Klaus Willmann

Todesmarsch durch Russland


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stand uns ein Waschraum mit zwar einfachen, aber zweckmäßigen Waschbecken mit fließendem Warm- und Kaltwasser zur Verfügung.

      »Jetzt weiß ich, warum es immer heißt: ›Wir leben wie Gott in Frankreich!‹ Schade, dass unsere RAD-Zeit bald vorbei ist!«

      Kaum hatte Heiner Klotz dies ausgerufen, da entgegnete ihm Anton Sieß laut:

      »Heiner, sei vorsichtig! Unsere Arbeitsherren wissen wahrscheinlich längst schon, wie sie dafür sorgen können, dass wir hier nicht übermütig werden.«

      »Wer war denn vor uns hier einquartiert?«, rief Franz Struss mit seiner dünnen Tenorstimme.

      Und Heiner Klotz stellte lachend fest: »Egal Franz! Jetzt sind wir jedenfalls hier. Besser können wir es doch nicht haben.«

      Anderntags wurden wir mit Stahlhelmen und den uns schon bekannten französischen Karabinern ausgestattet und in Gruppen von jeweils 15 Mann eingeteilt. Unteroffiziere der Wehrmacht führten uns alle durch das künftig von uns zu bewachende Gelände rund um das Schloss. Wir sollten hier rund um die Uhr als Doppelposten Streife gehen und verhindern, dass Unbefugte den hohen Herren der Wehrmacht im Schloss und seinen Nebengebäuden zu nahe kommen konnten. Besonders wichtig schien es aber, französische Zivilisten daran zu hindern, das Bahnhofsgebäude unkontrolliert zu betreten. Außerdem hatten wir dafür zu sorgen, dass sich außer den dazu befugten uniformierten und mit Sonderausweisen ausgestatteten Bahnangestellten niemand auf den Schienensträngen aufhalten konnte.

      Ein schon etwas betagter Oberfeldwebel der Wehrmacht schärfte uns während seiner Führung mehrmals ein:

      »Wir müssen Tag und Nacht sicher sein, dass hier kein Unbefugter Schaden anrichten kann. Sollte irgendjemand Ihrem Anruf, stehen zu bleiben, nicht Folge leisten, dann hat jeder von Ihnen von der Waffe Gebrauch zu machen! Wehe Ihnen, wenn Sie sich in so einem Fall als nicht treffsicher erweisen!«

      Als uns noch am Spätnachmittag dieses Tages der Dienstplan für die folgende Dekade mitgeteilt wurde und jeder wusste, wann, mit wem und wo er seine Patrouillengänge zu verrichten hatte, hörte ich, wie Anton Sieß den neben mir sitzenden Heiner Klotz leise fragte:

      »Na Heiner, was sagst du jetzt?«

      »Ach du kannst mich doch kreuzweise! Außerdem sind unsere Tage beim RAD gezählt.«

      Auch wenn für jeden von uns die Kontroll- und Wachgänge sehr bald zur Routine wurden, hatte ich wieder einmal Glück, denn ich wurde mehrmals zum Schreibstubendienst eingeteilt. Wieder einmal kam mir mein grafisches Talent zugute. Unser »Schreibstubenhengst« hatte zudem erfahren, dass ich stenografieren konnte. Daher war ich sonntags nicht zum Wachdienst eingeteilt.

      An diesen Tagen fuhr ich zusammen mit Anton Sieß, Heiner Klotz und Franz Wölpl mit Bussen der Wehrmacht nach Paris. Jeder, der nicht zum Wachdienst eingeteilt war, konnte damit fahren. Auch Landser und manchmal deutsche Wehrmachtshelferinnen in ihren schmucken Uniformen fuhren mit. Einige unserer Kameraden nannten uns vier »die Unzertrennlichen«, und es war tatsächlich nicht ganz zufällig, dass wir jedes Mal gleichzeitig dienstfrei hatten. Denn der mir sehr wohlgesinnte »Schreibstubenhengst« hatte beim Erstellen des Dienstplanes ein bisschen mitgewirkt.

      Natürlich konnten wir an diesen wenigen Tagen nicht alle Sehenswürdigkeiten der Weltstadt kennenlernen. Der Eiffelturm mit dem davor angebrachten Denkmal seines Erbauers war unser erstes Ziel. Den Blick über die wunderbare Hauptstadt Frankreichs werde ich zeitlebens nicht vergessen. Bei seinem Anblick fragte ich mich, warum sich die Menschen seit alters her nicht vertragen können und sich immer wieder bekriegen.

      In einem uns empfohlenen Erfrischungsraum der Wehrmacht konnten wir preisgünstig essen, was unsere schmalen Geldbörsen schonte. Dort sprach uns ein munterer Gefreiter der Infanterie in unverwechselbarer Berliner Mundart an:

      »Es wäre mir eine Ehre, wenn ich euch Jungs aus den bayerischen Bergen unser Freudenhaus zeigen dürfte. So wat Duftes gibt’s selten. Dieses amouröse Haus ist extra für uns reserviert und wird medizinisch überwacht. Na was ist?«

      Natürlich wurden wir neugierig und konnten nicht widerstehen. Wir besichtigten aber nicht nur die Damen des horizontalen Gewerbes, sondern auch den Invalidendom, Notre Dame, den Triumphbogen und natürlich Montmartre.

