Stefan Kretzschmar

Wolken über Gut Schönwiesen


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heimlich und leise in Richtung Wolfenbüttel davon. Auf dem Weg dorthin wurde der einsetzende Schneesturm von Minute zu Minute immer heftiger. An einer Weggabelung traf ich auf die Truppe Soldaten mit den Männern in ihrer Begleitung. Dem kleinen dicken Korporal war es egal, ob sich noch jemand an die Truppe anhängte oder nicht. Er kannte sich genau so wenig in dieser Gegend aus wie ich. Zum Glück war einer der jungen Männer in der Truppe, der aus dieser Gegend stammte. Er wusste genau, wo und wie weit es noch bis zu einer Wirtschaft in Richtung Wolfenbüttel war. Es dauerte noch eine Weile, bei diesem anhaltenden Schneegestöber, bis wir die Wirtschaft erreichten. Als wir in die Gaststube eintraten und am Tisch Platz nahmen, hatte ich kaum noch Hoffnung, Felix vor seiner Heimkehr zu treffen. Es muss wohl ein Wink des Schicksals gewesen sein, dass wir uns in diesen Augenblick begegneten.“

      Konrad schaute in die Runde, wo die Vogelsangs gespannt seinen Erzählungen lauschten.

      „Na das war ja einmal eine Geschichte voller Spannung und Gott sei Dank mit einem guten Ende. Der Felix ist ja aus dem Schneider“, sagte Max, „aber Sie, lieber Konrad, wie geht es mit Ihnen weiter?“

      „Ich bin zwar ein Deserteur, aber das ist nicht so schlimm. Mein Bruder Gottfried, der nur ein Jahr jünger ist, will unbedingt als hessischer Soldat nach Amerika. Er konnte weder von Vater noch von Mutter zur Vernunft gebracht werden. Da ich jetzt ins Preußische abgehauen bin, holen sie ihn bestimmt für mich und er braucht sich nicht freiwillig zu melden.“

      Max war der erste der den beiden gegenüber zu diesem mutigen Schritt seine Bewunderung mit wenigen aber treffenden Worten zum Ausdruck brachte. Mutter Hedwig, Jutta und auch Anton umarmten die beiden und wünschten ihnen eine glückliche Zeit im Hause der Vogelsangs.

      Nach einer Woche kannten Felix und Konrad sich in Magdeburg schon richtig gut aus. Sie spazierten durch die winterlichen Gassen und Straßen der Stadt. Bis zur Universität von Magdeburg war es nicht mehr weit. Anton hatte Felix und Konrad eingeladen, ihn einmal auf dem Gelände der Universität zu besuchen und so beschlossen sie, das gleich in die Tat umzusetzen. Anton studierte dort Recht und Geschichte. Er begrüßte die beiden und stellte sie seinen studentischen Kameraden vor. Wie es so üblich war unter den Studierenden, wurden die beiden Hessen auf einen Umtrunk in ihre Studentenkneipe am Abend eingeladen. Nach dem Verlassen der Universität, zeigte Anton den beiden noch, wo er nach dem Studium arbeiten würde. An einer monströsen Villa mit viel Grün um das Gebäude herum blieb Anton stehen.

      „So, meine Herren“, sagte Er mit stolzer Stimme. „Hier ist die Kanzlei, in der ich in drei Jahren vorhabe, mich mit Recht und Ordnung zu befassen.“

      Ziemlich beeindruckt von Antons Ausführungen und Zukunftsplänen kehrten die drei Freunde nach Hause zurück. Am Abend begaben sich die drei gutgelaunt in die Studentenkneipe am Dom. In der Kneipe ging es schon hoch her. Der nicht abziehende Qualm der vielen paffenden Studenten füllte mit seinem herben beißenden Tabakgeruch den gesamten Raum. Die drei wurden sofort von den Studenten in ihre Mitte aufgenommen. Ein Umtrunk nach dem anderen wurde in die durstigen Kehlen geschüttet. Die Sauferei hatte natürlich auch einen tieferen Sinn, es wurden so für spätere Zeiten, nach dem Studium, wirtschaftliche und kameradschaftliche Verbindungen geknüpft. Noch vor Mitternacht verließen die drei schwer beladen die Kneipe und trotteten nach Hause.

      Am nächsten Tag, mit noch heftig brummendem Kopf, schlenderten sie zu dritt durch Magdeburg. Es tat richtig gut, die klare und reine morgendliche Luft einzuatmen und damit die allmählich nachlassenden Kopfschmerzen zu vertreiben. Anton lief immer etwas vorneweg, er zeigte den zwei neuen Freunden die vielen Sehenswürdigkeiten der Stadt. Der mächtige Dom war sehr beeindruckend, auch die Elbufer und noch vieles mehr. Auf dem Nachhauseweg machten die drei noch einen kleinen Umweg an der berühmten Buchdruckerei vorbei, in der Jutta auch manchmal sogar sonntags anzutreffen war. Jutta arbeitete in der Faberschen Buchdruckerei, sie interessierte sich schon als kleines Mädchen für Bücher aller Art. Ihr Verlobter Adelbert Hasselbart war bei der Magdeburgischen Zeitung tätig. Adelbert und Jutta hätten am liebsten die ganze Welt verbessern wollen, aber da gab es ja so vieles. Sie waren in ihren Gedanken und Gefühlen eins, was sie untrennbar zusammen geschweißt hatte. Der morgendliche Spaziergang hatte sich bis zur Mittagszeit hingezogen. Es war nun höchste Zeit, so schnell wie möglich zum Haus der Vogelsangs zurückzukehren.

