Christoph Strasser

Starke Seiten - Radsport


Скачать книгу

und ein stärkeres Immunsystem, lautete seine Rechnung. Es war nämlich schon Jahre zuvor ersichtlich gewesen, dass ich zu viel trainiert und zu wenig regeneriert hatte. Zur damaligen Zeit verzeichnete ich mit Trainings auf nüchternen Magen große Leistungsanstiege, war aber auch öfter verkühlt oder kränklich. Dreißig Trainingsstunden pro Woche bei gleichzeitiger Kohlenhydratreduktion hatten mein Immunsystem geschwächt. Dem proteinbasierten Paleo-Prinzip bin ich zwar auch weiterhin treu, doch ich achte auch auf die Einnahme von genügend Kohlenhydraten, wobei ich aber so gut es geht auf Milch- und Getreideprodukte verzichte. Das Nüchterntraining betreibe ich heute nur mehr bis zu zweimal pro Woche und beginne dabei nach einigen Stunden zu essen. Weil es mir also körperlich gut ging und weil ich mental beflügelt war, entschied meine Crew, dass wir die zweite Nacht ohne Pause durchstehen würden. Während Marko Baloh nach dem Monument Valley bei der Time Station Mexican Hat für zwei Stunden pausierte, fuhren wir noch einen Streckenabschnitt weiter.

      „Wann gibt’s denn endlich eine Pause für mich?“, funkte ich leicht sauer meiner Crew.

      Rainer antwortete mit einer Feststellung auf meine Frage:

      „Weißt, bis Montezuma Creek ohne eine Schlafpause hat es nur Jure Robic geschafft.“

      Das war Information und Motivation genug für mich, und angespornt von diesen Worten hielt ich bis 6 Uhr Früh durch. Dann stand auch für mich die erste einstündige Pause an.

image

       DER TOD FÄHRT IMMER MIT

      Antoine Blondin war ein echter Chronist. Er war bei der Tour de France, als diese ihren ersten Todesfall zu beklagen hatte, den Briten Tom Simpson. Er sah die Fahrer, wie sie erschüttert waren von der Nachricht vom Ableben eines der Ihren. Er war auch präsent, als das Peloton am Tag danach die Etappe nur langsam bestritt und es Simpsons Freund Barry Hoban erlaubte, als Erster den Zielstrich zu passieren; Hoban heiratete zwei Jahre später die Witwe Simpsons und wurde zum Vater für dessen Kinder.

      Blondin hatte zuvor Freude daran gehabt, den Mann von der Insel als bunten Vogel des Radsports zu porträtieren, der den Stil von Eton und Windsor in die proletarisch geprägte Radsportwelt auf dem Kontinent einführte.

      Nun, in Eton hatte Simpson nicht studiert. Er war Sohn eines Bergarbeiters und holte sich als junger Bursche wie einst Fausto Coppi seine Ausdauer auf dem Rad durch das Ausliefern von Lebensmitteln beziehungsweise Fleischwaren (Coppi). Zum Ritter wurde er auch nicht geschlagen - im Gegensatz zu Bradley Wiggins, seinem Nachfolger als britischer Radsportstar. Für extravaganten Stil aber sorgte Simpson. Fernsehaufnahmen aus den Sechzigerjahren zeigen ihn im Anzug mit Einstecktuch und mit Bowler-Hut auf dem Kopf. Nicht einmal der Stock fehlte. Simpson trat nicht nur im Fernsehen so auf. Sogar zum Rennen ging er so. »Ich habe ihn in solchem Aufzug einmal die Startnummer für die Hölle des Nordens abholen sehen«, erinnert sich Radsportlegende Raymond Poulidor. Zudem liebte Simpson schnelle Autos. Er soll mit Tempo 100 durchs Londoner West End gebraust sein. Simpson, der Straßenweltmeister von 1965 und erster Brite im Gelben Trikot der Tour, mochte mit solchen Eskapaden seine einfache Herkunft kompensiert haben: Das Rad, das er sich in ersten Jahren noch mit anderen teilen musste oder die Brotjobs als Lieferjunge und technischer Zeichner.

      Für den literarischen Husaren Antoine Blondin - er gehörte nicht zufällig dem »Mouvement des Hussards« an - war diese Mischung aus Rasanz und Ästhetik natürlich ein gefundenes Fressen. Simpson wurde zu einem bevorzugten Objekt der Beschreibung. Wegen der Exzentrik, aber auch, weil gerade diese Exzentrik es erlaubt, ihn als bunten Vogel in die Radsportwelt zu integrieren, als »Citoyen« von der Insel, der sich in all seiner Fremdartigkeit auch in den kontinentalen Radsport integriert. Simpson sprach fließend Französisch, wohl auch etwas Italienisch und Flämisch - die Arbeitssprachen jener Zeit im Peloton.

      13. Juli 1967, der letzte Tag, den Simpson erlebte, begann auf die ihm eigene Weise: »Wir stiegen im Hafen von Marseille in ein Boot. Das war kurz vor dem Start zur 13. Etappe von Marseille nach Carpentras«, erzählte sein Kumpel Barry Hoban. Ein Boot wollte Simpson zum Karriereende selbst erwerben - und Touristen vor Korsika ausfahren; er hatte ein Haus auf der Insel gekauft und stellte sich so das Leben nach dem Radsport vor.

