zu etwas Dramatischem hergaben und sich nicht mit Gladiatorspielen, Tierhetzen und dergleichen begnügten. Die skurrile Seite der Mythologie liess man ganz absichtlich überwiegen276; alle Ehebrüche Juppiters, auch wenn er dabei als Tier verwandelt auftrat, alle Skandale der Venus kamen hier unter lautem Gelächter zur Darstellung; selbst in die gewöhnlichen Possen (Mimen) mischte man Göttererscheinungen ein, wahrscheinlich von derselben Gattung. Ein aristophanisches Publikum konnte dergleichen ertragen, ohne an den Göttern selbst irre zu werden; in einer kranken Zeit dagegen war es der Gnadenstoss für die alte Religion überhaupt. – Gehen wir von dieser Sphäre, in welcher der Ballettmeister und der Maschinist walteten, zu der Kunstpoesie über, soweit wir sie in den wenigen erhaltenen Sachen vom Ende des dritten Jahrhunderts verfolgen können, so zeigt sich zwar noch stellenweise ein grosses Talent mythologischer Behandlung, welche sogar hundert Jahre später in Claudian ihren brillantesten Vertreter findet; allein die letzte Spur von innerer Überzeugung ist längst erloschen. Das Gedicht eines gewissen Reposianus277 zum Beispiel, welcher um das Jahr 300 geblüht haben mag, schildert das Beilager des Mars und der Venus durchaus mit derselben Absicht, welche wir in den Pantomimen voraussetzen dürfen: sinnlich hübsche Bilder, wobei es auf eine Gemeinheit mehr oder weniger nicht ankömmt. Venus, die auf den Kriegsgott wartet, vertreibt sich die Zeit mit Tanzen, und der Dichter schildert mit einem sehr entwickelten Sinn für die Koketterie seiner Zeit ihre einzelnen Attitüden; dann ruft er, als Mars erscheint, zu dessen Entkleidung den Cupido, die Grazien und die Mädchen von Byblos herbei. Aber welch ein Mars ist dies! Ebenso absichtlich ungeschlacht als die Göttin buhlerisch. Bleischwer lässt er sich auf das Blumenlager niederfallen, und bei der Schilderung seines Schlafes wird dem Leser selbst das lüsterne Röcheln nicht erspart. Wenn zum Beispiel Rubens sich auf seine Weise in dem antiken Mythus ergeht, so kann er wieder versöhnen durch den Eindruck einer zwar verirrten, aber gewaltigen Energie; hier aber stehen wir auf der letzten möglichen Stufe der Entwürdigung der alten Göttersage, ohne durch etwas anderes als durch hübsche Verse entschädigt zu werden. Ein satirischer Christ hätte es nicht zweckmässiger anfangen können, und man wäre in der Tat zu einer derartigen Erklärung bereit, wenn nicht das niedliche Bild des Cupido dazwischen träte, welcher die abgelegten Waffen des Mars neugierig mustert, sie mit Blumen ausputzt und sich nachher beim polternden Eintritt des eifersüchtigen Vulcan unter den Helm verkriecht. – Es gab indes auch Dichter, welchen die Mythologie als eine ausgetretene Strasse gänzlich verleidet war. »Wer hat nicht schon«, ruft Nemesian aus, »den Jammer der verwaisten Niobe besungen, und die Semele, und . . .« (nun folgen dreissig Hexameter Mythentitel). »Das alles hat eine Schar grosser Dichter vorweggenommen, und die ganze Sage der alten Welt ist ausgenützt278«. Der Poet wendet sich daher zu den grünen Wäldern und Heiden, doch nicht, um eine Landschaftsdichtung zu schaffen, sondern um auf sein eigentliches Thema, die Zucht der Jagdhunde, zu kommen. Nachher, wenn er damit zu Ende sein wird, gedenkt er auch die Taten seiner Gönner, der Caesaren Carinus und Numerianus, zu besingen. – Ein ähnliches Gefühl hatte schon seit langer Zeit, namentlich bei den Römern, der didaktischen Poesie jene auffallend vorteilhafte Stellung gegenüber der epischen verschafft; allein so mit dürren Worten hatte man wohl diesen Vorzug noch nie ausgesprochen279. – Ein sehr liebliches Gedicht mythologischen Inhalts, der »Bacchus« des Calpurnius Siculus (Ekloge III), mag hier noch besonders angeführt werden, weil es auf merkwürdige Weise abhängig ist von den Werken der bildenden Kunst; es erinnert an die Gemäldebeschreibungen des Philostratus, die es freilich im Stil weit übertrifft. Da fehlt auch der greise Silenus nicht, welcher als Kindswärter den kleinen Bacchus auf den Armen wiegt, zum Lachen bringt, ihm mit Castagnetten vorspielt, sich gutwillig von ihm an Ohren, Kinn und Brusthaar zupfen lässt; nachher lehrt der heranwachsende Gott die Satyrn die erste Weinlese, bis sie, von dem neuen Trank berauscht, sich mit Most bemalen und Nymphen entführen. Dieses Bacchanal, wobei der Gott auch seinen Panthern aus dem Mischkruge zu saufen gibt, ist eines der letzten antiken Werke von lebendiger Schönheit280.
