international verbreitet zu sein. Die beiden haben nur noch Augen füreinander. Ich verzichte auf eine weitere Auseinandersetzung und gehe hoch erhobenen Hauptes mit meinem Gepäck Richtung Ausgang.
Für die Fahrt in die Stadt gönne ich mir ein Taxi. Zwar liegt das möblierte Appartement, das ich übers Internet gefunden habe, recht zentral, aber mit meinem Gepäck – und jetzt auch noch dem Kaffeefleck mitten auf der Brust – ist das praktischer als öffentliche Verkehrsmittel.
Mein neues Zuhause ist knapp zwanzig Quadratmeter groß. Neben einem Wohn-Schlafraum beinhaltet es eine Mini-Küche und ein kleines Duschbad. Wände und Möbel sind neutral in überwiegend cremeweiß gehalten, ein paar Kissen und die Vorhänge setzen ein paar blaue und grüne Akzente. Frisch und freundlich, obwohl das Haus schon älter ist. Aber die Wohnung ist bezahlbar und liegt nur knapp zwei Kilometer von meiner Arbeitsstelle entfernt, sodass ich dorthin laufen kann. Nach all der U-Bahn-Fahrerei in London freue ich mich darauf, mehr Zeit draußen verbringen zu können. Die Spanier sitzen gerne in der Sonne oder in Café-Bars, und Barcelona soll einen langen Sandstrand mit einer palmengesäumten Promenade haben.
Dass ich teilweise auch am Wochenende arbeiten muss, ist mir natürlich klar, aber ich hoffe, dass sie mir etwas Freizeit zugestehen. Schließlich hilft es niemandem, wenn die – noch dazu schlecht bezahlten – Helfer vor Erschöpfung zusammenklappen.
Das war noch so etwas, das Kylan nicht verstand: dass ich bereit war, für einen so niedrigen Lohn zu arbeiten. »Da hättest du das Geld doch gleich spenden können«, war seine abfällige Meinung. Aber mir geht es darum, selbst zu helfen. Außerdem möchte ich die Berufserfahrung auch in meinem Lebenslauf stehen haben.
Mein Koffer ist schnell ausgeräumt. Ich schiebe ihn in eine Ecke und betrachte mein neues Reich. Hier bin ich also, eine frischgebackene Singlefrau in einer fremden Stadt. Mal wieder.
Ich rolle meine Yogamatte auf dem Holzboden aus und mache meine Übungen, um erst einmal runterzukommen. Yoga praktiziere ich erst, seit ich im hektischen London lebe, aber es erdet mich immer wieder wunderbar. Anstatt mich über Männer im allgemeinen und Kylan im Besonderen zu ärgern, freue ich mich auf mein neues Leben.
Vier Wochen später fange ich an, zu verstehen, was Kylan mit »Sklavenarbeit« meinte, als er mir den Job in Barcelona ausreden wollte. Zwar sind meine Kollegen nett und hilfsbereit, aber es gibt einfach zu viel Arbeit und zu wenig Zeit, alles zu schaffen. Permanent sind wir am Limit, und sogar ich, die von der doppelten Belastung aus Vollzeitjob und Teilzeitstudium einiges gewohnt bin, komme allmählich an meine Grenzen, obwohl ich noch nicht lange hier bin. Selbst die ehrenamtlichen Helfer, die uns unterstützen, sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn auch sie müssen eingearbeitet werden, was wiederum von unserer Zeit abgeht. Bisher hatte ich noch keinen einzigen freien Tag, höchstens mal ein paar freie Stunden. Aber unsere Arbeit ist wichtig und wird wertgeschätzt. Deshalb bin ich hier, rede ich mir ein, um Erfahrungen zu sammeln und anderen Menschen zu helfen, nicht, um mich zu vergnügen.
Irgendwelche heißblütigen Spanier, mit denen ich Kylan eifersüchtig machen könnte, habe ich bisher noch nicht gefunden. Vielleicht ist das besser so, denn für einen Freund hätte ich gar keine Zeit, und der Typ für One-Night-Stands bin ich nicht. Eigentlich. Die spontane Idee, mich auf den nächsten glutäugigen Spanier zu stürzen, entsprang alleine meiner Wut auf meinen Ex.
Gerade befinde ich mich in einer Café-Bar in der Innenstadt und gönne mir eine kurze Pause, ein seltener Genuss. Ich könnte stundenlang hier sitzen und die Atmosphäre auf mich einwirken lassen, wie viele Spanier es tun, aber im Büro gibt es noch viel zu erledigen.
Ich trinke meinen Café con leche aus und will gerade gehen, als ein Mann meine Aufmerksamkeit erregt. Er sieht aus wie der Typ, mit dem ich am Flughafen zusammengestoßen bin. Wie hatte die Frau, die er erwartete, ihn genannt, Louis?
Natürlich Louis. Ich weiß den Namen noch ganz genau, genauso genau wie ihren Tonfall und seinen Gesichtsausdruck, als er sie sah und in seine Arme schloss.
