Christof Wackernagel

Traumprotokolle


Скачать книгу

ich sage: »ich kann noch nicht genau sagen, wie es gehen wird; ich kann dort arbeiten, ich kann hier arbeiten, je nachdem, es wird also auf ein Sowohl-als-Auch rauslaufen«, und die eine Tochter, eine ein bisschen nachdenklich-philosophische wie Maryam Sangaré, sagt: »also nie ganz ankommen?« – »nie ganz ankommen und nie ganz wegkommen!«, sage ich daraufhin, und betone, es sei ein philosophischer Irrtum, zu glauben, es gebe so etwas wie »Heimat«, und der Freund von ihr ist sehr skeptisch gegenüber dem, was ich da sage, weshalb ich noch eins draufsetze und sage: »es ist auch ein Irrtum zu glauben, dass es Liebe gibt«; ich esse gerade Cornflakes und setze mich an den Rand der Straße, die unter dem Haus entlangläuft vor diesen Hangbefestigungsmauern aus dunklem Naturstein vor diesem weitläufigen Balkon mit seinem wunderschönen Blick über das riesige Stuttgart mit seinen schönen Häusern unter dem schönen blauen Himmel, und dann kommt ein Typ über die Straße zu mir und fragt: »mögen Sie Scheiße?«, ich frage mit vollem Mund »mhm?« und er ruft triumphierend aus: »sehr gut! danke, das reicht«, wendet sich ab und geht weiter und lacht sich tot, weil er so tut, als habe ich seine Frage bejaht, was sogar ich selbst ein bisschen witzig finde und den jungen Leuten lachend erzähle, aber der Freund von Maryam regt sich total auf, wie blöd dieser Typ sei, der so eine saudumme Frage gestellt habe, wie man überhaupt so einen Schwachsinn fragen könne, aber ich sage: »naja, wenn er sich dann den ganzen Tag beömmelt, hat es ja seinen Sinn gehabt«, aber der junge Mann glaubt das nicht und betont: »nein, so dumm kann niemand sein, sich darüber zu beömmeln!« • ich hänge das Tonbandgerät auf einen Bügel in zwei Meter fünfzig Höhe, hole es dann aber da wieder runter und da ist das Geschenk für Fips, das da noch festhängt, das muss aber auch unbedingt mit –

      – Madu spielt im Keller auf einem Instrument, das ich nicht genau erkennen kann, einer Mischung aus elektrischem Piano und Cora oder gar Balafon4, er probiert so rum und ich spiele dann auf der Straße mit einem »Klingeldreisatz«, also drei goldenen Metalldreiecken an Bändeln, die, hintereinander gespielt, einen Dreiklang geben und mit denen ich einen unheimlich fetzigen, schnellen Rhythmus mit einer wunderschönen Melodie spiele, begleitet von zwei oder drei Tamani-Trommeln5, Madu kommt hoch und sieht sich das an, ich frage mich, wann wir mal wieder zusammen spielen, merke aber daran, wie das gerade läuft, dass es bald und gut klappen wird, und denke mir, dass wir auch mal auf der Lützenkirchenstraße zusammen spielen sollten, das müsste da auch sehr gut passen, und da kommt die Frau, die bei uns wohnt, vorbei, wippt im Rhythmus meiner Klingelei, was wirklich sehr, sehr schön passt, und ich denke, dass ich viel öfter mit diesen Dingern spielen sollte • wir sitzen auf dem Rasen unter Bäumen in einer Siedlung, die die »Parkstadt« in München sein könnte, und über den Bäumen sehe ich einen wunderschönen riesigen Raubvogel, knall hell leuchtend rot, mit glänzendem Gefieder und am Hals violett-gelb-grünen Streifen, und ich habe sofort gedankliche Verbindung zu dem Vogel, mache aufgeregt Ebby auf ihn aufmerksam und er kommt tatsächlich zu uns runtergeflogen, als wollte oder könnte er sich mit uns unterhalten, aber je näher er kommt, desto unsichtbarer wird er, so dass hinter dem Busch neben uns, wo er dann schwebt, nur noch ein roter Streifen zu sehen ist, er wie durchsichtig ist, man sieht offenbar nur von Weitem seine ganze Form, ich spüre aber genau seine fragenden Gedankenströme, mit denen aber keine Kommunikation möglich ist, weswegen er auch wieder hoch- und weiterfliegt, aber dann kommen oben noch mehrere normale, teils einfach graue Raubvögel vorbeigeflogen, die aber alle zu mir runtergucken, sich von mir angesprochen fühlen, ohne dass weitere Unterhaltung möglich wäre, und Julia zeigt lachend kopfschüttelnd drauf und sagt, dass ich sie ja anziehe mit meinen Gedanken, und dass ich es bin, der diesen schönen bunten Raubvogel, während der nachts da seine Arbeit macht, zwar nicht stört, aber mitmacht, sich einmischt, und ich sage, dass ich das schon zweimal gemacht habe, als ich draußen war und diese Vögel gesehen habe, sozusagen »gerufen« habe, und die sind dann gekommen und haben mich angesehen, mehr aber ist wiederum auch nicht gelaufen, und sie wissen, dass ich es bin, der sich nachts einmischt in ihre Fäden, die sie da ziehen, ein Raubvogel ist auch mal bis auf den Boden gekommen und als ich schon damit zu Ende war, kam er angewatschelt, aber flog dann wieder weiter, »die spüren mich, weil ich mich in ihre Flugbahnen einmische«, sage ich zu Julia, »und die verändere – aber sie sind nicht böse«, »Schosserie« /Causerie6 mit den Vögeln und die Raubvögel mit uns, also die Viecher suchen offenbar meine Nähe, aber wenn sie sie haben, ist es zu viel und sie hauen wieder ab • wir sind mit zwei Lastern unterwegs, die irgendwie Pannen hatten, und am ersten Tag sind die beiden Fahrer die Nacht durchgefahren, wir fahren aber die zweite Nacht wieder woanders hin und kommen morgens dort an; Ebby ist in dem anderen LKW und sitzt mit den anderen Leuten auf der Ladefläche total übermüdet, sie können kaum mehr die Augen offen halten und der Oberkörper kippt beim Sprechen nach vorne über, Ebby sagt: »zwei Nächte total durchgefahren«, wobei unklar ist, ob er sich selber meint oder die anderen Leute beziehungsweise den Fahrer, und zum Teil schlafen die Leute und sind gar nicht ansprechbar, und an den Mopeds und Motorrollern, die da transportiert worden sind, sind seitlich dicke lange Eisenstangen angeschweißt, die – angeblich – die Motorleistung enorm verbessern • Zeitschrift mit der Überschrift: »Muammar al Gadhafi – Rebellensieger«, wobei unklar ist, ob er Sieger über Rebellen ist oder Sieger als Rebell • ein Typ mit Quelläuglein, Fahrer eines der Autos, mit denen wir unterwegs sind, hält mir seinen Becher hin, damit ich Wasser reintue, aber ich denke: »das schreib ich erstmal auf« –

