sei sein »Blut« oder eine Art Reinigungs- beziehungsweise Hydraulikflüssigkeit, die ausgetauscht wurde. Nun wusste sie, dass diese glänzenden Dinger Naniten waren. Sie verblieben etwa eine Stunde in seinem Körper, bestimmt um Schäden zu reparieren, und liefen dann über denselben Schlauch wieder zurück in die Wand … und wahrscheinlich in das dahinterliegende Labor, wo sie aufgeladen wurden.
Pearl legte Koa auch eine Metall-Manschette ums Handgelenk, durch die Stromimpulse flossen, die angeblich sein mechanisches Herz synchronisieren sollten.
Wenn sie ihn sonst nach getaner Arbeit ansteckte, sprach sie mit ihm, erzählte ihm von ihrem Tag und manchmal auch von ihren Sorgen. Sie wusste nicht, warum sie das tat. Aber ihr ging es danach einfach besser, wenn sie jemanden hatte, der bei ihr war und ihr zuhörte. Es beruhigte sie, ließ sie nach einem harten Tag herunterkommen, es war wie ein »Ritual«. Danach wünschte sie ihm jedes Mal eine Gute Nacht. Das klang vielleicht ein bisschen verrückt, weil sie bisher davon ausgegangen war, er wäre eine Maschine. Doch wer oder was war hier schon normal?
Heute setzte sie sich zu ihm auf das schmale Bett und legte eine Hand an seine Wange. Koa sah unglaublich müde aus; täglich schienen sich mehr Falten um seine Augen zu verteilen, und seine Haare wurden auch immer grauer. Pearl hatte bis gestern wirklich geglaubt, Koa wäre ein Android mit einer organischen »Hülle«, aber nun …
»Darf ich etwas nachsehen?«, fragte sie sanft. »Es wird nicht wehtun.«
Als er nicht reagierte, zog sie vorsichtig seine Oberlippe hoch, um seinen Mundraum zu inspizieren, die Zähne, die Zunge, das Zahnfleisch. Alles wirkte unglaublich echt! Wozu brauchte ein Android Backenzähne? Schließlich musste er nichts kauen.
Danach hob sie sein oberes Lid an und betrachtete eine Weile dieses perfekte Auge, das ganz sicher künstlich war, bevor sie behutsam den Finger dagegen stupste. Es fühlte sich hart und glatt wie Glas an. »Tut das weh?«, fragte sie.
»Nein«, murmelte er.
Pearl wusste nicht, ob Androiden dasselbe wie Menschen fühlen konnten, aber sie hatte gehört, dass sie zumindest mit Sensoren ausgestattet waren.
Sie ließ die Finger über seine bartschattige, raue Wange bis zu seiner Schulter gleiten. Dort verschwand seine Haut unter dem Metallarm, und diese Verbindungsstelle war leicht gerötet. »Spürst du das?« Zart strich sie über seine Haut am Schlüsselbein.
»Ja.«
»Und wenn ich dich hier berühre?« Nun drückte sie seinen künstlichen Arm.
»Nein.«
Als Nächstes betrachtete sie seine Brust und glaubte, eine hauchfeine Narbe zwischen seinen Rippen zu erkennen, aber das könnte auch nur Einbildung sein.
Schnell warf sie einen Blick über ihre Schulter, ob die Tür tatsächlich geschlossen war, und legte ihr Ohr an seine Brust. Dann schloss sie die Augen. Hart konzentrierte sie sich auf die Geräusche hinter seinem Brustbein und lauschte einem leisen Zischen im Pulstakt, das sich keinesfalls wie die Geräusche eines normalen Herzens anhörte. Aber sie vernahm, wie er atmete, und spürte, wie sich seine massige Brust leicht hob und wieder senkte.
Koa war wie ein Freund für sie, ein fast lebenslanger Begleiter und guter Geist, der stets auf sie achtgegeben hatte. Schon im Alter von zehn Jahren hatte sie selbstständig erste Wartungsarbeiten erledigen müssen, und ohne Koas Hilfe wäre sie wohl nicht mehr am Leben. Er hatte für sie einmal gerade noch rechtzeitig den Strom abgestellt, bevor sie einen tödlichen Schlag abbekommen hätte, und sie ein anderes Mal in Sicherheit gebracht, als eine nicht richtig geschlossene Schleuse gebrochen war und den Gang geflutet hatte. Er hatte sie einfach auf seine breiten Schultern gehoben und sie bis zur nächsten Kuppel gebracht, um dort manuell das nächste Schott herunterzulassen. Dabei wäre er fast von der Strömung mitgerissen worden. Doch er war unglaublich stark und wegen seiner Metallteile auch viel schwerer als ein gewöhnlicher Mann seiner Größe.
