Леопольд фон Захер-Мазох

Jüdisches Leben in Wort und Bild


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mit dem Deutel (Stäbchen), vergeblich versprach die hübsche, dunkeläugige Rebezin (Frau des Lehrers) dem Chederjüngel Kuchen und Obst. Die Hühner, welche in dem Schulzimmer umherliefen und gackerten, beschäftigten ihn mehr als die Hieroglyphen, welche er entziffern sollte. Da sagte der Melamed: »Höre, Herz, sobald Du Aleph und Beth kannst, wird Dir ein Engel von der Decke einen Groschen herabwerfen.«

      Das verstand der Bocher (Junge) und blickte nun mit Eifer statt nach dem Buche, nach der Decke der Stube und erwartete den Groschen mit offenem Munde. Der Melamed griff nun zu einem drastischeren Mittel, er griff in die grosse Dose, die auf dem Tisch stand, schob dem kleinen Herz eine Prise Schnupftabak in die Nase und jagte ihn unter den Tisch, wo schon zwei andere Jüngel dieselbe Strafe erduldeten. Jedesmal, wenn unten ein verzweifeltes Niesen ertönte, rief der Melamed: Zur Gesundheit! und die ganze Cheder rief mit ihm: zur Gesundheit!

      Doch Herz begriff noch immer nichts. Es währte lange Zeit, ehe er das Alphabet erlernt hatte und der Melamed erklärte eines Tages, dass er keinen Kopf zum Lernen habe und schickte ihn aus der Schule fort.

      So kam es, dass Herz im Geschäft seines Vaters mitzuhelfen begann, dass der Zadik seine mächtige Hand von ihm zurückzog und dass er ein Prosteck wurde.

      Als echter Prosteck nahm er ein Weib ohne Mitgift, setzte ein Dutzend Kinder in die Welt und kämpfte bei allem Fleiss, allem Geschäftsgeist, den er besass, sein Leben lang mit Noth und Elend.

      Es kümmerte ihn wenig, dass die Chassidim ihn einen Chamer (Esel) und einen Schlemil (ungeschickten, unglücklichen Menschen) nannten, wusste er sich doch keines Chilul hasthem (Vergehen gegen Gott oder das Gesetz) schuldig, konnte er denn dafür, dass sich Riceh (Teufel) und Dalles (Elend) bei ihm ein Stelldichein gegeben hatten?

      Er wohnte mit seiner Familie in einem kleinen Hause, dessen Mauern von aussen mit Balken gestützt waren. Eine grosse Stube war durch einen Kreidestrich abgetheilt, wie die Staaten auf der Karte durch farbige Grenzen von einander geschieden sind. Auf einer Seite wohnte Herz mit seiner Frau Jüdke, seiner erwachsenen Tochter Riffke und seinen anderen Kindern, jenseits des Striches hauste der Schneider Saduel Pjetruschka mit seiner alten Mutter, seinem Sohne Gideon und seinem Schwager, dem Talmudisten Reb Isaschar.

      Herz ertrug alles geduldig, die Grenzstreitigkeiten mit Saduel, den Rauch, mit dem der Ofen die Stube füllte, den Regen, der zu Zeiten durch die Decke herabtropfte, die kärgliche Nahrung, den Mangel an Kleidern, alles, nur eines schmerzte ihn, dass er für seine Riffke, die so hübsch und klug war, keinen Mann fand und dass sie immer so »verschmuddelt« (vernachlässigt) herumging.

      Er hätte sie so gern wie eine Prinzessin oder doch mindestens wie eine Schlachtzizenfrau angezogen.

      Doch Riffke verlor deshalb ihre gute Laune nicht. Sie sang den ganzen Tag, denn sie konnte nicht arbeiten ohne zu singen und sie arbeitete den ganzen Tag. Während sie ihre grobe Wäsche nähte, sass jenseits der Grenze Gideon auf seinem Tisch da wie ein Pascha mit gekreuzten Beinen und liess gleichfalls die Nadel fliegen, nur dass es prächtige Stoffe waren, Seide, Sammt, türkische Gewebe, die er zu Kunstwerken der Toilette vereinte.

      Allmählig begannen die jungen Leute ein Wort, eine Phrase zu wechseln, und endlich fing Gideon an mit Riffke zu wetteifern. Sobald sie ihren Gesang unterbrach, begann er zu erzählen und gab als wahre Geschichten zum Besten, was er in den abgegriffenen Bänden der Leihbibliothek zusammengelesen hatte, heute den Grafen von Monte-Christo, morgen die Kapitänstochter, übermorgen die Geisterseher.

      Und jedesmal, wenn irgend eine reiche Robe, eine prächtige Kazabaika, ein königlicher Mantel fertig war, lud er Riffke ein, das Kunstwerk zu probiren, und dann hoben alle die Köpfe um sie zu bewundern, und sogar Reb Isaschar vergass für einen Augenblick seinen Talmud.

