Gottfried Hierzenberger

Der Buddhismus


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hatte.

      König Devanam-piya Tissa sei damals persönlich dem Schiff, auf dem die kostbare Pflanze gebracht wurde, in das Meer hinein entgegengewatet, habe die »lebendige« Reliquie auf diese Weise persönlich entgegengenommen und sie auf dem Gelände des Klosters Mahavihāra (= großes Kloster), des ersten Sangha in seinem Land, eingepflanzt. Nahe dem Boddhi-Baum von Anuradhapura befindet sich ein »Wald« von nicht weniger als 1.600 Säulen, die »Messingpalast« genannt werden. Sie sollen ein neun Stockwerke hohes klösterliches Gebäude getragen haben.

      Im Mahaparinibbana-Sutra wird über die letzten Worte des Buddha berichtet:

       Als nun der Erhabene die Regenzeit angetreten hatte, befiel ihn eine schwere Krankheit. Heftige Schmerzen erhoben sich, die ihn dem Tode nahe brachten … Da sprach der Erhabene zu den Mönchen also: Es möchte sein, ihr Mönche, dass vielleicht auch nur ein Mönch einen Zweifel oder eine Ungewissheit fühlte über den Buddha, oder die Lehre oder die Gemeinde, oder den Pfad oder die Übung. Fragt, ihr Mönche, damit nicht hinterher ihr voll Reue zueinander sprechen müsst: Von Angesicht zu Angesicht haben wir den Meister gesehen, aber wir haben es nicht über uns vermocht, ihn, wie er noch vor uns stand, zu befragen. Als er so geredet hatte, schwiegen die Mönche.

       Der ehrwürdige Ānanda aber sprach sodann zum Erhabenen: Wunderbar, Herr! Staunenswert, Herr! Solchen Glauben habe ich, Herr: In dieser Mönchsgemeinde gibt es nicht auch nur bei einem Mönch Zweifel oder eine Ungewissheit über den Buddha, über die Lehre oder die Gemeinde oder den Pfad oder die Übung.

      Der Erhabene aber sprach zu den Mönchen also: Wohlan, ihr Mönche, ich sage euch: der Vergänglichkeit untertan sind alle Gestaltungen. Lasst niemals nach in eurem Streben! Das war des Vollendeten letztes Wort. Dann durchmaß der Vollendete die Stufen der Versenkung und ging schließlich in das Nirwana ein … Im Augenblick seines Nirwana geschah ein großes Erdbeben, ein furchtbares, haarsträubendes, erregendes, und die Trommeln der Götter erdröhnten.

      Der Buddha ist – neben Jesus Christus – die wohl am häufigsten künstlerisch dargestellte religiöse Persönlichkeit, wobei es große Unterschiede gibt zwischen einem von Kasteiungen gezeichneten Buddha Shākyamuni, dem Gelassenheit und souveränen Frieden ausstrahlenden Großen Buddha von Bodh-Gayā, dem sonnengleichen kosmischen Buddha Vairochana oder dem kommenden letzten Buddha Maitreya, der die allumfassende Liebe verkörpern wird. Alle diese Buddhagestalten haben eine Wölbung am Scheitel (ushnisha) gemeinsam – wo nach indischer Vorstellung die Seele ein- und austritt; dies weist auf die Erleuchtung hin –, das »dritte Auge« in der Mitte der Stirn –, welches die spirituelle Erkenntnis symbolisiert – sowie verlängerte Ohrläppchen – als Zeichen seiner überragenden Weisheit bzw. Allwissenheit.

      Der Dharma – die Lehre des Buddha

      Die Lehre des Buddha ist kein Denksystem, keine Philosophie, schon gar nicht eine Theologie, sondern sie ist eine Antwort auf die bittere Erkenntnis, dass alle Erscheinungen in unserer Welt vergänglich sind. Diese Antwort hat er nicht theoretisch gesucht und gefunden, sondern in Auseinandersetzung mit den Ursachen des Leidens, mit falschen oder unzulänglichen Antwortversuchen der indischen Glaubenstradition, in der er stand, und mit einer konsequenten, ja geradezu unerbittlichen existenziellen Überprüfung der Antworten seiner Lehrer, seiner Gefährten und seiner Rivalen.

      Siddhārta Gautama war ein überragender Mystiker, ein großer Einsamer, der sich in seiner Lernzeit von allen und allem absonderte, was ihn hinderte, die volle Wirklichkeit und reine Wahrheit zu erfassen und von jeder Art von Vorläufigkeit und Scheinwirklichkeit zu unterscheiden. Als er schließlich durch Verinnerlichung, Vergeistigung und Versenkung bis auf den Grund des Seins vordrang, den vollen Durchblick bekommen und seine Wesensvollkommenheit als irdischer Mensch erreicht hatte, erfüllte ihn ein übermenschlich großes Mitleid und eine grenzenlose Liebe und Gelassenheit aller Unvollkommenheit gegenüber. Der Buddha ist diesen seinen Weg aus eigener Kraft gegangen und ist doch kein Selbsterlöser – er hat vielmehr ausgelotet, was im Menschen steckt, und hat den Weg zum transzendenten Heil gewiesen, das er – wie schon die großen Suchenden seines Volkes vor ihm – Nirvāna nannte. Doch er wusste im Gegensatz zu ihnen, wovon er sprach, und hat es deswegen inhaltlich unbestimmt gelassen, weil er wusste, dass es in menschlichen Begriffen ungreifbar ist.

