lernten uns in Italien kennen, nicht als gewöhnliche Eisenbahnabtheils-Bekannte oder Table d'hôte-Mitesser, sondern mancherlei Erlebnisse brachten uns näher, Gefahren und glückliches Entschlüpfen, wie ich in dem Buche »Buchholzen's in Italien« wahrheitsgemäß wiedererzählt habe, von dem jedoch die Krausen hinter meinem Rücken laut behauptet, ich hätte es garnicht geschrieben, sondern Jemand anders. Ganz derselben Meinung war früher die Bergfeldten. Welche Mühe hat es mich gekostet, ihr diesen Wahnwitz auszureden. »Bergfeldten,« fragte ich sie eindringlich, »wie kann man ein Buch über etwas schreiben, wenn man nicht da war? Wie denken Sie sich das? So aus heiler Haut? Meinen Sie vielleicht, man setzt sich an den Schreibtisch und, haste nicht gesehen, Neapel geschildert oder Rom oder die Bevölkerung und, was sonst malerisch ist, ohne persönliche Anschauung?«
Und was antwortete sie darauf? Was?
»Das Papier ist geduldig.«
Hierauf wollte ich tödtlich werden, wie es sich auch eigentlich gehörte, aber da ich kürzlich vorher in der Familienbeilage unseres Blattes gelesen hatte, daß Langmuth und Unnachgiebigkeit herrlicher von Erfolg gekrönt werden als Jähzorn mit Handhabungen, wendete ich Nachsicht an und sagte, sie möchte doch um Alles in der Welt nicht über Dinge reden, die für sie ewig unaufgegangene Seifensieder blieben, so lange sie sich absichtlich der Wahrheit verschlösse.
Da gestand sie denn, daß sie blos sagte, was die Krausen gesagt hätte. Ich hatte die Krausen damals noch nicht so durchschaut wie später, und stand einigermaßen ziemlich mit ihr, so daß diese Offenbarung mir durch und durch ging, weshalb ich rügte: »Man muß sich nie als Sprachrohr gebrauchen lassen, weil zu viel verdreht herauskommt.«
Die Kliebisch sowohl wie ihr Gatte sollen nun der Butschen sowohl wie der Krausen mitten in's Gesicht beeidigen, daß ich mit ihnen zusammen in Italien war. Lügen müssen wie die Schwaben immerwährend ausgerottet werden, sonst dauern sie lebenslänglich.
Was mich in ihrem Schreibebriefe ärgerte, das waren Bemerkungen. — »Wir haben hier auch das Abschreckungs-Plakat in dem Dorfkruge hängen,« schrieb sie, »und hatten in Folge dessen anfangs gar keine Lust zur Ausstellung. Der sehnige Arm, der aus der Erde sich brutal erhebt und mit dem Hammer Jeden zu zerschmettern droht, hatte für mich etwas Widriges, bis mein Hinnerich sagte, das Plakat stelle blos Berliner Blau vor (weil doch der Hintergrund so blau ist), und der Hammer bedeute die Landwirthschaft, die bald unter den Hammer käme. Da haben wir denn herzlich über den Witz gelacht. Mein Mann macht mitunter ganz brillante Witze und ist auch ringsum dafür bekannt. Unsere Anna ist konfirmirt und mir eine rechte Stütze im Haushalt. Sie hat den praktischen Sinn ihres Vaters geerbt und ebenso hellblondes Haar wie er und dabei seidenweich. Heinrich weiß noch nicht, was er werden will, wir lassen ihn deshalb die Schule noch ruhig besuchen, bis er sich entscheidet. Landwirth sieht mein Hinnerich ungern, weil zu wenig verdient wird und ein junger Mann ohne großes Kapital zu lange bis zur Selbstständigkeit warten muß. Henriette dagegen, unsere dritte, ist idealer veranlagt, mit gutem Gehör und einer allerliebsten Stimme. Adalbert und Friedrich gehen in die Dorfschule, was für den letzteren, da er von den Masern her immer noch nicht ganz wieder der Alte ist, seine Bedenken hat. Lene und Male...«
Die unflügge Nachkommenschaft war für mich wenig von Interesse, da ich sie nicht kenne, aber ich empfing doch die Ueberzeugung, daß die Gegend dort zu den fruchtbaren gehört. Auf den Ehesegen ging ich daher nicht näher ein, wohl aber auf Herrn Kliebisch's Randglossen über das Ausstellungs-Plakat. Die hatten mich verdrossen.
