Pferd verbessert sich unter dem Reiter als direktes Resultat der Arbeit am Langen Zügel und umgekehrt. Man kann ihm bestimmte Dinge am Langen Zügel besser erklären, während andere im Sattel effektiver behandelt werden können. Analog dazu verbessert sich der Reiter im Sattel, da er am Langen Zügel sehen kann, was er unter dem Sattel fühlt. Sitzt er wieder auf dem Pferd, kann er dem Gefühl in Sitz, Schenkel und Zügel das Bild zuordnen, das er am Langen Zügel gewonnen hat. Auf diese Weise befruchten sich beide Arbeitsweisen gegenseitig und der Reiter entwickelt eine vollständigere und differenziertere Fühlpalette.
Alle Fehler und Probleme, die unter dem Sattel auftauchen, treten am Langen Zügel meist noch deutlicher zutage.
Ganz grundsätzlich sollte die Arbeit unter dem Sattel diejenige am Langen Zügel immer sinnvoll ergänzen und umgekehrt. Es ist möglich, dem Pferd bestimmte Lektionen ohne Reitergewicht erst am Langen Zügel beizubringen, bevor man sie unter dem Sattel nachreitet. Am Langen Zügel kann man schon Erlerntes verbessern, sodass das Pferd die Lektion unter dem Sattel korrekter ausführt. Umgekehrt lassen sich bestimmte Aspekte sinnvoller vom Sattel aus erarbeiten, sodass das Pferd anschließend am Langen Zügel besser geht.
Die Langzügelarbeit unterliegt genau denselben Gesetzmäßigkeiten und folgt denselben Prinzipien wie die Dressur unter dem Sattel. Daher beschränke ich mich in diesem Buch aus Platzgründen auf die Darstellung der speziellen technischen Aspekte der Arbeit am Langen Zügel und verweise für allgemeine Ausbildungsfragen auf mein Buch „Klassisches Reiten auf Grundlage der Biomechanik” (Cadmos, 2010).
Die Impulse werden von den Hinterbeinen erzeugt und zum Maul weitergeleitet (blau). Die Reiterhilfen schicken diese Impulse gezielt in den Boden (rot). (Foto: Shana Ritter)
Die Beine mit dem Boden verbinden
Ein Vorteil der Arbeit am Langen Zügel besteht darin, dass die Beine des Pferdes noch effektiver mit dem Boden verbunden werden können als im Sattel. Einerseits ist der Pferderücken nicht durch das Reitergewicht belastet und der Mensch steht andererseits mit seinen eigenen Beinen auf dem Boden. Dazu finden Sie detaillierte Ausführungen in meinem Buch „Klassisches Reiten auf Grundlage der Biomechanik”. Ich möchte daher an dieser Stelle nur ganz kurz zusammenfassen: Der Ausbilder stellt Verbindungen zwischen den verschiedenen Körperteilen des Pferdes, den Hilfen und dem Boden her.
Eine funktionierende Verbindung erkennt man daran, dass Energieimpulse frei und ungehindert in alle Richtungen fließen können: von hinten nach vorn, von vorn nach hinten, von rechts nach links und von links nach rechts. Die Impulse werden von den Hinterbeinen erzeugt und durch die Muskulatur und die Wirbelreihe nach vorne zum Maul weitergeleitet (siehe Foto links). Die Reiterhilfen formen und dirigieren die Bewegungsenergie des Pferdes. Sie können beispielsweise das Pferd wie einen Basketball in den Boden drücken, indem sie einem Stützbein den Hauptteil des Körpergewichts zuweisen. Der Boden federt dann das Pferd wie ein Trampolin wieder nach oben. Es ist für den Glanz der Bewegungen, die Versammlung und die Durchlässigkeit unabdingbar, dass der Reiter den Boden jederzeit durch alle Pferdebeine mit seinen Hilfen erreichen kann. Eine Verbindung kommt nicht zustande, wenn ein Muskel verspannt ist (Blockade) oder nicht genug Tonus, also Spannung, besitzt (falscher Knick). Im ersten Fall wird der Bewegungsspielraum des betroffenen Gelenks eingeschränkt.
Der Boden ist das wichtigste Hilfsmittel des Reiters, da er die Hilfen verankert und dem Reiter erlaubt, das Pferd wie ein Bildhauer zu modellieren.
Die Hinterbeine erzeugen Energieimpulse, die durch die Muskulatur und die Wirbelreihe nach vorn weitergeleitet werden.
Die Reiterhilfen greifen diese Impulse auf und schicken sie gezielt durch die Pferdebeine in den Boden, der dann wie ein Trampolin das Pferd wieder nach oben federt.