      Der katholische Theologe Hans Küng hat sich bei seiner »Spurensuche« auf den Wegen der Weltreligionen auch im Dialog zwischen Christentum und Buddhismus engagiert und zitiert dabei den großen christlichen Mystiker und Gelehrten Romano Guardini, der bereits 1937 in seinem Christusbuch »Der Herr« (S. 381) erkennen ließ, wie klar er die Bedeutung des Buddha für die gesamte Menschheit erkannt hat:

       Einen Einzigen gibt es, der den Gedanken eingeben könnte, ihn in die Nähe Jesu zu rücken: Buddha. Dieser Mann bildet ein großes Geheimnis. Er steht in einer erschreckenden, fast übermenschlichen Freiheit; zugleich hat er dabei eine Güte, mächtig wie eine Weltkraft. Vielleicht wird Buddha der letzte sein, mit dem das Christentum sich auseinander zu setzen hat. Was er christlich bedeutet, hat noch keiner gesagt. Vielleicht hat Christus nicht nur einen Vorläufer aus dem Alten Testament gehabt, Johannes, den letzten Propheten, sondern auch einen aus dem Herzen der antiken Kultur, Sokrates; und einen dritten, der das letzte Wort östlich-religiöser Erkenntnis und Überwindung gesprochen hat, Buddha.

      Der Buddha erklärte sich niemals bereit, seiner Lehre die Gestalt eines philosophischen Denksystems zu geben, er äußerte sich nicht zu philosophischen Fragestellungen und auch nicht über Inhalte, die kontrovers sind, weil sie die Vorstellungs- und Fassungskraft des irdischen Denkvermögens übersteigen. Auf viele Fragen antwortete er mit Gegenfragen oder – wie schon erwähnt – aus gutem Grund mit Erzählungen, Bildern und Gleichnissen oder auch mit denkunmöglichen Äußerungen, die man als Vorläufer der Koāns des japanischen Zazen-Buddhismus bezeichnen könnte.

      Damit – und auch mit seinem Schweigen zu einzelnen Problemen – hat er zwar den einander widersprechenden Interpretationen seiner Schüler oder der verschiedenen Fahrzeuge des Buddhismus keinen Riegel vorgeschoben, ist sich aber stets treu geblieben und hat vage philosophische Spekulationen in keiner Weise gefördert.

      Ein gutes Beispiel für die oftmals sokratisch anmutenden Dialoge des Buddha mit seinen Schülern ist der berühmte Dialog mit dem Mönch Mālunkyaputta, der sich darüber beklagt, dass der Buddha ihm auf Entweder-Oder-Fragen die Antwort schuldig bleibe:

      Ist das Universum ewig oder nicht? Ist es endlich oder unendlich? Ist die Seele das gleiche wie der Körper oder ist sie von ihm unterschieden? – Der Mönch bittet ihn, präzise Antworten auf diese wesentlichen Unterscheidungsfragen zu geben – die man sich in Indien seit Jahrhunderten stellt – oder zuzugeben, dass er darauf keine Antwort wisse. Der Buddha erzählt ihm darauf die Geschichte von einem Mann, der von einem vergifteten Pfeil getroffen wurde. Ein herbeigeeilter Chirurg will ihn von dem Geschoss befreien, doch der Mann sagt: »Ich werde diesen Pfeil nicht herausziehen lassen, bevor ich weiß, wer mich getroffen hat, ob er ein Krieger oder ein Brahmane war, aus welcher Familie er stammt, ob er klein, groß oder von mittlerer Größe ist, aus welchem Ort er kommt und von welcher Art der Bogen ist, mit dem er mit dem Pfeil auf mich gezielt hat …« Der Mann starb, ohne Antworten auf diese vielen präzisen Fragen bekommen zu haben. Ebenso geht es dem Menschen, der sich weigert, den Weg der Heiligung zu gehen, bevor er dieses oder jenes philosophische Problem gelöst hat. Ich weigere mich, diese Fragen zu diskutieren, weil es nicht nützlich ist, weil es nicht mit dem heiligmäßigen und spirituellen Leben verbunden ist und nicht zum Ekel vor der Welt, zur Loslösung, zum Aufhören der Begierden, zur Ruhe, zum tiefen Eindringen, zur Illumination, zum Nirvāna beiträgt. Erinnere dich doch daran, dass ich dich die vier ›Edlen Wahrheiten‹ gelehrt habe. (Majjhimanikāya)

      Die erste edle Wahrheit betrifft den Dukkha (= Leiden, Schmerz): Alles ist Leiden. Jeder Kontakt mit irgendeinem der fünf Skandha (= Aggregatzustände des Lebens) beinhaltet Dukkha. Und dieser Begriff beinhaltet auch Formen des Glücks,