»Es freut mich,« schrieb ich, »daß Sie Alle wohl und munter sind und Ihr Herr Gemahl trotz der agrarischen Lage noch zu Scherzen aufgelegt ist. Was diese anbetrifft, möchte ich mir nur die Mittheilung erlauben, daß wir unsere Witze über Berlin gewöhnlich selber zu machen pflegen.«
»Das Plakat will verstanden sein. Es schließt sich der neueren Kunstrichtung an, die den sogenannten schönen Schein als unnatürlich meidet und in erster Linie darauf zielt, daß von dem Kunstwerk gesprochen wird. Wie? ist Wurst. Und das ist erreicht, sogar bei Ihnen auf dem Lande. Sie haben sich geängstigt: wollen Sie noch mehr Wirkung? Liebe Frau Kliebisch, seit wir uns in Italien sahen, hat die Kunst unermeßliche Fortschritte gemacht, daß die alten Meister, wenn sie aus ihren Gräbern hochkämen, sämmtlich umlernen müßten. Wie Tag und Nacht ist der Unterschied. Alles Braune und Dunkele gehört in die Museen und der Antike an. Alles Mehlige und wie in den Regenbogen Getauchte ist modern und zulässig für Ausstellungen. Dies muß man sich merken und Rafael und Rubens und die verstorbenen Malermeister nicht loben, das nehmen die jüngeren krumm. Wir werden über Manches zu plaudern haben und Vieles zu besichtigen, denn eine enorme Gemälde-Ausstellung ist Treptow gegenüber am anderen Ende der Stadt eröffnet. Wir rechnen in Berlin eben mit größeren Entfernungen als in kleineren Orten und so ist es auch mit dem Geistigen und den Scherzen. Berliner Blau gehört zu den überlebten; ich bezweifle, daß Ihr Mann Glück damit machen wird.«
Als ich über eine stilgerechte Schwenkung in die Kinderstube nachsann, kam die Dorette, und meldete, vor der Thüre hielte eine Droschke mit Massen-Gepäck; ob das wohl Besuch für uns wäre?
Wir Beide aus dem Fenster gesehen. Richtig. Die Droschke beladen wie ein Möbelwagen zur Umzugszeit, vornehmlich mit einem Reisespinde, daß der Kutscher völlig unfallversicherungsreif daneben auf dem Bock pendelte.
Wer konnte es sein? Nach dem Kontrolirverzeichniß, das ich rasch zu Rathe zog, Niemand. Aber da öffnete sich die Thür, eine junge Dame flog auf mich zu mit den Worten: »Ich bin es. Wie ich mich freue.«
»Ottilie?« fragte ich.
»Ja, Ottilie.«
»Warum schrieben oder telegraphirten Sie nicht?«
»Ich wollte Sie überraschen, das hatte ich mir zu entzückend ausgedacht. Ach es geht nichts über Ueberraschungen, die sind zu himmlisch.«
Sie hatte es gut gemeint und so fügte ich mich denn, obgleich mir genaue Anmeldung lieber gewesen wäre, weil ich dann meine Anordnungen getroffen hätte.
Ich betrachtete sie mir. Sie war viel ansehnlicher, als auf der Photographie, namentlich das lebhafte Auge verlieh ihr etwas Reizvolles und, wenn sie sich bewegte, kam ihre schlanke Figur zur Geltung. Nun ward mir auch mit einem Male klar, warum sie sich nicht glücklich in ihrer Heimath fühlt und weshalb sie allerlei auszustehen hat. Sie ist über ihren Stand hübsch.
Ich hieß sie willkommen und fügte hinzu: »Wir haben ereignißreiche Tage vor uns, aber mit gutem Willen, verständiger Anordnung und Fleiß werden wir sie bewältigen.«
»Ach und recht oft in die Oper,« rief sie, »Oper ist zu himmlisch. Ich muß die Sucher hören, sie soll als Isolde zu entzückend sein. Und Zirkus. Ich schwärme für Zirkus!«
»Ottilie,« unterbrach ich sie, »Zirkus ist eine Wintersache, also jetzt nicht vorhanden. In die Oper werden wir auch einmal gehen. Die Hauptsache ist unsere gemeinsame Ausstellungsarbeit. Haben Sie Bücher mitgebracht?«
»Gewiß, zwei Kisten voll.«
»Zwei Kisten?« fragte ich entsetzt.
Der Droschkenkutscher und Dorette schleppten gerade einen schweren Kasten die Treppe herauf. »Das Praktische scheint ihr fremd zu sein,« dachte ich und fragte: »Was sind denn das für Bücher?«
»Zunächst Meyer,« antwortete sie.
»Was für'n Meyer? Doch nicht das ganze Conversationslexikon?«
»Nun ja, darin steht Alles.«
»Ottilie,« rief ich, »den Meyer habe ich selbst; die Ueberfracht hätten Sie sparen können. Was sonst noch?«
»Ein französisches und ein englisches Lexikon, Daniel's großes Handbuch der Erdkunde, Velhagen und Klasing's Atlas, Brehm's Thierleben, wegen der Fischerei-Ausstellung, Krüger's Physik...«
»Das scheint mir das einzig richtige. Haben Sie auch Chemie mitgebracht?«
»Chemie? Nein, die hab' ich vergessen.«
»Aber Ottilie, wo ich Ihnen doch schrieb, welche Sorge mir das