Bahr Hermann

Dalmatinische Reise


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viertenmal gekräht hat, ist ihm das Mädchen schon zugetan. Sie lacht vergnügt. Ich frage mich: Warum lacht sie? Sein Krähen und ihr Lachen müssen irgendwie geheimnisvoll zusammenhängen. Der Hahn in jungen Männern scheint dem Seelenohr junger Mädchen wohl zu klingen.

      Ein geistlicher Herr sonnt sich. Groß, alt, schwer, und mit so einem knöchernen mühsamen faltigen Gesicht, das rundherum aus Schnupftabak zu bestehen scheint. Seine Stimme hat was Streichelndes, und sie spritzt einen gleichsam immer mit Weihwasser an. Er reist nach Lussin. Ein bißchen Ruhe und ein bißchen Sonne brauch ich, sagt er, die harten Bauernhände faltend. Ich kann mir lange nicht erklären, was mich so zu dem Alten zieht; er heimelt mich an. Bis mir einfällt, daß er ein bißchen dem Ozzelberger ähnlich sieht, dem Florianer, von dem wir im Linzer Gymnasium Griechisch lernten. Gern aber sprach er, in den Xenophon hinein, von der Sünde. Da hörten wir Buben mit Leidenschaft zu, das Griechische war weit weniger interessant. Zwar erfuhr man nie, was es eigentlich mit der Sünde war, aber er hatte eine solche Macht, drohende Worte schwer und schwarz wie wütende Wolken aufzuballen, daß einem davon höchst seltsam gruselte, den kalten Rücken hinab. Uns wurde kitzelnd bang, wie beim Klettern. Ihm muß auch ganz warm geworden sein, das sah man. Noch steht er mir in der Erinnerung da, die knollige, braun tropfende Nase witternd aufgespreizt, mit dem großen derben Finger drohend, das zerknitterte Gesicht in Angst und Zorn. Dann fiel die dicke Haut seiner runzligen Lider zu, so daß er gleichsam mit den Augen zu seufzen schien. Und nun krachten aus seinem bösen Mund mit den hängenden Lippen, die, wenn er sich ereiferte, kleine weiße Blasen hatten, Drohungen und Verwünschungen, gegen die Sünde, Wollust und Unzucht. Wir duckten uns, zogen den Atem ein und hörten zu, wie bei einem furchtbar schönen, unbegreiflichen Gewitter. Dann schwang er sein blaues fleckiges Tuch und jetzt ging es wieder zu den Verben auf μι zurück. Mein größter Eindruck war, als er uns einmal fluchend zurief: Unzucht krümmt die Rücken, hat Aristophanes gesagt! Das kam mir höchst merkwürdig vor, und seitdem sah ich mir auf der Gasse jeden an, ob er einen krummen Rücken hätte. Meine Eltern waren mit einem alten Hofrat gut, einem sehr freundlichen, schon etwas zittrigen und schiefen alten Herrn. Er ging gern mit uns spazieren. Kehrten wir dann heim und er empfahl sich an unserem Tor, wobei er vor Höflichkeit noch mehr zusammensank, so sah ich ihm nach und sagte stets: Unzucht krümmt die Rücken, Mama! Da wurde meine arme Mama manchmal sehr bös.

       Seltsam ist es, so einem alten Herrn, wie diesem guten Pfarrer, klagen zuzuhören. Hart ist sein Leben und hat nichts als Mühsal. Und wenn man altert, hört auch die Hoffnung auf. Man weiß, es wird nicht mehr anders. Man weiß, Leben ist Leiden. So sagt er. Und hat doch offenbar nichts im Sinn, als nur sich dieses Leiden noch auf viele Jahre zu verlängern. Nur ein bißchen Ruhe und ein bißchen Sonne brauch ich halt, sagt er immer wieder. Wozu? Um die Mühsal wieder ein Stück weiter zu tragen, nur immer noch weiter.

      Castelnuovo

      Zwei Offiziere, von Prag nach Cattaro versetzt, ein deutschnationaler Gemeinderat aus Innsbruck mit seiner Tochter, ein altes Ehepaar, das nach Gravosa geht. Wir sind kein Dutzend auf dem großen Schiff. Die Fremden, heißt's, fürchten den Krieg. Sie fürchten wohl mehr die Wanzen der dalmatinischen Hotels.

      Es ist kalt. Die Sonne taucht mit blassen Strahlen aus dem Dunst. Der Wind flattert in kleinen kurzen knatternden Stößen. Wir sind an Muggia, Capo d'Istria und Pirano vorbei, es erscheinen Parenzo und Rovigno. Wenn man so vorüberkommt, ist's wie ein ausgestorbenes Land. Die Städte sehen verlassen und verfallen aus, als hätte der Feind hier gehaust und alles zertreten. Schön sind die spitzen Türme, die den Heiligen der Stadt tragen, in Parenzo den heiligen Georg, in Rovigno die heilige Euphemia. Alles hat venezianisches Wesen. Hinten ragt der Monte Maggiore.

      Und die großen gelben Segel der frechen Chioggioten! Überall schwärmen sie. Es macht ihnen Spaß, hart vor dem großen Dampfer zu kreuzen. Weiß klatscht das Wasser ins tanzende Boot. Lachend steht ein wilder brauner Kerl darin und singt. Grau schießt ein Torpedo durch die spritzende Flut, wie ein Aal. Hinter ihm fliegt in langen Tönen das Lied des lachenden Chioggioten her.

      Nun sind wir im Kanal von Fasana. Brioni wird sichtbar, Kupelwiesers Reich. Da lacht mir das Herz.

