelalter würde den chinesischen Verhältnissen am ehesten entsprechen. Aber in den Kerngebieten des westlichen Feudalismus war unter dem Umsturz der traditionalen Rangordnungen durch die Eroberung und Wanderung offenbar das feste Gefüge der Sippen stark gelockert, und die Kriegsnotwendigkeiten erzwangen gebieterisch die Aufnahme jedes tüchtigen, militärisch geschulten, Mannes in die Ritterschaft, also: die Zulassung jedes ritterlich Lebenden zur Ritterwürde. Erst die weitere Entwicklung führte dann zum Erbcharisma, schließlich zur »Ahnenprobe«. In China war dagegen das Erbcharisma der Sippe – in der für uns zugänglichen Zeit – stets das Primäre (mindestens der Theorie nach[87]; erfolgreiche Parvenus hat es immer gegeben). Nicht etwa (wie später im Okzident) die Erblichkeit des konkreten Lehens also: –die vielmehr als grober Mißbrauch galt –, sondern der durch den ererbten Sippenrang gegebene Anspruch auf ein Lehen bestimmten Ranges. Daß die Tschou-Dynastie die fünf Adelsgrade »eingerichtet« und dann das Prinzip der Vergebung von Lehen nach dem Adelsrang eingeführt haben soll, ist wohl Legende; daß aber damals die hohen Vasallen (Tschou-Lou, die »Fürsten«) nur aus Nachkommen alter Herrscher ausgelesen wurden, ist glaubhaft[88]. Das entsprach japanischen Frühzuständen und war: »Geschlechterstaat«. Als die Wei (nach dem Sturze der Han-Dynastie) ihre Hauptstadt nach Lo yang verlegten, führten sie nach der Annalistik die »Aristokratie« mit sich. Diese bestand aus ihrer eignen Sippe und aus alten erbcharismatischen Sippen. Ursprünglich also natürlich: Stammeshäuptlingsfamilien. Damals aber schon: Nachkommen von Amtslehen- und Amtspfründeninhabern. Und nun verteilten sie – noch damals! – den »Rang« (und dementsprechend den Anspruch auf Pfründen) je nach dem Amt, das einer der Vorfahren der Familie gehabt hatte (ganz das Prinzip der römischen Nobilität und des russischen Mjestnitschestwe)[89]. Ganz ebenso wie in der Teilstaatenzeit die höchsten Aemter fest in den Händen bestimmter Sippen (hohen erbcharismatischen Ranges) sich befanden[90]. Die Entstehung eines eigentlichen »Hofadels« tritt erst in der Zeit Schi hoang Ti's (von 221 vor Chr. an) gleichzeitig mit dem Sturz des Feudalismus auf: damals zuerst wird eine Rang verleihung in der Annalistik erwähnt[91]. Und da gleichzeitig die finanziellen Notwendigkeiten erstmalig den Aemterkauf – also: die Auslese der Beamten nach dem Geldbesitz – erzwangen, verfiel der Erbcharismatismus trotz prinzipieller Aufrechterhaltung der Rangunterschiede. Noch 1399 findet sich die Degradation zum »Plebejer« (ming) erwähnt[92], allerdings damals unter ganz anderen Verhältnissen und in anderem Sinne[93]. In der Feudalzeit entsprach der erbcharismatischen Rangabstufung eine Ordnung der Lehen, nach Beseitigung der Subinfeudation und Uebergang zur Beamtenverwaltung: der Pfründen, die bald fest klassifiziert wurden: unter den Tsin und, nach ihrem Muster, den Han, in 16 Klassen von Geld- und Reisrenten fest abgestuft[94]. Das bedeutete schon die volle Beseitigung des Feudalismus. Den Uebergang stellte der Zustand dar[95]: daß die Aemter in zwei dem Range nach verschiedene Kategorien geschieden waren: koan nei heu: Land pfründen, und lie heu: Renten pfründen, die auf die Abgaben bestimmter Ortschaften angewiesen waren. Die ersteren waren die Nachfolger der alten Lehen der reinen Feudalzeit. Diese bedeuteten natürlich praktisch sehr weitgehende herrschaftliche Rechte über die Bauern. Sie bestanden so lange, als nicht das Ritterheer durch das fürstliche, später kaiserliche, aus Bauern ausgehobene und disziplinierte stehende Heer ersetzt war. Aeußerliche Aehnlichkeit des alten Feudalismus mit dem okzidentalen bestand also, trotz der innerlichen Unterschiede, in weitgehendem Maße. Insbesondere waren die nicht (ökonomisch und durch Waffenübung) Wehrfähigen natürlich von jeher in China ebenso von allen politischen Rechten entblößt wie überall sonst. Und zwar dies sicher schon vor dem Feudalismus. Daß angeblich der Fürst in der Tschou-Zeit das »Volk« vor Kriegen und bei Kapitalstrafen befragt, das heißt: die wehrhaften Sippen, entsprach den bei Bestand eines Heerbanns allgemein herrschenden Zuständen. Vermutlich ist durch das Aufkommen der Kriegswagen die alte Heeresverfassung gesprengt oder obsolet geworden und der erbcharismatische »Feudalismus« zuerst entstanden, der dann auf die politischen Aemter übergriff. Das älteste schon zitierte Dokument über die Verwaltungsorganisation: das Tschou-Li[96], zeigt bereits ein stark schematisch konstruiertes[97], aber immerhin auf bureaukratisch geleiteter Bewässerung, ebenso geleiteten Spezialkulturen (Seide), Rekrutierungslisten, Statistik, Magazinen ruhendes, sehr rational durch Beamte geleitetes Staatswesen, dessen Realität freilich recht problematisch erscheinen muß, da diese Rationalisierung der Verwaltung auf der anderen Seite, nach der Annalistik, erst als Produkt der Konkurrenz der feudalen Teilstaaten auftrat[98]. Immerhin mag man glauben, daß der Feudalzeit eine patriarchale Epoche nach Art des »Alten Reichs« in Aegypten vorausging[99]. Denn hier wie dort ist an dem sehr hohen Alter der – aus der Königsklientel erwachsenen – Wasser-und Baubureaukratie kein Zweifel möglich. Ihre Existenz temperierte von Anfang an den feudalen Charakter der Teilstaatenepoche und lenkte das Denken der Literatenschicht – wie wir sehen werden – immer wieder in die Bahn des verwaltungstechnischen und utilitarischen Bureaukratismus. – Aber für mehr als ein halbes Jahrtausend hat jedenfalls der politische Feudalismus geherrscht.

      Eine Periode faktisch so gut wie ganz unabhängiger Lehenstaaten füllte die Zeit vom 9.-3. Jahrhundert vor Chr. aus. Von den in Kürze schon oben berührten Zuständen dieses Feudalzeitalters gibt die Annalistik[100] ein immerhin leidlich klares Bild. Der Kaiser war Oberlehensherr; vor ihm stiegen die Vasallen vom Wagen; auf Verleihung durch ihn allein konnten letztlich »rechtmäßige« politische Besitztitel zurück geführt werden. Er erhielt von den Vasallenfürsten Geschenke, deren Freiwilligkeit ihn mit wachsender Ohnmacht in peinliche Abhängigkeit brachte. Er verlieh fürstlichen Rang in Abstufungen. Die Untervasallen hatten keinen direkten Verkehr mit ihm[101]. Die Entstehung der Lehen aus der Uebergabe einer Burg zur Bewachung, die dann zur Verleihung wurde, ist mehrfach (so für die Entstehung