      Doch unsere Zeit beim RAD ging rasch zu Ende. Am 7. Oktober wurden wir in Lagerlechfeld entlassen. Heute noch erscheint es mir kurios, dass ich zu Hause in Garmisch meinen Einberufungsbefehl zur Gebirgsartillerie für den 2. Oktober 1940 vorfand. Am nächsten Tag begab ich mich sogleich zum Wehrmeldeamt, bei dem ich registriert war, seit ich in Garmisch wohnte.

      Der Beamte im Wehrmeldeamt hatte schon angegraute Schläfen. Er musterte mich freundlich, amüsiert, vielleicht auch ein wenig spöttisch, als ich ihn fragte:

      »Was soll denn das? Die haben mich doch erst gestern entlassen …«

      Lachend hob er die Hände und unterbrach mich.

      »Sie sind nicht der Erste, der mir das heute erzählt. Wahrscheinlich kommen später auch noch andere. Einer der zwei anderen aus Garmisch meldet sich am 14. Oktober bei den Jägern in Garmisch und der andere in Mittenwald.« Er warf einen kurzen Blick auf den auf seiner Schreibtischplatte liegenden RAD-Entlassungsschein und stellte gemütlich fest: »Herr Lothar Hermann ist angeblich für die Gebirgsinfanterie nicht so geeignet wie seine Kameraden. Sie melden sich am 14. hier bei der Gebirgsartillerie! Geben Sie mir bitte Ihren Einberufungsbefehl zur Wehrmacht, damit ich ihn ändern kann. Nicht jeder hat das Glück, so heimatnah einrücken zu dürfen, und die paar freien Tage werden Ihnen guttun.«

      Am Morgen des 14. Oktober 1940 stand ich etwas aufgeregt vor dem Posten der Kaserne in der Maximilianstraße. Das aus Holz gezimmerte Wachhäuschen am Eingangstor war mit schwarz-weiß-roten Streifen bemalt.

      »Wo soll ich mich denn melden?«, fragte ich den Wachposten. Der stand mit leicht gespreizten Beinen und geschultertem Karabiner vor mir und deutete lediglich schweigend mit dem behelmten Kopf in Richtung der Wachstube.

      Das solide gemauerte Haus am Tor und die anderen hell gestrichenen Gebäude der Kaserne im Tal vor den dahinter aufragenden Bergen wirkten auf mich zwar nicht gerade einladend, aber ich müsste lügen, wenn ich heute behaupten würde, dass ich sie als abweisend empfunden hätte.

      Schon vor dem ersten Mittagessen im Speiseraum unserer Batterie war ich komplett eingekleidet und hatte mein Köfferchen mit meinen Zivilklamotten und meiner Heimatanschrift Danielstraße 20 in Garmisch abgegeben. Der Unteroffizier meiner Korporalschaft war nur einige Jahre älter als ich und zeigte mir in der mir zugewiesenen Bude, wie ich meinen Spind nach HDV einzuräumen hatte. Dabei erfuhr ich zudem, dass unsere Batterie in vier Züge aufgeteilt war.

      »Die beiden ersten Züge bedienen die Geschütze, wir sind der dritte, der Nachrichtenzug. Im vierten dienen die offiziell als Tragtierführer bezeichneten Kameraden. Wir nennen sie ganz allgemein die Mulitreiber. Die brauchen zur Pflege unserer manchmal als störrisch verrufenen Mulis im Stall Drillichanzüge. Wir haben das nicht nötig. Unser Batteriechef ist Hauptmann Raimund Lang, und zusammen mit den zwei anderen Batterien bilden wir eine Gebirgsartillerieabteilung. Genug für’s Erste, jetzt zurück zu uns. Hier in meiner Bude hat’s bisher noch keinerlei Stunk gegeben.« Nach dieser Feststellung lächelte Unteroffizier Zimmermann selbstgefällig und fragte mich: »Nun, wie gefällt Ihnen unsere Bude? Das Einzelbett gleich dort neben dem Fenster gehört selbstverständlich mir.«

      Nochmals durchstreiften meine Blicke den kleinen Raum. Ich betrachtete die jeweils doppelstöckigen Bettgestelle rechts und links an den Wänden neben der Tür und die neun Spinde, bevor ich antwortete: »Mir gefällt es hier ganz gut. Aber als gelernter Dekorationsmaler würde ich die kahlen Wände gern etwas verschönern.«

      Unteroffizier Zimmermann lachte und meinte:

      »Ach, sieh einmal einer an. Sie werden doch nicht etwa künstlerisch veranlagt sein?« