Kati den Gemüseeintopf, der gleichzeitig fertig war, später in den Kühlschrank stellte für den nächsten Tag, den Sonntag, an dem Serafina frei hatte.
Abends um sechs Uhr landete ein Ping-Pong-Bällchen im Patio, das an die Happy Hour bei Nachbar Christof erinnerte, woraufhin sich Kati in einen langen Rock mit Bluse und Westchen warf und hinüberging. Sie fand ein kleines Grüppchen internationaler Jugend vor, bunte Vögel aus aller Herren Länder, die um acht Uhr abends loszogen zum Steak-Essen in einer Hazienda.
»Komm doch mit!« rief Christof.
Kati schüttelte entschieden den Kopf.
»Warum denn nicht?«
»Ich gehe doch nicht in ein Restaurant, wenn ich den ganzen Kühlschrank voll leckerer Sachen habe!«
Christof runzelte verdutzt die Stirn.
»Wenn du das so siehst, wirst du in Montelindo nie anderswo essen als zu Hause. Serafina wird dich immer mit allem versorgen! Sie ist eine Weltmeisterin im Kochen!«
Kati zuckte die Schultern, winkte der Gruppe zum Abschied zu und fiel im Hinausgehen fast über den Motorroller, der mitten im Wohnzimmer stand.
Höchste Zeit, daß ich hier wegkomme, dachte sie, ich bin ja schon leicht benebelt. Nach nur zwei Drinks! Aber die hatten es in sich! Meine Güte! Das scheint ja eine trinkfeste Bande zu sein! Im Vergleich dazu bin ich überhaupt nicht im Training!
In dieser Nacht schlief Kati so fest, daß sie weder die Rückkehr der feucht-fröhlichen Gesellschaft hörte noch die Klopfgeräusche an ihrer Wohnzimmerwand. Dafür war sie am Sonntagmorgen gegen acht Uhr so ausgeruht und munter, daß sie beschloß, in die Kirche zu gehen und eine Messe zu erleben. Anschließend, da alle Geschäfte offen waren, kaufte sie sich ein Eis, zwei kleine Brötchen und ein buntes Stirnband. Dann schlenderte sie gemächlich nach Hause.
*
»Hallo, Professora!« rief eine krächzende Stimme aus dem Nachbarpatio.
Kati, die reglos an ihrem runden Eßtisch über der aufgeschlagenen Zeitung saß, hob unwillig den Kopf.
»Nur der Ordnung halber«, gab sie knapp zurück, »ich bin Grundschullehrerin, nichts weiter!«
»Egal. Hier werden alle Lehrer mit Professor angesprochen. Warum bist du denn so grantig, hm? Du hast doch gar keinen Grund dazu!«
»Woher willst du das wissen?«
»Weil du garantiert keinen Kater hast!«
»Du vielleicht?«
»Und ob! Ich habe mir gerade einen Tomatensaft mit Salz und Pfeffer gegönnt und einen heiligen Eid abgelegt!«
»Ach wirklich? Welchen denn?«
»Keinen Rum mehr zu kaufen, keine Cocktails mehr zu mischen und keine Happy Hour mehr zu veranstalten, zumindest keine, die länger als zwei Stunden dauert.«
»Ein löblicher Vorsatz! Wie oft hast du ihn schon gefaßt?«
»Mehrmals, ich gebe es zu, und meistens am Sonntag nach dem Aufwachen. Aber diesmal mache ich Ernst damit. Ehrlich. Sag mal, was treibst du eigentlich?«
»Ich lese die Zeitung.«
»Du hast nicht zufällig trockenes Brot im Haus?«
»Nur ein Brötchen und Toastbrot. Warum? Verträgt dein Magen nichts anderes?«
»Du sagst es.«
»Kommst du über die Mauer oder durch die Vordertür?«
»Frühsport steht heute nicht auf meinem Programm«, war die resignierte Antwort, »einen Klimmzug über die Zwei-Meter-Hürde würde ich auch gar nicht schaffen.«
»Schäm dich«, sagte Kati, stand auf und ging zur Vordertür.
Er trug pludrige bunte Baumwollhosen, ein ärmelloses rotes Shirt und ein Glas mit roter Flüssigkeit in der Hand.
»Aha, der Tomatensaft«, bemerkte Kati.