      Simpson startete guten Mutes in die Etappe hinauf zum Mont Ventoux. Doch lassen wir Pierre Chany, Chronist und Dauergast auf der Rückbank des roten Peugeot 203, zu Wort kommen: »Es ist glühend heiß, als der Spanier Jimenez angreift, Poulidor heftet sich an seine Fersen. Eine erste Verfolgergruppe formiert sich mit Roger Pingeon, Felice Gimondi und Tom Simpson im weißen Trikot mit dem Union Jack; weiter oberhalb fällt Simpson zurück. Sein Rad schlingert wie ein Boot, der Oberkörper pendelt hin und her, der Kopf ist zur rechten Schulter geneigt, das Gesicht blutleer. Erschöpfung pur. Plötzlich stoppt er und ist umringt von Männern mit bloßen Oberkörpern. Es sind Zuschauer, zufällig an dieser Stelle des Aufstiegs zum Mont Ventoux, dort, wo es längst keine Bäume mehr gibt, die Schatten spenden, wo der Riese der Provence nur noch kahl ist und mehr an eine Mondlandschaft als an eine irdische Gegend erinnert.

      Die Männer halten Simpson. Sie bewahren ihn vor dem Sturz, lassen ihn sanft zu Boden gleiten. Tourarzt Pierre Dumas versucht eine Herzdruckmassage, Mund zu Mund-Beatmung. Jede Hilfe ist vergebens. In den Taschen findet Dumas leere Ampullen von Amphetaminen.«

      Die Autopsie stellt Spuren von Stimulanzien in Simpsons Körper fest. Das macht den Briten zum ersten Dopingtoten der Tour de France - selbst wenn die Ursachen seines Herzstillstands am Ventoux nie lückenlos aufgeklärt wurden. Sicher ist, dass er Amphetamine und Alkohol zu sich nahm. Wahrscheinlich ist auch eine Dehydrierung in der extremen Hitze. Kein Element taugt für sich allein als Todesursache. Die Kombination daraus aber schon. Einige Schakale begannen bei der Tour zu heulen, weil sie tötete.

      Simpson war bei weitem nicht der einzige Doper im Peloton. Allein für sein Todesjahr 1967 sind 48 Radsportler überliefert, die wegen Dopings auffielen, mindestens 35 von ihnen wegen Stimulanzien.

      Exzentrisch war Simpson in seinem Doping also nicht, eher gewöhnlich. Noch nicht einmal im Sterben war er allein. Der Belgier Roger de Wilde erlitt ebenfalls 1967 einen Herzinfarkt wegen der Einnahme von Amphetaminen. Weil dies nur bei einem Kirmesrennen irgendwo in der Provinz passierte, erregte der Fall kaum Aufsehen. Hingegen wurde Simpson auch in den Medien zunehmend zu einem Mythos verklärt, der ähnlich wie Ikarus in seinem Höhenflug der Sonne zu nahe kam und dafür sein Leben ließ. Heutige Radprofis winken einen Gruß in den Himmel, wenn sie seinen Todesort passieren. Trauriger Schlusspunkt eines wilden Lebens.

      Mitarbeit: Tom Mustroph

image

       NO BIG DEAL – ODER DIE SACHE MIT DER SELBSTEINSCHÄTZUNG

       Xandi Meixner

      Ein wolkenverhangener Himmel begrüßt mich, als ich mich am 28. Oktober 2017 im oberösterreichischen Freistadt, wo ich in einem abgewohnten Hotel die letzte Nacht verbracht habe, dick eingemummt und nur mäßig enthusiastisch auf mein Rennrad schwinge, um die 50 Kilometer lange Strecke zu meiner ersten Interviewpartnerin zurückzulegen. Schnell wird mir warm, denn hier im Mühlviertel geht es ständig bergauf und bergab. Ich fahre durch die goldgelbe Herbstlandschaft, der Nebel hängt tief über den Bäumen und eine angenehme Ruhe geht von der mich umgebenden Landschaft aus. Ich begegne nur wenigen Menschen, die Ortschaften sind hier klein und verschlafen. Ich fahre entlang der tschechischen Grenze, auf der Strecke des Race Around Austria. Irgendwie passend, um mich auf das bevorstehende Gespräch vorzubereiten. Dr. Alexandra Meixner, mit ihr werde ich mich heute unterhalten. Wir tauschten schon Emails aus und telefonierten ein paar Mal, ich kenne sie jedoch bislang nicht persönlich. Für einen Außenstehenden ist ihr Lebenslauf beeindruckend: im Bundesheereinsatz auf den Golanhöhen in Syrien, dann Flugrettung in Tirol, eigene Praxis für Gynäkologie, Sextherapeutin, Buchautorin, Kabarettistin, Ultratriathlon-Weltrekordlerin, erste österreichische RAAM-Finisherin. Das deutet schon ein gewisses Ego an. Ich bin