Man wird indes nach all diesem zugeben, dass die Mythologie eher eine Last als eine Stütze für die sinkende klassische Religion war. Von der philosophischen Deutung, womit man die Mythen aufrecht zu halten und zu rechtfertigen suchte, wird weiterhin die Rede sein.
Aber diese klassische Religion war noch auf andere Weise getrübt und gebrochen, nämlich durch Mischung mit den Kulturen der unterworfenen Provinzen und des Auslandes. Wir stehen im Zeitalter der vollendeten Theokrasie (Göttermischung).
Dieselbe war eingetreten nicht durch die Völkermischung im Reiche281, oder durch Willkür und Mode allein, sondern durch einen uralten Trieb der vielgötterischen Religionen, sich einander zu nähern, die Ähnlichkeiten aufzusuchen und zu Identitäten zu erheben. Zu allen Zeiten ist dann aus den Parallelen dieser Art die reizende Idee einer gemeinsamen Urreligion hervorgegangen, die sich jeder auf seine Weise ausmalt, der Polytheist anders als der Monotheist282. So suchten und fanden sich, teils unbewusst, teils mit philosophischem Bewusstsein, die Bekenner ähnlicher Gottheiten vor denselben Altären. Man erkannte die hellenische Aphrodite gern wieder in der Astarte der Vorderasiaten, in der Athyr der Ägypter, der Himmlischen Göttin der Karthager, und so ging es der Reihe nach mit einer ganzen Anzahl von Gottheiten. Dies ist es auch, was noch in der spätern römischen Zeit vorzüglich beachtet werden muss; die Göttermischung ist zugleich auch eine Götterverwechselung; die Fremdgottheiten verbreiten sich nicht nur neben den einheimischen, sondern sie werden denselben je nach der innern Verwandtschaft geradezu substituiert.
Als eine zweite Ursache der Theokrasie erkennt man die gewissermassen politische Anerkennung, welche der Grieche und Römer, ja der Polytheist überhaupt den Göttern anderer Völker zollt. Sie sind ihm Götter, wenn auch nicht die seinigen. Kein strenges dogmatisches System hütet hier die Grenzen des heimischen Glaubens; so strenge auch die vaterländischen Superstitionen gewahrt werden, so fühlt man doch gegen die fremden eher Neigung als Hass. Einzelne feierliche Götterübertragungen von Land zu Land werden von Orakeln und andern überirdischen Mahnungen geradezu befohlen; so die des Serapis von Sinope nach Alexandrien unter Ptolemaeus dem Ersten283, und die der Grossen pessinuntischen Mutter nach Rom während des zweiten Punischen Krieges. Bei den Römern war es dann fast zum bewussten halb politischen, halb religiösen Prinzip geworden, die Götter der vielen unterworfenen Nationen nicht zu beleidigen, eher ihnen Verehrung zu erweisen, ja sie unter die eigenen Götter aufzunehmen. Das Benehmen der Provinzen war hiebei ein sehr verschiedenes; der Kleinasiate zum Beispiel kam bereitwillig entgegen; der Ägypter dagegen hielt sich spröde und übersetzte, was er von Ptolemäern und Römern annahm, in seinen Ritus und seine Kunstform, während ihm der Römer den Gefallen tat, die ägyptischen Götter wenigstens annähernd auch in ägyptischer Gestalt zu verehren. Der Jude endlich liess sich mit der römischen Religion gar nicht ein, indes die Römer von gutem Ton seinen Sabbath beobachteten, und die Imperatoren im Tempel auf Moriah zu beten kamen. Es gestaltet sich, wie wir sogleich sehen werden, eine teils mehr aktive, teils mehr passive Göttermischung.
Eine dritte Ursache des Überhandnehmens der Fremdkulte lag in der Furcht und Angst, welche den gegen die bisherigen Götter ungläubig gewordenen Heiden verfolgt. Jetzt hiess es nicht mehr in dem schönen Sinn früherer Jahrhunderte »Götter überall«, sondern der Denkende suchte täglich neue Symbole, der Gedankenlose täglich neue Fetische, die um so willkommener waren, je ferner und geheimnisvoller ihre Herkunft schien. Die Verwirrung musste hier noch aus einem besondern Grunde sich vervielfältigen. Der Polytheismus alter Kulturvölker lebt nämlich auf allen seinen Entwicklungsstufen284 zugleich fort, als Fetischismus betet er fortwährend zu Aerolithen und Amuletten, als Sabäismus zu Gestirnen und Elementen, als Anthropomorphismus teils zu Naturgöttern, teils zu Schutzgöttern des