      – der zu große schwarz-weiße Wassertopfentkalker geht jetzt – stört aber –

      – ein viereckiger und ein runder Mond, dicht über/hinter/nebeneinander am Himmel, leicht verschwommen hinter einer dünnen Wolkenschicht • wir waren lange zu Besuch bei Leuten, mit denen wir uns gut befreundet haben, bereiten aber jetzt die Abreise vor, packen schon die ersten Sachen in die beiden Wohnmobile, ein Teil von uns ist schon weg und wir warten noch auf andere, weil wir noch eine Abendveranstaltung vorhaben, und während ich etwas in das Wohnmobil packe, steht eine Frau aus der gastgebenden Gruppe neben mir und ich spüre richtig den Stich, den es geben wird, wenn wir dann wirklich losfahren werden, und sage: »das wird dann schon hart, wenn wir tatsächlich wirklich fahren«, woraufhin sie den Kopf senkt und nickt • in einem alten zementverschmierten Blecheimer befindet sich das Material für den Einbau eines Schlosses in eine Tür, lauter Metalleinzelteile, und um zu sehen, ob es sich einbauen lässt, muss man den Blecheimer anschalten, ganz normal, indem man einen Knopf dreht, und dann klingt er wie ein schlecht eingestelltes Radio, das man so lange einstellen muss, bis es gut klingt, also sauber wie ein gut eingestelltes Radio, was dann zeigt, dass man das Schloss einbauen kann, was wir auch noch tun werden; das Ganze nennt sich »Rybus«-Schloss • am Rande des Gartens auf dem Rasen ein mit Werkzeug und anderem Material vollgestelltes Plastikzelt, man kann kaum reingehen, weil es komplett voll mit Werkzeug ist • letzter Drehtag, die Sterbeszenen der Hauptdarsteller, zu denen ich auch gehöre, werden gedreht, es war ein großer Kinofilm mit einer jungen Band mit netten Leuten, viele Verwicklungen und Beziehungskisten, aber alles abgedreht, wir sind eigentlich schon reisebereit, sollen nur noch schnell das Sterben drehen, wozu Lenn Kudriawitzki und ein anderer Junger unter einen Tisch kriechen, um dort zusammenzubrechen und zu verenden, ich liege schon schräg gegenüber in der Ecke und sterbe, was vom Kameramann direkt gefilmt wird, der Regisseur ist schon gar nicht mehr da, es müssen nur noch Bilder gedreht werden, und der Kameramann sagt total befriedigt: »das geht ja alles noch schneller, als ich gedacht habe, hab’s doch gesagt, dass das alles kein Problem wird, du siehst doch wunderbar aus, da müssen wir gar nicht mehr viel drehen, dann haben wir den Schluss auch« und dann kommt die allerletzte Szene mit lauter frischgeborenen Babys – was mir gar nicht klar war! –, deren Mütter auf einer blauen ein oder zwei Meter hohen Freitreppe sitzen, alle einheitlich gekleidet, die Babys, die geboren wurden, während wir starben, vor sich auf dem Arm und Schoß; ich seh mir das an und denke, dass das wohl ein »positives« Ende ausdrücken soll, Optimismus erzeugen oder so etwas, aber ich finde es trotzdem ganz witzig, gerade in dieser Plattheit, und dann gebe ich schon das erste Interview, weil anschließend gleich die Premiere sein wird, und ich sage, dass ich diesen speziellen Ossi-Humor ganz gern habe, wie ihn auch Leander Haußmann, der allerdings in diesem Film ausnahmsweise nicht mitspielt, auch habe oder bei dem ich ihn kennen gelernt habe, also diesen Humor, den wir Wessis nicht kennen, der aber trotzdem ganz witzig ist – Frühstück mit der alten Mamu auf einer großen Terrasse mit Blick über München oder eine andere deutsche, riesige Stadt –

      –