      »Wissen Sie etwas, Herz?« sagte dieser einmal plötzlich in der Nacht, als Alle bereits zu Bette waren.

      »Was? Ich weiss nichts.«

      »Sie müssen versuchen Ihr Glück, um zu bekommen eine Mitgift für Ihre Riffke.«

      »Kann ich dafür,« rief Herz, »dass ich habe Unglück in Allem? Wenn Jemand etwas Dummes thut in Sadagora, muss ich es gewesen sein, und thut Jemand etwas Schlechtes, ist es wieder Herz Maisel, der Bösewicht, gewesen. Soll ich denn das Kaporehändl sein für alle?«

      »Sie haben recht, Herz,« gab der Alte zur Antwort, »und so will ich Ihnen geben einen guten Rath. Heute ist die Hoschana-Raba-Nacht, wo ein Jeder kann sein Schicksal befragen. Stehen Sie auf, wir wollen suchen drei Nummern im Talmud. Geben Sie mir das Buch.«

      Herz brachte das Buch, und Reb Isaschar, ohne sein elendes Lager zu verlassen, die Augen geschlossen, schlug es auf.

      »Sehen Sie die Seite nach.«

      »Es ist einunddreissig.«

      »Schreiben Sie einunddreissig.« Wieder schlug der Alte den Talmud auf.

      »Und jetzt?«

      »Sieben.«

      »Schreiben Sie sieben, und jetzt?«

      »Fünfundachtzig.«

      »Schreiben Sie fünfundachtzig! Jetzt haben Sie drei Nummern 31, 7, 85. Diese Nummern setzen Sie morgen in die Lotterie, secco terno und setzen zehn Gulden darauf.«

      »Wo hab' ich zehn Gulden?«

      »Sie müssen leihen zehn Gulden, Herz, es muss geliehenes Geld sein, das bringt Glück.«

      Herz Maisel ging am Morgen über Land, brachte der Edelfrau Bistonizka verschiedene Gegenstände, die sie bestellt hatte und bat sie ihm zehn Gulden zu leihen. Mit diesen zehn Gulden ging er in die Lotteriekollektion und setzte die drei Nummern, die ihm der Talmud gegeben. Dann ging er auf den Friedhof auf das Grab seines Vaters, um zu beten.

      Am nächsten Sonntag, als beide Familien gerade den Mittagstisch deckten, kam Reb Isaschar feierlich herein, die Zobelmütze kühn wie ein Kosak auf dem Kopfe. Sein gutes Gesicht strahlte wie eine Sonne aus Lebkuchen. »Bessure towe« (Gute Nachricht!) rief er, »Bessure towe!«

      »Was ist geschehen?« fragten alle zugleich.

      »Welch' ein Massel! (Glück!) Soll noch einer sagen, dass der Herz ist ein Schlemil.«

      »Reden Sie doch, Reb Isaschar.«

      »Ich rede ja immerfort. Also – aber setzen Sie sich Herz, sonst fallen Sie um.«

      Herz setzte sich.

      »Hören Sie, Herz. Bessure towe! Sie haben gewonnen, Herz! Das grosse Terno haben Sie gemacht, Herz, 48,000 Gulden haben Sie gewonnen, Herz!«

      Herz blieb wie versteinert auf seinem Stuhle sitzen.

      »Hören Sie, Herz, 48,000 Gulden!«

      Das erste Wort, welches Herz aussprach, war »Riffke!«, dann fügte er nach einiger Zeit hinzu: »Jetzt sollst Du haben einen Mann, mein Kind, jeden, den Du willst.«

      Dann stand er auf, ging langsam bis zu der Wand und, das Gesicht gegen diese gekehrt, begann er laut zu beten und zu schluchzen.

      Als man sich etwas von dem Schrecken erholt hatte, denn eine grosse Freude zermalmt uns ebenso wie ein grosses Unglück, sagte Herz: »Nun, vor allem will ich geben Masser und dann erst soll Riffke einen Mann haben.«

      »Wenn Sie wollen geben Masser«, sagte Reb Isaschar, »das macht 4800 Gulden nach dem Gesetz.«

      »So will ich geben die 4800 Gulden dem Saduel Pjetruschka«, sagte Herz, »es ist besser zu helfen einem braven Menschen, als vielen geben eine Kleinigkeit, das kann keinem dienen.«

      Saduel sah Herz erstaunt an, dann nahm er ihn um den Hals und küsste ihn.

      »Danken Sie mir nicht«, sagte Herz, »es geschieht um meinetwillen. Und Riffke? Hast Du etwa schon einen Bocher gefunden, der Dir gefällt? Sprich, mein Kind, Du sollst ihn haben.«

      »So will ich Gideon«, sagte sie rasch, »wenn er mich nämlich will.«

      Gideon