Gisela Reutling

Mami Staffel 3 – Familienroman


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doch neulich schon eine Probe Ihres Könnens gehört, liebes Fräulein – wenn auch unfreiwillig«, sagte er vorsichtig. »Und übrigens bin ich auch gar nicht mehr im Geschäft.«

      »Aber Sie haben doch bestimmt Verbindungen! Nein, bitte, Sie müssen mich anhören. Sicher habe ich einen Riesenerfolg. Und dann haben Sie mich entdeckt!«

      Herr Zott atmete erleichtert auf, als Sven in diesem Augenblick zur Haustür hereinkam. Auch wenn er den jungen Mann nicht besonders leiden konnte – seine Ankunft war ein Geschenk des Himmels.

      »Wie schön, Sie zu sehen!« Heinrich eilte auf den verblüfften jungen Mann zu und schüttelte ihm herzlich die Hand. »Sie sehnen sich nach dem langen Arbeitstag sicher nach Ruhe, nicht wahr?« Er geleitete Sven ins Wohnzimmer und wies ihm seinen Lehnsessel an. »So, machen Sie sich’s bequem, ich wollte sowieso gerade nach oben gehen.« Und Heinrich Zott ging hinaus, stieg die Treppe hinauf und machte die Tür seines Zimmers fest hinter sich zu. Die Kinder liefen zu ihrer Mutter in die Küche. Sven und Bernadette blieben miteinander allein.

      »Und ich wollte ihm doch gerade vorsingen«, sagte Bernadette enttäuscht. Sven lächelte ihr ermutigend zu. »Der alte Knabe entgeht Ihnen schon nicht. Wie wär’s denn mit einem Cognac?«

      Bernadette nickte und setzte sich zu ihm aufs Sofa. Sven holte die Flasche mit dem alten Cognac und schenkte zwei Gläser voll bis zum Rand. Lächelnd blickte er in ihre grünlichen Augen. »Fühlen Sie sich wohl hier? Oder geht Ihnen dieser Familienklüngel auch auf die Nerven?«

      Bernadette kicherte und zeigte ihre Grübchen. »Oh, wenn Sie mich schon so fragen, Herr Struve…«

      »Ach, wollen wir mit der albernen Siezerei nicht aufhören? Schließlich sind wir Hausgenossen.« Bernadette nickte eifrig.

      »Wollen wir Brüderschaft trinken?« Sie stießen miteinander an, und dann verlangte Sven den Bruderkuß. Bernadette bot ihm kichernd die vollen Lippen dar.

      Als sie die Tür zur Küche gehen hörten, setzten sie sich schnell wieder gerade hin. Christine schaute herein. Sie hatte hektisch gerötete Wangen und wirkte leicht aufgelöst. »Fräulein Schuster, könnten Sie mir vielleicht einen Moment helfen? Ich muß die Salate in einer Stunde abliefern, und allein schaffe ich es nicht!«

      »Komme sofort!« zwitscherte Bernadette. Kaum hatte sich die Tür wieder geschlossen, rückte sie enger an Sven heran und trank ihr Cognacglas mit großen Schlucken leer. »Immer wenn’s gemütlich wird…«, sagte sie bedauernd.

      Sven sah ihr tief in die Augen. »Wirklich sehr schade. Ich hätte gern noch ein oder zwei Gläschen mit dir getrunken. Aber das können wir vielleicht mal nachholen, was meinst du? Vielleicht auch in einer etwas ruhigeren Umgebung als hier?«

      »Im Ort soll es eine sehr nette Bar geben.« Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Dann stand sie auf, zog betont langsam ihren engen Rock glatt und ging mit wiegenden Hüften in die Küche, wobei sie sich noch einmal kokett umblickte. Sven sah ihr anerkennend nach: Das war wirklich ein verteufelt hübsches Kindermädchen! Mal sehen, wie sich die Bekanntschaft entwickeln würde…

      *

      Am nächsten Morgen um elf klingelte es an der Tür. Christine goß gerade die Erdbeerbeete, die sie im letzten Jahr am Rand ihres Gartens angelegt hatte. »Julia, machst du mal auf?« rief sie laut.

      Julia öffnete die Tür und preßte vor Schreck die Hand vor den Mund. Draußen stand der Spion! »Darf ich hineinkommen?« fragte er höflich. Julia schüttelte wortlos den Kopf und knallte ihm die Tür vor der Nase zu.

      »Was fällt dir denn ein!« schalt Christine, die inzwischen in die Diele gekommen war. Sie öffnete die Tür rasch wieder und lächelte den dunkelhaarigen Fremden freundlich an. »Entschuldigen Sie bitte.«

      »Aber nein, ich muß mich für die Störung entschuldigen. Ich habe eine Frage.« Er betrachtete sie aufmerksam aus seinen wachen dunklen Augen.

      »Oh, ich habe sicher, was Sie suchen«, meinte Christine selbstbewußt und dachte an das Lob, das sie für ihr letztes Buffet erhalten hatte. »Möchen Sie nicht hereinkommen?« fragte sie.

