nun einmal die Scheu vor den Fremdgöttern völlig verschwunden war, wenn man namentlich in dem orientalischen Kultus den übermächtigen Reiz des Geheimnisvollen fand, so war überhaupt nicht mehr vorauszusagen, wo diese Aneignung des Fremden innehalten werde345. Schon drangen mit der neuplatonischen Philosophie und mit dem Manichäismus nicht bloss persische, sondern selbst indische Religionsprinzipien in die römische Welt ein; was sich irgendein geheimnisvolles Ansehen geben und auf eine Affinität mit dem römischen Götterwesen Anspruch machen konnte, war der Aufnahme sicher.
Es sind gerade aus dieser spätem römischen Zeit zahlreiche Inschriften vorhanden, welche »allen Göttern und Göttinnen«, »allen Himmlischen«, »der Versammlung der Götter« usw. gewidmet sind. Ohne Zweifel gedachte man dabei auch der fremden Götter, deren keiner beleidigt werden sollte. Oft übertrug man auch die Attribute einer ganzen Anzahl einheimischer und fremder Gottheiten auf eine Gestalt, die man als Deus Pantheus, als »allgöttlicher Gott«, bezeichnet wurde. So kommt Silvanus Pantheus, Liber Pantheus vor; an Bildern der Fortuna sieht man ausser dem ihr zukommenden Ruder und Füllhorn auch den Brustharnisch der Minerva, den Lotos der Isis, den Donnerkeil des Juppiter, das Hirschfell des Bacchus, den Hahn des Aesculap usw. Es ist dies vielleicht nur ein kompendiöser Ausdruck für die ganze Götterschar und muss somit wohl unterschieden werden von dem philosophischen Monotheismus, welcher (vgl. unten) eine wirkliche Identität sämtlicher Götter in einem höchsten Wesen anerkannte.
Es gibt eine bekannte Aussage des Philosophen Themistius346 aus einer beträchtlich spätern Zeit, da der Kaiser Valens als Arianer die rechtgläubigen Christen auf das bitterste verfolgte. »Es dürfe«, meinte der Philosoph, »die Glaubenszwietracht unter den Christen nicht befremden; sie komme gar nicht in Betracht neben der Masse und der Konfusion der verschiedenen heidnischen Glaubensansichten. Denn da gebe es über dreihundert Sekten, sintemal die Gottheit auf verschiedene Weise verherrlicht sein wolle und nur um so viel grössern Respekt geniesse, je weniger ihre Erkenntnis gleichmässig jedermanns Sache sei.« – Die angegebene Zahl möchte wohl hoch genommen sein, auch schliessen sich diese heidnischen Sekten, Dogmata, in der Regel nicht aus wie die christlichen, so dass man mehrern zugleich angehören konnte. Allein schon dreihundert verschiedene Arten der Götterverehrung, selbst wenn sie sich nicht widersprachen, zeugen von einer Zersplitterung des Heidentums, welche durch die blossen Fremdgötter nicht hervorgebracht worden wäre. Wir werden nun zu zeigen haben, wie nicht bloss durch die Gegenstände, sondern vorzüglich durch die innern Prinzipien des Kultus eine unendliche Mannigfaltigkeit in die verfallende heidnische Religion hineinkommen musste, während zugleich grosse durchgehende Tendenzen auf Vereinfachung hindrängen.
Fußnoten
260 Chastel, Hist. de la destruction du Paganisme dans l'emp. d'Orient, p. 36.
261 Euseb., Hist. eccl. IV, 23. VI, 43. VII, 5.
262 Schlosser, Univ. hist. Übersicht d. alten Welt, III, 2, S. 119.
263 Lactantius, Divin. Inst. III, 12 schliesst seine Untersuchung über das höchste Gut mit den Worten ab: id vero nihil aliud potest esse quam immortalitas.