Wem mache ich hier eigentlich etwas vor? Der Typ ist mir seit unserer ersten Begegnung nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
Jetzt kommt er auch noch in die Café-Bar, wo ich immer noch am Tresen stehe, um zu zahlen. Ja, er ist es. Er stellt sich neben mich, um seine Bestellung aufzugeben, und ich kann es mir nicht verkneifen, ihn mit »Denkst du immer noch, dass ich dir einen Kaffee schulde, Louis?«, anzusprechen.
Er sieht mich überrascht an. Erst allmählich sehe ich Erkennen in seinem Blick. »Die Yogamatte vom Flughafen?«
Als Yogamatte bin ich noch nie bezeichnet worden. Ich versuche, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen, aber das wirkt wenig, wenn man einen halben Kopf kleiner ist als der Empfänger. Er riecht gut, nach irgendetwas holzig-herbem mit leichter Zitrus-note. Außerdem sieht er noch besser aus, als ich es in Erinnerung hatte. Er hat sich von seinem Vollbart getrennt, eine Mode, die mir persönlich sowieso nicht gefällt. Sein verbliebener leichter Bartschatten gibt ihm etwas Verwegenes, genauso wie die Nase, die nicht ganz gerade ist. Für einen Spanier ist er relativ groß. Sein schlanker Körper und die Art, wie er sich bewegt, deutet darauf hin, dass er ziemlich fit sein muss. Geschäftsmann wird er nicht sein, denn er trägt keinen Anzug, sondern dunkle Jeans und einen schwarzen, leichten Rollkragenpullover. Obwohl ich ihn am liebsten in aller Öffentlichkeit an mich ziehen und küssen würde, sage ich kurz angebunden: »Also? Café solo, cartodo, con leche?«
Noch einmal werde ich es nicht anbieten. Als die Bedienung kommt, sage ich ihm, dass ich meinen Kaffee zahlen werde und einen für Louis. Der Mann hinter der Theke wirft ihm einen fragenden Blick zu. Louis bestellt kurz angebunden einen Cortado und ein Glas Wasser.
Ich zahle beide Getränke und wende mich gerade zum Gehen, als Louis’ Worte mich stoppen: »Du hast mich mit deiner Yogamatte erschlagen, Miss Prim-and-Proper.«
Mein erster Gedanke ist, zu antworten »Verklag mich doch«, ein Insider-Witz aus der englischen Kanzlei. Aber wer den nicht kennt, könnte meine Antwort schnell missverstehen. Stattdessen sagte ich: »Dafür siehst du noch ziemlich lebendig aus.« Und wieso bezeichnet er mich als prüde und korrekt?
Er lacht. »Du bist immer noch in Barcelona? Ich dachte, du seist nur auf der Durchreise.«
»Nein, ich arbeite hier.« Und meine Zeit ist knapp, setze ich in Gedanken hinzu. Es war nicht mein Plan, mich länger mit ihm zu unterhalten. Nun ja, nicht mein ursprünglicher Plan, verbessere ich meine Gedanken.
»Bist du Yogalehrerin?«
»Nein, ich …« Ich stoppe mitten im Satz. Das meinte er mit Yogamatte, nicht meine Figur! Ich werde rot und komme mir unglaublich dumm vor. Noch nicht einmal die Ausrede meines schlechten Spanisch habe ich, denn er spricht Englisch mit mir, wie ich erst jetzt bemerke. Ziemlich perfektes Englisch, mindestens genauso gut wie ich, die mehrere Jahre lang dort gelebt hat.
Aber ihm erzählen, wo und als was ich lebe und arbeite, will ich trotzdem nicht. »Yoga ist nur ein Hobby«, beende ich meinen Satz lahm.
Er nickt, ohne Durchblicken zu lassen, ob er sich damit auskennt oder nicht. Zwar gibt es auch hier Yogaschulen, aber es sind nach wie vor mehr Frauen als Männer, die es praktizieren.
»War schön, dich getroffen zu haben«, sage ich, »aber ich muss jetzt wieder los.«
»Ihr Ausländer, nie habt ihr Zeit.« Er klingt amüsiert, was mich auf die Palme bringt.
»Nicht jeder kann einfach so in den Tag hinein leben«, erwidere ich schärfer als beabsichtigt. Manche Menschen müssen jeden Tag ums Überleben kämpfen, ergänze ich in Gedanken.
»Du denkst, das tue ich?«
Zum Teufel mit prüde und korrekt. Zum Teufel mit Öffentlichkeit. Zum Teufel mit der Frau vom Flughafen. Ich trete auf Louis zu, verschränke meine Hände in seinem Nacken und küsse ihn, bevor ich es mir anders überlegen kann.
Einen Moment versteift er sich, wirkt überrascht. Dann öffnet er die Lippen, um meiner Zunge Einlass zu gewähren. Seine Hände legen