Saskia Evertz auf PRE Hengst Mulan im Trab. Dadurch, dass der Ausbilder das Pferd am Langen Zügel führt, kann die Reiterin die Zügelhilfen fühlen. (Foto: Mader)
Im zweiten Fall ist das Gelenk instabil und schwer kontrollierbar. In beiden Fällen geht die Hilfe nicht durch den Pferdekörper bis in den Boden, sondern bleibt stecken, und somit kann der Gang nicht elastisch federnd werden.
Es ist also die Aufgabe des Reiters, sowohl die Muskelverspannungen als auch die falschen Knicke aufzuspüren und zu korrigieren, damit alle theoretisch denkbaren Verbindungen in der Praxis auch tatsächlich zustande kommen.
Langzügelarbeit bei Korrekturpferden
Bei der Korrektur verrittener Pferde kann der Lange Zügel neben dem Longieren, der Handarbeit und der Doppellongenarbeit gute Dienste leisten. Er eignet sich dabei am besten für Pferde, die gut vorwärtsgehen und große Steifheiten im Körper aufweisen. Bei Pferden, die sich verhalten, ist er das falsche Hilfsmittel, weil sie sich dann meist noch mehr verhalten und unter Umständen gefährlich werden können. Der Ausbilder kann den Reiter zudem mit dem Langen Zügel in bestimmten Situationen sehr effektiv von unten unterstützen, insbesondere wenn ein Pferd die Paraden nicht respektiert oder sich nicht biegen lässt.
Weitere Vor- und Nachteile der Langzügelarbeit
Im Unterricht kann der Schüler das Gefühl für das Gleichgewicht und den schwingenden Rücken kennenlernen, wenn der Ausbilder das Pferd am Langen Zügel führt. Er fühlt dabei die Zügelhilfen des Lehrers im eigenen Oberschenkel. Das ist auch eine sehr gute Methode, dem Schüler Dressurlektionen näherzubringen und die Hilfengebung erfühlbar zu machen.
Pferde, die von einer Verletzung in die Arbeit zurückkehren und nur sehr vorsichtig belastet werden dürfen, profitieren ebenfalls von der Arbeit am Langen Zügel. Manchmal sage ich auch, nur halb im Scherz, dass die Langzügelarbeit ein sehr gutes Fitnessprogramm für den Reiter darstellt. Wer sie regelmäßig intensiv betreibt, verbrennt eine Menge Kalorien und eignet sich Ausdauer an.
Alle Formen der Arbeit sollten einander grundsätzlich sinnvoll unterstützen.
Ein gewisser Nachteil der Arbeit am Langen Zügel besteht darin, dass es schwieriger ist, eine gute Seitenbiegung auszuarbeiten als unter dem Sattel. Und da dem abgesessenen Reiter gewisse Geschwindigkeitsgrenzen gesetzt sind, besteht die Gefahr, dass das Pferd anfängt sich zu verhalten und steifer zu werden. Daher sollte die Langzügelarbeit nicht ausschließlich betrieben, sondern das Pferd auch regelmäßig unter dem Sattel gearbeitet werden, damit die Seitenbiegung und der Vorwärtsdrang nicht verloren gehen und sich beide Methoden sinnvoll ergänzen können.
VORAUSSETZUNGEN
Wallach Furia mit Andreas Evertz. Das war Furias vierte Einheit am Langen Zügel und sein erster Galopp! (Foto: Shana Ritter)
Der richtige Zeitpunkt
Da der größte Teil der Arbeit am Langen Zügel im versammelten Trab und Galopp stattfindet, sollte nicht zu früh damit begonnen werden. Die Klasse L ist ein guter Anhaltspunkt. Pferde, die in ihrer Ausbildung noch nicht bis dahin gediehen sind, können sich noch nicht genug versammeln, was der Reiter dann ausgleichen muss, indem er selbst mit dem Arbeitstrab und Arbeitsgalopp Schritt hält. Bei kleineren Pferden ist das innerhalb gewisser Grenzen oft noch möglich, vor allem wenn der Reiter groß ist. Überschreitet das Stockmaß jedoch eine bestimmte Höhe, wird es schwierig. Auch besitzt nicht jeder Reiter die hierfür notwendige Fitness, Bein- oder Schrittlänge.
Die Versammlungsfähigkeit des Pferdes diktiert, wie sehr man vorwärtsreiten muss (unter dem Sattel genauso wie am Langen Zügel), damit es nicht hinter die Hilfen gerät und sich keine Steifheiten einschleichen. Kommt der Reiter nicht mit dem Mindesttempo des Pferdes mit, hält er es unvermeidlich mit der Hand zurück und schafft damit innerhalb kürzester Zeit Probleme. In solchen Fällen muss man die Versammlungsfähigkeit des Pferdes erst unter dem Sattel weiter fördern und die Langzügelarbeit vorerst zurückstellen.
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