Seine Atmung beruhigte sie, ließ sie nach den aufwühlenden Ereignissen etwas Frieden finden. Pearl fühlte sich stets wohl bei ihm, als wäre er immer schon ein guter Freund gewesen, der einfach für sie da war, auch wenn er kaum mit ihr sprach. Es machte sie unglaublich traurig, dass sie ihn nicht beschützen, nichts für ihn tun konnte.
Als sie plötzlich seine »echte« Hand fühlte, die er behutsam auf ihren Kopf drückte, riss sie die Augen auf, blieb jedoch weiterhin auf ihm liegen. Das hatte er bisher nie gemacht! Noch überraschter war sie, als er sie sanft fragte: »Hat Titain dir wehgetan?«
Nun hob sie doch den Kopf, sodass seine Hand auf seine Brust glitt. »Nein. Er … hat sogar innegehalten, als ich ihm befohlen habe, aufzuhören.«
Ihr Puls raste. Machte sich Koa Sorgen um sie? Würde ein Android das tun? Pearl musste endlich Gewissheit haben, ob er ein Mensch war! »Was haben diese Schweinehu… Privs dir angetan?«, wisperte sie und sagte dann lauter, wobei es ihr fast das Herz zerriss: »Sag es mir, Koa! Das ist ein Befehl!«
»Sie haben ab und zu ihren Spaß mit mir«, erwiderte er monoton und völlig gefühllos.
»Was … für einen Spaß?«, krächzte sie.
»In der Regenerationskammer werde ich wieder völlig hergestellt«, antwortete er.
Sie keuchte auf und atmete zitternd ein. Wahrscheinlich verbot ihm ein Befehl in der Steuerung, dass er die perversen Details ausplauderte.
Sein Körper mochte dank der Naniten heilen. Aber sicher nicht seine Seele. Besaß er überhaupt eine? Ach, wenn sie doch nur wüsste, wer er wirklich war!
Tränen liefen über ihre Wangen und tropften auf seine breite Brust. Schnell wischte sie diese mit dem Ärmel weg und setzte sich kerzengerade auf. Sie sollte langsam gehen, musste sich einen neuen Overall holen und danach endlich mit ihrer Arbeit beginnen.
»Nicht traurig sein«, murmelte Koa und blickte sie zum ersten Mal richtig an, als würde er sie sehen. Wirklich sehen. So wie Titain für einen kurzen Moment auf der Bühne.
Ihr Atem stockte, und sie wisperte: »Bist du ein Mensch?«
Immer noch richtete er den Blick auf sie, ansonsten zeigte er keine Regung.
Sie warf alle Bedenken über Bord, weil sie Koa vertraute und er bisher noch nie etwas weitergegeben hatte, wenn sie sich bei ihm ausgeheult hatte, und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich befehle dir, mir zu sagen, ob du ein Mensch oder eine Maschine bist.«
Von ihm kam weiterhin keine Regung. Sicher durfte er auch darauf keine Antwort geben.
»Ich muss es wissen!«, rief sie lauter, als gewollt.
»Was würde das ändern?«, fragte er ruhig.
»Ich …« Sie sah, wie die Rötung seiner Haut am Übergang zum Metallarm wie von Geisterhand verschwand, denn die Naniten leisteten brav ihre Arbeit, so lange, bis sie wieder aufgeladen werden mussten. Sicher reparierten die winzig kleinen Roboter auch Koas Haut, wenn diese Perversen ihn kratzten, schnitten oder noch widerlichere Sachen mit ihm anstellten.
Verdammt, da fiel ihr ein, dass sie Koas Batterien ja auch noch aufladen musste! Das hätte sie bei all dem Trubel fast vergessen. Schnell zog sie einen weiteren Schlauch aus der Wand, um ihm seinen »Energiebrei«, wie sie diese bräunliche Pampe nannte, zu verabreichen. Sie wurde direkt in den Port an seinem Bauchnabel gepumpt, war so eine Art Treibstoff und sorgte für eine chemische Reaktion, die ihm Energie lieferte.
Energiebrei … Pearl stutzte und hielt den Schlauch in der Hand. Was, wenn diese Mischung in Wahrheit ein hochkalorischer Nahrungsbrei war, der direkt in seinen Magen floss? Sie hatte Koa noch nie etwas essen sehen, aber falls er ein Mensch war … Sie drückte kurz auf den Startknopf der Pumpe, ein leises Brummen ertönte, und der braune Brei bahnte sich den Weg durch den durchsichtigen Schlauch. Schnell stellte Pearl die Pumpe ab und ließ ein paar Tropfen der flüssigen Masse auf ihre Handfläche laufen. Dann schnüffelte sie daran.
Hm, das Zeug roch auf jeden Fall nicht wie irgendein Treibstoff, den sie kannte. Aber auch nicht wirklich nach einer Mahlzeit. Vorsichtig tauchte sie ihre Zungenspitze hinein und verteilte den Brei auf