      »Gern. Christoph Falkenroth ist mein Name. Ich wohne drüben in der Kastanienallee, unsere Grundstücke grenzen aneinander.«

      Christine führte ihren Gast auf die Terrasse. »Was für ein Buffet soll es denn sein und zu welchem Anlaß?« erkundigte sie sich. Herr Falkenroth schaute sie verständnislos an. »Buffet? Es geht um meinen Kater. Er ist ausgerissen. Sagten Sie nicht, Sie hätten ihn gefunden?« Die beiden begriffen ihr Mißverständnis und mußten lachen. Christine fand ihren Gast sehr sympathisch. Wenn er lachte, spielten winzige Fältchen um seine Augen, und sein markantes Gesicht, das sonst fast zu ernst wirkte, nahm einen offenen und herzlichen Ausdruck an.

      »Er wickelt Mami ein!« ertönte eine klare Jungenstimme von oben. Christine blickte zu ihrem Schlafzimmerfenster hinauf und sah die Köpfe ihrer Kinder, bevor sie sich schnell wegduckten. Herr Falkenroth lachte, als er sie erkannte. »Das sind Ihre Kinder?!« Und er erzählte die Geschichte mit den entlaufenen Hasen. »Ich war ziemlich grob, dabei habe ich jetzt mit meinem Kater Murr dasselbe Problem! Aber gerade an dem Tag arbeitete ich an einer schwierigen Passage meiner Arbeit. Vielleicht werde ich ein bißchen wunderlich, weil ich sosehr abgeschieden lebe.« Er lächelte. »Wahrscheinlich sollte ich eher dankbar sein, wenn ein paar Kinder meine Einsiedelei ein bißchen lebhafter machen.«

      Christine sah ihn dankbar an. »Es tut mir leid, daß die drei einfach so auf Ihr Grundstück eingedrungen sind. Natürlich habe ich ihnen so etwas verboten.«

      »Ach, das macht doch nichts«, sagte er schnell. »Warum sollten die Kinder dort nicht spielen dürfen? Kaputtmachen können sie in meinem verwilderten Garten sowieso nichts.«

      Christine lächelte. Sie genoß die warme Maisonne auf ihrer Haut und den Duft der Rosensträucher vor der Terrasse. Ein leichter Wind strich durch den Garten und bewegte die hellgrünen jungen Blätter der beiden schlanken Birken. »Wenn ich Ihren schönen Garten sehe, schäme ich mich richtig, daß ich meinen so vernachlässigt habe«, meinte Herr Falkenroth. »Das Haus hat meiner Tante gehört, die vor zwei Jahren gestorben ist. Es müßte mal gründlich renoviert werden, aber ich habe leider versäumt, mich darum zu kümmern – und jetzt muß ich halt für ein halbes Jahr, so gut es geht, darin hausen.«

      Christine erkundigte sich nach seiner Arbeit. Es stellte sich heraus, daß Falkenroth Geschichtsprofessor an der Hamburger Universität war und sich für ein Forschungssemester in ihre stille kleine Stadt zurückgezogen hatte. Er arbeitete an einem Buch über Albrecht Dürers Briefe.

      Christine staunte. Für einen Professor war Herr Falkenroth außerordentlich jung, dachte sie. Sie hatte in ihrem Leben erst zwei Professoren kennengelernt, und das waren ältliche, vertrocknete Gestalten gewesen. Professor Falkenroth dagegen war hochgewachsen, schlank und sportlich und hatte dichtes dunkles Haar. Nein, wie ein Professor sah er wirklich nicht aus!

      Christine liebte Dürers Bilder und hatte auch eine Biographie des Malers gelesen, und sie unterhielten sich so lebhaft, daß die Zeit wie im Fluge verging. Schließlich sah Professor Falkenroth auf seine Uhr und seufzte bedauernd. »Tja, leider muß ich weiter. Es täte mir sehr leid, wenn mein Kater Murr für immer verschwunden wäre.« Christine ließ sich das Tier genau beschreiben und versprach, nach ihm Ausschau zu halten und das auch den Kindern zu sagen.

      An der Tür zögerte der Gast. »Übrigens… wenn Sie vielleicht mal Lust haben, sich ein paar Originalbriefe Dürers anzusehen… Sie sind herzlich willkommen!« Christine bedankte sich für die Einladung und ärgerte sich, daß ihr dabei die Röte in die Wangen stieg wie einem jungen Mädchen, das die Verabredung für sein erstes Rendezvous trifft. Was war schon dabei, einen guten Nachbarn zu besuchen?

      Ob sie wirklich zu ihm gehen sollte, um sich diese faszinierenden Dokumente anzusehen? Ein träumerisches Lächeln umspielte ihren Mund. Aber in diesem Moment weckte sie der Lärm, mit dem Julia und Markus die Treppe hinuntersprangen, aus ihrer Versunkenheit. Die beiden hatten sich so schlecht benommen, daß eine energische Strafpredigt nötig war.

      *

      Bedrückt