Marco Frenschkowski

Die Geheimbünde


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neuen, als »geheim« und »untergrundhaft« empfundenen neuen Religionen und ihrer (gelegentlichen) Affinität zu »dunklen« Aspekten von Kultur. Aus dieser Aporie könnte sich erklären, warum Tolkien diesen Text trotz der genannten drei Anläufe nicht weiterschreiben konnte.

      Unser kurzer exemplarischer Rundblick über Literatur und Film einschließlich der Populärkultur sensibilisiert uns für das imaginative Potential des Themas und seine bleibende gesellschaftliche Faszination. Erklären wir an dieser Stelle anhangsweise noch rasch die Herkunft der gehobenen, humanistendeutschen Redewendung »sub rosa« (eigentlich lateinisch »unter der Rose«), der seit alters die verborgenen Treffen von Geheimbünden und überhaupt alles bezeichnet, was im geheimen geschieht. Sie soll auf einen römischen Mythos zurückgehen: Cupido habe dem Gott Harpokrates (der mit einem Finger über dem Mund dargestellt und mit dem Schweigegebot der Mysterien zusammengebracht wurde) Rosen geschickt mit der Bitte, die Liebesaffären seiner Mutter Venus unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu wahren. Diese Geschichte deutet den römischen Brauch, Rosen über der Tür eines nichtöffentlichen Treffens aufzuhängen. Die Humanisten übernahmen dies als Redensart und übertrugen es auf diverse Lebensbereiche. »Was wir kosen, bleibt unter den Rosen«, schreibt Sebastian Brandt im »Narrenschiff« (1494), und später bei Goethe finden sich die Verse: »Dichter lieben nicht zu schweigen, wollen sich der Menge zeigen, Lob und Tadel muss ja sein! Niemand beichtet gern in Prosa, doch vertrauen wir oft sub rosa in der Musen stillem Hain.« (»An die Günstigen«, Hamburger Ausgabe 1, 244). Über katholischen Beichtstühlen werden seit der Renaissance gerne geschnitzte Rosen dargestellt, ein Hinweis auf das strikte, in der Katholischen Kirche unverbrüchlich geltende Beichtgeheimnis.

      John R. R. Tolkien, The History of Middle-Earth XII. The Peoples of Middle-Earth. Ed. by Christopher Tolkien. Boston u. New York 1996, 409-421 * Ders., Letters. A Selection by Humphrey Carpenter. London 1981, 344 u. 419 * Marco Frenschkowski, Leben wir in Mittelerde? Religionswissenschaftliche Beobachtungen zu Tolkiens »The Lord of the Rings«. In: Thomas Le Blanc, Bettina Twrsnick (Hrg.), Das Dritte Zeitalter. J.R.R. Tolkiens »Herr der Ringe«. Tagungsband 2005. Schriftenreihe und Materialien der Phantastischen Bibliothek Wetzlar 92. Wetzlar 2006, 240-264 * Über Dan Browns Romane und ihren Gehalt an Realität und Fiktion s. mit weiterführenden Literaturangaben Marco Frenschkowski, Mysterien des Urchristentums. Wiesbaden 2007, 41-99. 229-244 u.ö.

      Last not least wäre es auch möglich, eine Typologie realer Geheimbünde unter rein soziologischen Kategorien zu entwerfen. Die Spannbreite wäre freilich sehr groß, selbst wenn wir nur Bünde des 20. Jhdts. und moderner Sozietäten betrachteten und außer acht lassen, was Antike, Mittelalter und archaische Gesellschaften zum Thema beitragen. Manche Vereinigungen haben einen ausgesprochenen Oberschichtscharakter, andere finden ihre Mitglieder in eher unteren schlichteren Verhältnissen. Die kleinen okkulten Gesellschaften im Deutschland der Jahre 1900-1930 trafen sich oft im Hinterzimmer von Kneipen, in Wohnzimmern oder sonst privaten Verhältnissen, während die gleichzeitigen okkulten Vereinigungen Großbritanniens sich auf höheren sozialen Niveaus bewegten und of über eigene Häuser verfügten. Gesellschaften wie die Freimaurer besitzen seit langem eine völlig andere gesellschaftliche Stellung und auch ein anderes Potential als die zahlreichen kleinen Bünde, die oft nur wenige Jahre bestehen. Manche »Geheimgesellschaft« war und ist in Wahrheit ein Lesezirkel und Debattierclub, der sich selbst einen mysteriösen Anstrich gibt. Die Frage, aus welcher Klientel sich ein Geheimbund nährt, ist auch ohne sozialempirische Untersuchungen (die selten möglich sind) oft überraschend schnell zu beantworten, wenn Mitgliederlisten oder sonst Rahmenfakten bekannt sind. Indizien sind z.B. auch Werbeträger und Kommunikationswege eines Bundes, die manchmal besser bekannt sind als die Namen der Mitglieder. Dabei sind die nationalen Unterschiede erheblich. Die deutsche Okkultszene des frühen 20. Jhdts. hat sich z.B. in ihrem Bildungsniveau im Allgemeinen deutlich unterhalb der britischen bewegt. Das gesellschaftliche Ansehen, das realen Bünden wie den Freimaurern entgegengebracht wird, unterscheidet sich deutlich und entsprechend ist die Attraktivität eines Bundes für Menschen von unterschiedlichem Status und Hintergrund sehr unterschiedlich. Wir werden an der einen oder anderen Stelle Hinweise zu diesen soziologischen Gesichtspunkten geben, ohne sie befriedigend vertiefen zu können. Eine umfassende Aufarbeitung soziologischer Aspekte zum Thema existiert bisher nur für Teilbereiche.

