ruhig“, sagte sie geistesabwesend. „Wir sehen uns am Strand.“
Ryan führte sie die Treppe hinunter, dann ging er wieder rauf. Jessie trat aus der Eingangstür, fand ein paar Stufen, die vom Strip hinunter auf einen Fahrradweg führten, und dahinter begann der Strand. Sie zog ihre Schuhe aus und hielt sie mit den Fingern an den Fersen fest. Dann ging sie in Richtung des Wassers.
Obwohl es Frühsommer war, war der Sand um diese Zeit noch ganz kühl. Er bewegte sich unter ihren Füßen und bahnte sich seinen Weg zwischen ihre Zehen. Sie ging langsam, als versuchte sie das Gleichgewicht zu halten, und folgte dabei eher dem Geräusch der Wellen als ihren Augen. Als sie näher kam, sah sie eines dieser alten, blauen Rettungsschwimmer-Häuschen.
Sie ging daran vorbei und merkte, dass der Sand nun härter und komprimierter war. Nach ein paar Schritten spürte sie die klamme Feuchtigkeit unter ihren Füßen, wo die Strömung soeben hinübergeschwappt war. Jetzt konnte sie das Wasser sehen. Welle um Welle krachte übereinander und kreierte eine schaumige Gischt, die gierig leckend nach vorne strömte und sich um ihre Zehen kräuselte. Ein kurzes Stück davor setzte sie sich hin und betrachtete die Wellen.
Nach einer Weile – sie wusste nicht genau, wie viel Zeit vergangen war – kam Ryan und setzte sich neben sie. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Sie streckte die Hand aus, und er ergriff sie. Sie lehnte sich seitlich an ihn und legte den Kopf auf seine Schulter. Sie dachte, dass die tosenden Wellen vielleicht ihr Weinen verschlucken würden. Aber sie war sich dessen nicht sicher, und es war ihr im Grunde genommen auch egal.
Er beobachtete das Geschehen, bis die Sonne aufging.
Anfangs war es schwierig wegen des Nebels, und weil er mehrere Blocks entfernt war. Aber nachdem er im Wandschrank des Hauptschlafzimmers ein Fernglas gefunden hatte, war er auf die Dachterrasse geklettert und beobachtete nun das Geschehen sechs Blocks weiter unten am Strip, wo es passiert war.
All das hatte ihn auf seltsame Weise erregt. Es hatte etwas Befriedigendes an sich zu wissen, dass er die Ursache dieser Symphonie an Sirenen während der vergangenen zwei Nächte war. Allerdings verstand er nicht ganz, warum. In der ersten Nacht hatte es noch einen Sinn ergeben. Aber die Reaktion der Polizei in der vergangenen Nacht schien sogar noch extremer gewesen zu sein als in der Nacht davor. Vielleicht entging ihm da etwas.
Als schließlich die Sonne im Osten über die Hügel stieg, zog er sich in das Haus zurück, dessen er sich momentan bemächtigt hatte. Er wollte eigentlich schlafen, aber das war gar nicht so einfach bei all der Aufregung. Seine Gedanken kehrten zurück zu dem, was er getan hatte, was er genommen hatte.
Er hatte nie vorgehabt, diese Frau zu töten. Schließlich hatte er sich im Haus der Blooms nur um seinen eigenen Kram hatte kümmern wollen; in dem Haus, das sie im Sommer immer wochenlang leer stehen ließen. Er hatte niemanden gestört.
Aber dann war diese wichtigtuerische Frau von nebenan aufgetaucht, mit ihrem Plastikkörper und ihrem noch künstlicheren Lächeln. Er hatte gedacht, dass sie nach einer Weile wieder gehen würde, aber dann war sie ins Haus eingedrungen und hatte das gleiche Verbrechen begangen wie er. Er hatte gehofft, dass sie einfach wieder verschwinden und ihn zu seinem Leben zurückkehren lassen würde. Aber nein, sie hatte ja neugierig werden und sich selbst eine Führung durchs Haus gönnen müssen. Wenn sie sich das bloß verkniffen hätte, dann wäre sie heute vielleicht noch am Leben.
Aber sobald sie ihn gesehen hatte, hatte er keine Wahl gehabt. Wahrscheinlich hätte sie ihn der Polizei beschrieben, und dann wäre er in einer wirklich brenzligen Lage gewesen. Also hatte er sie aufhalten, sie zum Schweigen bringen müssen. Er hatte es nicht zulassen dürfen, dass sie ihm seinen Lebensstil wegnimmt, selbst wenn er diesen nur zeitweise hatte führen können.
Also hatte er sie erwürgt. Anfangs hatte er einen Adrenalinrausch gehabt, als er sie gegen die Tür gestoßen und ihr anschließend den Strumpf um den Hals gewickelt hatte. Als sie sich dann wirklich mit Händen und Füßen gewehrt hatte, waren ihm kurzzeitig Zweifel gekommen: Vielleicht sollte er sie einfach nur bewusstlos machen und dann irgendwohin, an einen anderen Ort, abhauen.
Aber dann hatte sich wieder die alte Wut in ihm breitgemacht. Warum sollte er denn gehen, nur um es einer weiteren reichen Ziege recht zu machen? Das hatte er in seinem Leben oft genug getan. Und plötzlich hatte er ihren Hals noch fester zugedrückt und sich vorgestellt, dass sie eines dieser Models wäre, die getan hatten, was immer er verlangt hatte, die ihn aber jetzt keines Blickes mehr würdigten. Er hatte zugesehen, wie der Strumpf in ihr Fleisch eingedrungen war und ihr die Luftzufuhr abgeschnitten hatte, und er hatte eine beinahe orgasmische Erregung gespürt, als ihm klar geworden war, dass ihr Leben wortwörtlich in seinen Händen lag.
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