»Wenn ich ihn in deiner Gesellschaft trinken dürfte? Da schmeckt er zwar auch noch herb genug, aber so – ganz allein – kriege ich ihn überhaupt nicht runter«, murmelte Christof und schob sich durch die Tür.
Mit unverhüllter Neugier musterte er die winzigen Veränderungen, die Kati im Wohnzimmer vorgenommen hatte: eine dicke, blaue Kerze in einem Keramikleuchter stand auf der steinernen Fensterbank, zwei runde Kissen mit Sonnenmuster hellten das graue Sofa auf und eine kleine Fotosammlung in bunten Rahmen füllten das Ecktischchen.
»Du hast dich ja schon richtig häuslich eingerichtet«, stellte er anerkennend fest, »in zwei Tagen sieht es bei dir ja wirklich wohnlicher aus als bei mir nach zwei Jahren.«
»Ich brauche eben keinen Motorroller unterzubringen.«
»Richtig! Ich wünschte, ich hätte eine Garage! Wenn ich das Ding vor der Haustür abstelle, ist es binnen vierundzwanzig Stunden geklaut.«
»Na komm«, sagte Kati gnädig, »setz dich in mein Freiluft-Eßzimmer und iß ein trockenes Brötchen zu deinem schauderhaften Gemüsegebräu.«
Christof tat, wie ihm geheißen, schob die Zeitung beiseite und stellte sein Glas auf der blauen Tischdecke ab.
»Du kannst schon Spanisch lesen?«
»Mehr schlecht und recht. Serafina meint, es wäre eine gute Übung.«
»Ganz bestimmt. Aus dem gleichen Grund habe ich deutsche Illustrierten gelesen, bevor ich den Job in der Botschaft bekam.«
»Du mußtest Deutsch lernen, obwohl du Deutscher bist?« fragte Kati ungläubig.
Er rührte mit einem Strohhalm in seinem Glas, nahm das Brötchen entgegen und schenkte ihr ein dankbares Lächeln.
»Das wird mir guttun. Nun, ich mußte es nicht eigentlich lernen, dafür sorgten meine Mutter und die Lehrer in der deutschen Schule. Aber ich mußte höllisch aufpassen, daß ich es nicht gleich wieder verlerne. So was geht schneller, als man denkt, wenn man hier zu Hause ist und Deutschland nur vom Hörensagen kennt. Verstehst du?«
Ja, das verstand Kati durchaus.
Sie füllte sich ein Glas Zitronenlimonade aus dem großen Krug, den Serafina bereitet hatte, und setzte sich zu Christof an den Tisch. »Hör mal«, begann sie mit verhaltener Stimme und schob ihm die aufgeschlagene Zeitung zu, »da du dich hier so gut auskennst – kannst du mir sagen, was das soll?«
Er trank seinen Tomatensaft aus, kniff die Augen zusammen, schüttelte sich und beugte sich über das Blatt.
Das Brötchen knabbernd studierte er die vier verschwommenen Kinderfotos und die dazugehörigen Textspalten, während Kati an ihrer Limonade nippte.
»Das sind die ausgesetzten Kinder dieser Woche«, sagte er langsam, »sie wurden auf den Stufen der Kolonialkirche gefunden, gleich da drüben.«
»Ich weiß, wo sie liegt, ich war heute morgen dort in der Messe! Aber Christof, das ist doch erschütternd! Darüber kann ich doch nicht einfach hinwegblättern! Sieh dir doch mal dieses Gesichtchen an! Diese Verzweiflung! Bei einem sechs Monate alten Kind! Das ist ja nicht auszuhalten!«
Christof seufzte, warf sein feuchtes, frischgewaschenes Blondhaar zurück und beugte sich wieder über die Zeitung.
»Miguel Lesanto«, las er halblaut. »Tatsächlich, da steht, daß er ein halbes Jahr alt ist.«
»Aber woher wissen sie, wie er heißt?«
»Sie wissen es nicht. Sie geben jedem Kind einen Namen, sobald es im Waisenhaus aufgenommen wird. Irgendwie müssen sie es schließlich nennen.«
»Ja, natürlich, das sehe ich ein. Mit der Veröffentlichung werden Familien für diese Kinder gesucht, nicht wahr?«
»Genau.«
»Und wie stehen die Chancen?«
»Keine Ahnung.«