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Hoffnung für ein verlassenes Kind
…und plötzlich war eine Cousine da
»Normalerweise nehmen wir nur Lehrkräfte mit Berufserfahrung«, sagte Erich Knobel, Leiter der deutschen Schule im südamerikanischen Montelindo. Er umfing die jugendliche Erscheinung im bunten Batik-Look mit einem skeptischen Blick.
»Ach wissen Sie, es wird jetzt überall gespart«, entgegnete Kati Busch unbeschwert, »je länger man im Dienst ist, um so höher sind die Bezüge. Ich dagegen als Berufsanfänger bin heilfroh, überhaupt unterzukommen und daher ausgesprochen preiswert.«
Sie ordnete die Falten ihres locker fallenden Baumwollgewandes, das sie offensichtlich an einem der staubigen Straßenstände in ihrer neuen Heimat erworben hatte, und schenkte ihrem zukünftigen Chef ein gewinnendes Lächeln.
Er seufzte, blätterte in den Unterlagen auf seinem Schreibtisch und gab zu bedenken, daß zwischen Studium und Praxis ein gewaltiger Unterschied liege, nicht nur bei Medizinern, sondern auch bei Lehrern. Am täglichen Umgang mit Kindern seien schon viele nach bestandenem Examen gescheitert.
»Also in diesem Punkt kann ich Sie beruhigen«, erklärte Kati Busch vergnügt, »wir sind zu Hause fünf Geschwister, und ich bin die Zweitälteste. An alles, was da anfällt, bin ich gewöhnt. Krach und Zoff, wenn Sie das meinen, machen mir nichts aus.«
Erich Knobel gab sich geschlagen.
Zwar hatte Katharina Busch aus dem niederrheinischen Battenberg seine Bedenken keineswegs zerstreut, aber da sie nun einmal da war, mußte man ihr eine Chance geben, mindestens ein Jahr lang.
»Sprechen Sie Spanisch?« fragte er der Ordnung halber.
»Als ich die Zusage bekam, habe ich gleich einen Crash-Kursus gemacht«, war die offene Antwort.
»Aha. Nun, dies ist eine deutsche Schule, und die erste Sprache ist natürlich Deutsch. Trotzdem sind Kenntnisse in der Landessprache unerläßlich. Warum, wenn ich so neugierig sein darf, haben Sie sich um eine Stelle in Montelindo beworben?«
»Oh, ich war nicht auf diese Gegend fixiert. Ich wäre auch nach Alaska gegangen oder nach Südafrika. Aber man muß nehmen, was man kriegt, nicht wahr? Ich wollte unbedingt weg, weit weg. Das war mir die Hauptsache.«
»Aha«, murmelte Erich Knobel, räusperte sich und fügte hinzu: »So so.« Weiter zu fragen verbot ihm seine Zurückhaltung, aber das brauchte er auch gar nicht, denn Kati Busch schlug die klarblauen Augen vertrauensvoll zu ihm auf und bekannte freimütig, ihre Gründe seien persönlicher Art gewesen.
»Beziehungsstreß, wissen Sie.«
Der im Auslandsdienst ergraute Schulmann Erich Knobel wußte keineswegs, was damit gemeint war. Die neue Generation, die da in der alten Heimat heranwuchs, brachte nicht nur andere Gewohnheiten und Gedankengänge mit. Sie hatte offenbar auch andere Sprachregeln entwickelt.