      Wer sich für die vielen Service Clubs, Industrie-, Wirtschafts- und Business Clubs wie LIONS International (seit 1917) oder die Rotary Clubs (seit 1905, beide gegründet in Chicago), die heutigen Logen und logenähnlichen Vereinigungen, die studentischen Verbindungen bzw. Korporationen, die modernen Ritterorden und logenähnlichen Systeme, Vereine wie Schlaraffia etc. und ihre Bedeutung v.a. im deutschen Sprachraum sowie ihre jeweiligen Hintergründe, Aufnahmeregeln und Zielrichtungen interessiert, sei auf das faktenreiche Buch von Edwin A. Biedermann, Logen, Clubs und Bruderschaften. Düsseldorf 2004 (Neuausgabe angekündigt) hingewiesen, das sich vor allem der nachprüfbaren Beschreibung möglichst vieler einschlägiger Vereinigungen widmet. Es grenzt thematisch vielfach an unsere Fragen an, und zeigt sehr schön, dass auch ganz »säkulare« Vereinigungen ohne irgendwelche religiösen, okkulten oder auch politischen Abzweckungen in einem gewissen Umfang Nichtöffentlichkeit, Diskretion und Geheimhaltung praktizieren. Diese sind also offenbar menschliche Grundbedürfnisse in unserem allgemeinen Vergesellschaftungsstreben.

      2. Männerbünde, Frauenbünde und Einweihungsriten in archaischen Gesellschaften

      Zur Begrifflichkeit und Typologie

      Geheimbünde haben als eine Struktur religiösen und gesellschaftlichen Lebens eine Geschichte, die weit über die Mysterien der Antike zurückreicht. Dazu ist es erforderlich, einige Bemerkungen zur Begrifflichkeit und den Erscheinungsformen voranzuschicken. Von »Männerbünden« sprach zuerst 1902 der Völkerkundler Heinrich Schurtz im Blick auf Strukturen, die er in Ostafrika vorfand. Andere Begriffe in unserem Umfeld haben eine längere Geschichte, so diejenigen aus den Mysterien oder überhaupt aus der Antike. Die Rosenkreuzer hießen in den ältesten Texten einfach eine »Fraternität«, eine Bruderschaft, während manche reale Geheimgesellschaft sich als Orden (nach dem Vorbild der katholischen Orden) bezeichnet hat. Alle aus unserer Kultur genommenen Begriffe sind freilich als Beschreibungen fremder Gesellschaften ideologiegefährdet, insofern sie oft eurozentrische und moderne Voraussetzungen implizieren. Dieses Problem stand in der zweiten Hälfte des 20. Jhdts. im Mittelpunkt ethnologischer Arbeit, wo immer man über die Grenzen Europas und Nordamerikas hinausschauen wollte. Z.B. ist heftig diskutiert worden, inwiefern die europäischen Begriffe »Religion« und »Magie« geeignet sind, abgrenzbare Teilbereiche archaischer außereuropäischer Gesellschaften in den Blick zu bekommen, ohne sie zu verzeichnen. Das gilt nun auch für die aneinander angrenzenden Phänomene »Geheimbünde« und »Initiationsriten« in Hinsicht auf ihre ethnologischen Aspekte. Aber die ethnologische Forschung – die sich in Ansätzen bereits im 19. Jhdt. aus kolonialen missionstheologischen Leitinteressen emanzipierte – hat doch im Laufe der Jahre Strukturen in archaischen (schriftlosen) und vormodernen Gesellschaften beschrieben, die den kulturgeschichtlichen Hintergrund des Themas »Geheimbünde« bilden und daher hier zumindest knapp erwähnt werden müssen.

      Zahlreiche Gesellschaften kennen Bünde von Männern, Frauen oder (seltener) beiden Geschlechtern, die Geheimhaltung insbesondere ihrer Initiationsrituale, aber auch ihrer Symbole, ihrer Masken, ihres Erzählgutes praktizieren. Dabei ist zwischen Bünden zu unterscheiden, die größere Teile der Bevölkerung umfassen, also z.B. Männerbünden, welche praktisch alle – kaum je wirklich alle – Männer eines Stammes zu Mitgliedern haben, solchen, die nur aus einem kleineren Teil einer Gesellschaft bestehen, aber doch gesellschaftlich gut bekannt, greifbar und präsent sind, und schließlich solchen Bünden, die nur eine sehr kleine Gruppe von Menschen umfassten. Letzteres sind vor allem berufsspezifischen Bünde, z.B. die in manchen afrikanischen Gesellschaften wichtigen Schmiedebünde. Berufliches Fachwissen kann oft als Geheimwissen eines Bundes bewahrt und vor Außenstehenden geschützt werden; das Berufsgeheimnis erhält auf diese Weise eine soziale Absicherung. In der soziologischen und insbesondere in der feministischen Forschung