das Frühstück. In der Tat waren bei der Armee sämtliche Mahlzeiten Dienst und Erscheinen somit Pflicht. Man ging, wie immer in Marschordnung, Bestecktasche und Plastetasse in der Hand, zum Speisesaal. Der war in einem separatem Gebäude, in dem sich auch die Küche befand, gleich neben unserem Quartier untergebracht. Der Weg dorthin konnte allerdings hin und wieder ziemlich lang werden. Zum Beispiel, wenn das befohlene Lied nicht laut genug vorgetragen wurde oder der Gleichschritt nicht klappte. Drei bis fünf Runden um den Kasernenhof waren dann nicht unüblich. Das Frühstück bestand aus Brötchen und Marmelade, etwas Wurst und wer wollte Mehlsuppe. Die Krönung war der Malzkaffee oder auch der Tee. Diese aus Aluminiumkannen in unsere roten oder blauen Plastetassen, welche es übrigens auch in Kindergärten und an Schulen gab, gefüllten Flüssigkeiten schäumten jedesmal so verdächtig, daß die Erkenntnis nicht ausblieb, hier muß noch was anderes drin sein. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, es handele sich um das sogenannte »Hängolin«, der Spitzname für einen chemischen Zusatz zur Dämmung sich regender Manneskraft.
Exerzierausbildung
Das wichtigste beim Militär ist zu wissen, wie man sich zu bewegen hat. Für jede Lebenslage, Gangart, Drehung oder Formation gibt es eindeutige Befehle. Das erleichtert im Kriegsfall den geordneten Gang in den Tod oder, was dann doch angenehmer wäre, den Rückzug nach dem Motto: »Kameraden, die Welt ist rund, wir greifen von hinten an!«. Wie auch immer, Bewegung zu erlernen hieß im Dienstplan »Exerzierausbildung«. Zwar langweilig aber nicht sonderlich anspruchsvoll, sollte man meinen und, außer dem Paradeschritt, von körperlicher Anstrengung her zu ertragen. Also eine der leichteren Übungen. Selbstverständlich fand das Ganze auf dem Kasernenhof statt und bei solchen Aktivitäten mußte man unwillkürlich an die alten Preußen denken. In der Tat dauerte es aber doch seine Zeit, bis alle Soldaten diesen hochwichtigen Part beherrschten, denn scheinbar wußte nicht jeder wo links oder rechts ist, eine der grundlegenden Voraussetzungen für erfolgreiches Exerzieren. Irgendwann nach zahlreichen Tobsuchtsanfällen der Ausbilder und ebensovielen Strafrunden schaffte unser Zug und natürlich auch alle anderen es doch. Der Grundstein war gelegt, und künftig war das räumliche Dirigieren der Truppe mit kurzen Worten möglich, egal wohin es ging.
Sehr beliebt in diesem Zusammenhang war der Marsch im Gleichschritt mit gesungenem Lied. Talentierte konnten sich austoben. Die eine oder andere Stimme war in beeindruckendem Klangvolumen zu vernehmen, so daß man dachte, man sei in einem russischen Männerchor. Dagegen kämpften allerdings die falschen Töne mit großem Erfolg an. Probleme bereitete meist der zu singende Text. Zwar wurde dieser eigens im Unterricht vermittelt, irgendwann einigte man sich aber dann doch auf nur ein oder zwei Lieder. Meine Singbereitschaft ging immer nur soweit, daß ich einfach mit dem Mund wackelte. Äußerst unbeliebt war der sogenannte Exerzier- oder Paradeschritt. Eine Gangart, die nicht gerade der Natur abgelauscht und somit also äußerst anstrengend war. Mit durchgedrückten Knien, die Beine beinahe bis zur Waagerechten hochreißend, hatte man Mühe, vorwärts zu kommen. Aber unerläßlich, denn dieser Schritt war für die spätere Vereidigung vorgesehen. In weiser Voraussehung allerdings nur für eine kurze Wegstrecke.
Wir lernten nacheinander alle für das militärische Leben wichtigen »Unterordnungsübungen« wie z.B. Grußanweisungen mit und ohne Mütze, wie man sich zu melden hat, wie man einen Vorgesetzten anspricht, wenn ein noch höherer Vorgesetzter im Raum ist, was man zu sagen hat, wenn man den kargen Sold empfängt und und und. Es war an alles gedacht. Wenn im Gebäude keine Kopfbedeckung getragen wurde, hatte man einen Vorgesetzten mittels einer sogenannten Blickwendung zu grüßen. Dabei waren bestimmte Abstände, vor und nach dem Vorbeigehen, einzuhalten.
Eines Tages lief ich den Flur in der Kaserne entlang, da kam mir ein BU entgegen. Dieser Mensch war von kleinem Wuchs, wofür er ja nichts konnte, aber irgendwie mußte der einen Schaden, um es vorsichtig auszudrücken, in seiner Psyche davongetragen haben. Jedenfalls wendete ich im Vorbeigehen meinen Kopf und blickte ihn vorschriftsmäßig an. Der BU tat gleiches, allerdings riß der seinen Kopf so herum, daß man das Knacken der Halswirbel hören konnte und verzog sein Gesicht dabei dermaßen zu einer Grimasse, man kann sagen »Gesicht zur Faust geballt«, daß ich nicht so recht wußte, will der mich nun verscheißern, hat er was gesoffen oder siehe oben! Ich nehme an, es war der lange Dienst und die Jahre, die noch vor ihm lagen. Im Übrigen gehörte dieser BU zu den unangenehmen Typen, die mangels Intellektes nur kraft ihres Dienstgrades über ihre Untergebenen herrschten. Solche Leute waren unberechenbar, da sie ihren Geist, wenn überhaupt welcher vorhanden war, vor dem Kasernentor zurückgelassen hatten.