264 Aus der hiehergehörigen Literatur sind vorzüglich zu nennen: Tzschirner, Der Fall des Heidentumes (herausg. von Niedner, unvollendet); Beugnot, Hist. de la destruction du Paganisme en occident, 2 vol.; Chastel, Hist. de la destr. du Paganisme dans l'empire d'Orient. – Eckermann, Lehrb. d. Religionsgesch. und Mythol., Bd. II, S. 205 ff. – Endlich die grosse zusammenhängende Darstellung der religiösen Zustände im ersten und zweiten Jahrh. bei Friedländer, Sittengeschichte Roms. Bd. III, S. 423 ff.
265 Vgl. Gerlach und Bachofen, Geschichte der Römer, Bd. I, Abtlg. 2, S. 211 ff. – Eine merkwürdige Beratung der sibyllinischen Bücher bei Aurel. Vict., Epitome, bei Anlass des Claudius Gothicus.
266 Firmicus Maternus, Libri Matheseos II, c. 33. – Die wunderbaren Heilungen, welche man zu Alexandrien schon von Vespasian verlangt: Tacit., Histor. IV, 81.
267 Bei Wernsdorf, Poetae Lat. min. V, pars II.
268 De mort. pers. 10, 11. Seine Sorge wegen ominöser Blitze, Const. M., Orat. ad sanctor. coet., c. 25. – Vgl. S. 62.
269 Eine Weiheinschrift Diocletians an Mithras kommt allerdings vor bei Orelli Nr. 1051, eine an Sol und eine an Belenus bei Bertoli, Le antichità d'Aquileja Nr. 71 und 643. – Sein Tempelbau in Antiochia gilt nur klassischen Göttern, dem Olympischen Zeus, der Nemesis, dem Apoll und der Hekate; vgl. Malalas XII. Über die Religion des Gallienus, welcher in der Reichsnot alle alten Götter als Erhalter auf seinen Münzreversen anruft, vgl. Creuzer, »Zur röm. Gesch. und Alt.-Kunde«. Ob er auch die ägyptischen und orientalischen Gottheiten verehrte, die auf den damaligen alexandrinischen und asiatischen Stadtmünzen mit seinem und der Salonina Bilde vorkommen, ist wohl nicht ganz so sicher, wie die treffliche Abhandlung annimmt.
270 Hist. Aug., Marc. Aurel., c. 19. – Aus einem Kalender der spätern Zeit des vierten Jahrhunderts (Kollar, Analecta Vindobon. I) lernen wir, dass damals noch die Geburtstage (natales, welches auch den Tag des Reichsantritts bezeichnen kann) folgender Kaiser gefeiert wurden: Augustus, Vespasian, Titus, Nerva, Trajan, Hadrian, Marc Aurel, Pertinax, (Septimius?) Severus, Alexander Severus, Gordian, Claudius Gothicus, Aurelian, Probus, sowie natürlich Constantin und sein Haus. – Freilich auch der Kultus des Antinous dauerte noch bis ins vierte Jahrhundert.
271 Arnob., Adversus gentes l. I u. IV zu Anfang. – Lactant., Inst, divin. I, 20.
272 Sie kommen nämlich weder in den Inschriften noch in den Denkmälern vor.
273 Vgl. schon Apuleius, De magia oratio, p. 62, ed. Bipont. vol. II, wonach für einen Grundbesitzer lapis unctus, ramus coronatus das mindeste waren, was dessen Andacht bewies.
274 Die Demut bei Stoikern wie Epiktet bestätigt als Ausnahme nur die Regel.
275 Auch wohl mit Gesang. – Lucian., De saltatione, passim. – Meyer, Antholog. Lat., ep. 954.
276 Vgl. u. a. Arnobius, Adv. gentes IV, pag. 151 und VII, pag. 238. – Firmicus, De errore, pag. 10.
277 Bei Wernsdorf, Poetae Lat. m. IV, pars I.
278 Nemes., Cynegeticon, Vs. 47 omnis et antiqui vulgata est fabala saecli. – Vom J. 283.