      Bis vor ein paar Jahren sagte man in Pola: Unser Fluch ist Brioni, da liegt dieser Herd der Malaria vor uns und verpestet alles! Beamte waren in Pola und Admiräle waren in Pola und Generäle waren in Pola, und alle sagten: Dieses verfluchte Brioni, mit der Malaria! Sagten es und taten nichts. Bis der Kupelwieser kam. Das ist nämlich noch unser einziges Glück in Österreich, daß doch von Zeit zu Zeit immer wieder ein Kupelwieser kommt. Schüler war auch so einer, der Direktor der Südbahn, der daneben mit der linken Hand den Semmering und das Ampezzo und Abbazia erschaffen hat. Und Christomanos ist auch einer, von ihm sind die Berghotels in Tirol. Das sind Menschen mit sehenden Augen. Sie sehen dem Boden an, was er will und kann. Sie sehen die Möglichkeiten. Und dann reden sie nicht viel, sondern es geschieht.

      Ein Kupelwieser, der Leopold, war ein bekannter Wiener Maler in der Schubert-Zeit. Er hat die Mode der Nazarener mitgemacht und Kirchen ausgemalt; der Hof hat ihm in den dreißiger Jahren Bilder zu Klopstocks Messias aufgetragen. Das alles ist recht langweilig. Aber auf der Schubert-Ausstellung der Stadt Wien, 1897, waren Porträts von ihm zu sehen, da steht er auf einmal ganz anders da, mit treuen Augen und der ehrlichsten Hand. Die sind nun offenbar in der Familie geblieben, die treuen Augen und die ehrliche Hand. Der in Brioni hat sie auch. Er ist einer, der die Augen offen hat und Hand anlegt. Sein ganzes Leben ist Arbeit gewesen, als alter Mann hat er rasten wollen, das kann er aber nicht. Brioni war ein Sumpf, er kam, jetzt ist es ein Eiland in Blüten und Früchten. Anfangs hat's geheißen: Er ist ein Narr! Jetzt gedeiht Wein und Gemüse dort, Fremde drängen sich, die Insel wird reich. Da heißt's: Der versteht sein Geschäft! Nun sollte man meinen, daß, wer einmal so bewiesen hat, was er kann, fortan doch das Vertrauen der Menschen hätte. Nein. Er plant jetzt den Hafen von Medolino. Das ist im Südosten Istriens eine breite Bucht, die hat er aufgekauft. Und wieder heißt's: Er ist ein Narr! Er sagt: Pola kann nicht länger Kriegshafen und Handelshafen zugleich sein, beide wollen wachsen, und so würgt einer den anderen, also trennt sie doch, gleich um die Ecke habt ihr einen anderen Hafen, eben den von Medolino, macht ihn zum Handelshafen, den Kriegshafen laßt in Pola, dann können beide bis in den Himmel wachsen! Und er sagt noch: Wir brauchen einen Hafen für den dalmatinischen Verkehr, Triest ist zu weit, jetzt geht der nächste Weg über Fiume, also durch Ungarn, es ist unsinnig, daß Österreich keinen eigenen Weg nach seiner Provinz Dalmatien hat, drum nehmt Medolino! Mit denselben Gründen fordern die Abbazianer aber den Hafen von Preluka, knapp an der ungarischen Grenze. Statt nun zu sagen: Ihr habt beide recht, und ebenso den Hafen von Medolino wie den von Preluka zu bauen, weil der Mensch, wenn es Gott schon so gut mit ihm meint, sich dankbar zeigen soll, spielt man nach altem Brauch im Ministerium jetzt den einen gegen den anderen und redet sich bei diesem auf jenen aus, bis beide so verhetzt sein werden, daß am Ende jeder zufrieden sein wird, wenn nur der andere auch nichts hat. Dies ist das System der österreichischen Verwaltung. Man regiert dadurch, daß jeder seinen Gewinn im Schaden des Nachbarn sucht.

      Wir sind in Pola. Indem wir langsam, an Riffen, Türmen, Schanzen, Stangen und den hohen Kriegsschiffen vorüber, einfahren, reißt der Wind die Wolken auf, die Sonne bricht aus, durch die Bogen der Arena blaut es. Mir ist es immer wieder ein Wunder, sie zu sehen. Der Römer hat stehen können; neben ihm ist jedes andere Volk zapplig. Und was er hinstellt, steht. Steht und läßt um sich die Zeiten laufen. Diese Arena und, weiter drüben, der Tempel des Augustus und, draußen, der Bogen, den Salvia Posthuma dem Tribunen Sergius, ihrem Gatten, für seinen illyrischen Sieg errichtet hat, dies alles steht da wie versteinerte Ewigkeit. Man kann sich gar nicht denken, daß es einmal nicht war. Und diese ganze schmutzige gelbe Stadt scheint daneben nur hingemalt, auf einer rissigen schwappenden Leinwand.

      Nun wieder hinaus, am Kap Promontor vorüber auf den Scoglio Porer zu. Ein Leuchtturm ist da; und rund herum gerade noch so viel Platz, daß ein Mensch gemächlich schreiten kann. Da wohnt ein Wächter. Ob der einmal von Richard Strauß gehört hat? Wen der wählen mag? Ob der betet? Man hat mir erzählt, daß Julius Singer, der Vizepräsident des Lloyd, diesen einsamen Türmern zu Weihnachten Bücher schenkt. Ich fürchte nur, es werden nicht die richtigen sein. Ich möchte ihnen den Homer,