      Max, Hedwig und Jutta saßen schon am Mittagstisch, als die drei endlich eintrafen. Während des Essens erwähnte Anton, dass sie an der Buchdruckerei vorbei gekommen seien. Jutta schaute etwas verlegen zu Konrad und Felix, aber sie fragte die beiden sofort, ob sie an einem Besuch bei den Hasselbarts Interesse hätten. Die beiden nickten zustimmend, mit „Natürlich sehr gern“, bedankten sie sich für die Einladung.

      Wie vereinbart nahm Jutta Felix und Konrad am Sonntagvormittag mit zu den Hasselbarts. Ihr Verlobter Adelbert war schon sehr gespannt auf die beiden Hessen. Nachdem Jutta, Felix und Konrad in das Haus der Familie Hasselbart eingetreten waren, wurden sie von Adelbert herzlich begrüßt. Adelbert führte seine Gäste in einen gemütlichen Raum, in dem eine ganze Wand mit vollen Bücherregalen ausgefüllt war. Landkarten und historische Bilder vervollständigten den Raum. Felix war begeistert von diesem Reichtum an Sammlungen aus Wissenschaft und Kunst. Für Konrad war das alles nicht so interessant, aber er tat so, aus Höflichkeit dem Gastgeber gegenüber, als würde es ihn auch interessieren. Felix konnte in den Gesprächen mit Jutta und Adelbert nun endlich auch seinem Wissen und der Begeisterung für Literatur, Musik und Wissenschaft freien Lauf lassen. Der Vormittag verging viel zu schnell. Adelbert war sehr angetan von den Gesprächen mit den beiden Hessen, besonders natürlich von Felix, der ein wahrer Freigeist zu sein schien. Adelbert lud beim Abschied beide ein, ihn wieder zu besuchen und dann etwas mehr Zeit mitzubringen. Am Sonntagabend wurde im Hause der Vogelsangs noch einmal über den Besuch bei Adelbert gesprochen und ein weiterer Besuch bei den Hasselbarts vereinbart.

      Felix und Konrad wollten nun endlich nach dem Müßiggang der letzten Tage wieder einer Arbeit nachgehen. Onkel Max vereinbarte deshalb am nächsten Tag ein Treffen in der Goldschmiedewerkstatt von Herrn Winter. Am nächsten Vormittag konnte es Felix kaum erwarten, die Werkstatt von Meister Winter aufzusuchen. Schnellen Schrittes eilte er dorthin. Herr Winter nahm ihn mit in den Vorbereitungsraum neben dem Verkaufsraum, wo sie sich ungestört unterhalten konnten. Er reichte Felix nach dem Gespräch die Hand und schon am nächsten Tag durfte Felix zur Probe bei Meister Winter anfangen.

      Ziemlich aufgeregt begab sich Felix am Morgen des ersten Arbeitstages zur Goldschmiedewerkstatt. Aber schon in den ersten Stunden in der Werkstatt verschwanden Anspannung und Herzklopfen. Felix war begeistert von seiner neuen Arbeitsstelle. Herr Winter war in Magdeburg ein sehr beliebter Meister seines Handwerks und seine Kundschaft reichte weit über die Stadtgrenzen hinaus sogar bis Potsdam und Berlin. Einige reiche Adlige und Bürgerliche bestellten sehr hochwertige Kostbarkeiten bei ihm.

      In den vielen Kleinstaaten von Deutschland lebte die herrschende Schicht in Saus und Braus. Ihre Untertanen hingegen, die in Armut lebten, mussten für sie hart arbeiten, hohe Abgaben leisten und wenn überhaupt, dann erhielten sie für ihre Leistung nur einen Hungerlohn.

      Konrad hatte sich bei den Spaziergängen durch Magdeburg auch den einen und anderen Arbeitsplatz angeschaut. In der Schmiede, die sich direkt an der Stadtmauer befand, hätte er sofort mitschaffen können.

      Einen Tag bevor Konrad in der Schmiede anfangen wollte, besuchte Herr Rademann die Vogelsangs. Herr Bergner, der Besitzer der drei Fleischereien, hatte ihn beauftragt, bei den Vogelsangs vorbeizuschauen. Im Gespräch mit Max erfuhr Herr Rademann, dass Felix und Konrad in Magdeburg bleiben wollten. Herr Rademann war Fleischermeister und der Leiter einer der drei Fleischereigeschäfte von Herrn Bergner. In Magdeburg war es das größte Fleischereigeschäft mit sieben Angestellten. Das Geschäft hatte zwei große Schaufenster im unteren Bereich eines imposanten Stadthauses und befand sich in einer Nebengasse, die zum Hauptmarkt führte. Eine der Spezialitäten von Fleischermeister Rademann war Wildfleisch. Konrad wurde vom Dienstmädchen der Vogelsangs gebeten, dass er in das Lesezimmer kommen solle. In dem Gespräch mit Max und Herrn Rademann wurde vereinbart, dass Konrad am Montag früh in der Fleischerei mit der Arbeit anfangen könne.

      Konrad sagte zu Max, als sie wieder alleine im Lesezimmer waren, „Das ist genau das Richtige für mich. Ich habe viel Erfahrung, wie man Wild zerlegt.“ Etwas verschmitzt