»Beziehungsstreß«, wiederholte er stirnrunzelnd, »was genau ist darunter zu verstehen?«
»Na ja, ich war drei Jahre lang mit Achim zusammen, so ähnlich wie verlobt, wissen Sie. Aber eines Tages kamen wir nicht mehr klar miteinander. Wenn ich keinen Schlußstrich gezogen hätte, dann wäre das noch ewig so gegangen. Für mich ist es bestimmt das Beste, die Tapeten zu wechseln und mit ganz anderen Problemen konfrontiert zu werden.«
»Hoffentlich haben Sie sich nicht zuviel vorgenommen«, murmelte Erich Knobel und fuhr sich mit der Hand durchs dichte weiße Haar, »ein Tapetenwechsel von Battenberg nach Montelindo ist ziemlich kraß, und die Probleme, mit denen Sie es hier zu tun kriegen, sind nicht zu unterschätzen. Wir arbeiten seit dreißig Jahren in diesen Ländern, meine Frau und ich, und bis heute haben wir uns an manche Härten nicht gewöhnen können. Aber vielleicht bleibt Ihnen der Einblick in die hiesige Welt erspart, denn innerhalb unserer Schule spielt sich alles im gewohnten europäischen Rahmen ab. Wir singen sogar deutsche Volkslieder«, fügte er lächelnd hinzu. In die kleine Pause, die er seinen Worten folgen ließ, wehte zweistimmig aus dem Innenhof eine fast vergessene Weise herein: »Wenn alle Brünnlein fließen…«
Kati traute ihren Ohren nicht.
Kaum zu glauben, dachte sie, bei uns zu Hause wird ja sogar in der Kirche eher Gospelmusik gespielt als schlichtes deutsches Liedgut! Na, macht nichts. Da lerne ich eben noch was dazu.
Die anschließende Besichtigung der Schule versetzte sie in erneutes Erstaunen. Alle Klassenräume lagen in Einzel-Bungalows, die durch lauschige, blumengeschmückte Innenhöfe miteinander verbunden waren. Vom Kindergarten bis zum Abitur reichte das Angebot. Für alles war gesorgt, von morgens um halb neun bis nachmittags um vier Uhr. Es gab eine umfangreiche Bibliothek, einen Musiksaal mit Instrumenten, gut bestückte Räumlichkeiten für naturwissenschaftliche Fächer, viel Luft und Licht und Spielgerät für die Kleinen.
Eine großzügigere Anlage war nicht vorstellbar.
»Ja, ja«, lächelte Angelika Knobel, die Frau des Schulleiters, eine zeitlose Erscheinung mit jungem Gesicht unter sonnengebleichtem Haar, »hier bei uns ist die Welt noch in Ordnung. Wir wollen Sie bei den Erstkläßlern einsetzen. Ist Ihnen das recht?«
»Aber ja, aber sicher«, beeilte sich Kati atemlos zuzustimmen, »ich fülle jeden Platz aus, den Sie mir zuweisen.«
»Fein, dann können Sie am Montagmorgen anfangen. Das Wochenende werden Sie brauchen, um Ihre Sachen auszupacken und sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Wissen Sie schon, wo Sie wohnen?«
»Nein, ich bin gestern mit einem Gutschein für das Hotel Imperial angekommen, aber der gilt nur für zwei Nächte.«
»Machen Sie sich darum keine Sorgen. Alle ausländischen Kräfte werden für die Dauer ihres Aufenthalts ganz in der Nähe untergebracht. Warten wir noch bis zur großen Pause, dann gehe ich mit Ihnen hinüber.«
Die Wohnsiedlung war in der gleichen offenen Bauweise angelegt wie die Schule, und zu Katis sprachloser Verwunderung erhielt sie einen eigenen kleinen Bungalow mit Innenhof und Vordergärtchen, sowie einer mütterlichen, einheimischen Zugehfrau namens Serafina.
»Ich kann’s nicht fassen«, sagte sie zu Frau Knobel, die ihr das Schlafzimmer mit den eingebauten Schränken, den luftigen großen Wohnraum und die perfekt eingerichtete Küche zeigte, »in meinem ganzen Leben habe ich nicht so komfortabel gewohnt.«
»Dafür müssen Sie auf einiges andere verzichten«, erwiderte die Frau des Schulleiters mit ihrem verhaltenen Lächeln, »zum Beispiel auf ein Auto, das importiert werden müßte und daher in der Anschaffung viel zu teuer wäre.«
»Ach, daran bin ich sowieso nicht