Die Sturmbahn
In der Unbeliebtheitskala ganz vorn stehend, war die Ausbildung auf der Sturmbahn. In Felddienstuniform mit Stahlhelm, Schutzausrüstung und einem hölzernen Übungsgewehr ging es im Gleichschritt zum Ort des Schreckens. Die zahlreichen Hindernisse auf der Bahn waren nach Zeit zu absolvieren und die war ziemlich kurz veranschlagt. Den beinahe totalen Stopp verursachte bei den meisten die sogenannte Eskaladierwand. Da hinüber zu kommen schien mir schier unmöglich und in der Tat wurden solche Genossen wie ich anfänglich einfach rübergeschmissen. Und dann gab es da noch eine Wand: die zweistöckige Häuserwand. Mittels eines Seiles sollte man das Fenster des zweiten Stockes erklimmen und von dort auf der anderen Seite über einen schmalen Balken laufen, um dann in zwei Etappen hinunter auf Betonklötze zu springen. Das brachte mir meine erste Innendiensterkrankung ein. Auf meinen Hinweis, daß ich nicht höhentauglich sei, nahmen die Ausbilder keine Rücksicht. Befehl ist Befehl, also schaffte ich die Hürde, allerdings überaus verkrampft. Daher sprang ich auf die Betonklötze zuerst mit der Hacke aufkommend und die nahm mir das übel. Eine Prellung war die Folge.
Innendienstkrank
Am nächsten Morgen meldete ich mich zum Arztbesuch. Das hatte beim UvD, dem Unteroffizier vom Dienst, zu geschehen. In der UvD-Stube wurden Anliegen dieser Art in die UvD-Kladde eingeschrieben. Anschließend brachte ein Sankra die kranken Genossen in ein weiteres, im Ort vorhandenes Objekt zum Militärarzt. Der hatte jeden Tag eine ganze Reihe von Soldaten zu verarzten. Deren Beschwerden waren meist auf Blasen an den Füßen, Erkältungen oder eben wie bei mir auf traumatische Ereignisse wie Verstauchungen und Prellungen begrenzt. Öfter gab es da auch Simulanten, die mit Magenverstimmungen oder Sehnenscheidenentzündungen glänzten. Unglaubwürdige wurden sofort ausgesondert und zurückgeschickt. Der Spieß nahm sich derer dann besonders an.
Meiner nahm er sich auch an. Allerdings wurde ich tatsächlich innendienstkrank geschrieben. Das hieß nun aber nicht, daß ich meine Ruhe gehabt hätte. Nein, ein Spieß hat immer Einfälle. Und kann man nicht laufen, so kann man doch in der Küche im Sitzen Kartoffeln schälen und das kübelweise. Später hat er mich dann dem Schreiber zugeteilt um irgendwelche Sachen zu sortieren. Als meine Innendiensterkrankung dem Ende zuging, gab es noch den Befehl zum Säubern der Toiletten. Diesem Befehl kam ich nicht sofort nach, sondern erledigte erst noch etwas Angenehmeres im Auftrag des Schreibers. Das hatte einen mordsmäßigen »Anschiß« zur Folge. Um den Spieß für die Zukunft bei Laune zu halten und nicht weiterhin in seiner Schußbahn zu stehen, streute ich mir Asche aufs Haupt, machte »Männchen« (soldatischer Gruß) und gab dem Spieß zu verstehen: »Genosse Hauptfeldwebel, gestatten Sie, daß ich Sie spreche?« Der: »Rede, Grünitz!« »Genosse Hauptfeldwebel, ich hätte natürlich zuerst Ihren Befehl und dann den des Schreibers befolgen müssen. In Zukunft mache ich diesen Fehler nicht mehr.« Der Spieß fühlte sich sichtlich auf den Bauch geklatscht und meinte »Grünitz, Grünitz paß bloß auf, aber na ja...wegtreten!« Das war meine Rettung, denn wer einmal auf der schwarzen Liste der Mutter der Kompanie stand, der bekam für den Rest der Tage eine wenig mütterliche Sonderbehandlung.
Der Spieß war wichtig, ja man konnte sogar behaupten, die Macht des Hauptfeldwebels lag trotz des niedrigeren Dienstgrades über der des Kompaniechefs. Hatte der Spieß doch die gesamte Organisation zum Funktionieren des Kasernenlebens zu bewältigen, von der Verpflegungsliste über Bekleidung und Ausrüstung bis zur Militärfahrkarte, Ausgangsschein, Belobigungs-, Strafregister und vieles mehr. Mein Verhältnis zum Spieß sollte sich viel später, an einem anderen Standort, in ein beinahe herzliches ändern.
Ausbildung auf dem ISG
Aber noch waren sie nicht vorbei, die ersten Wochen,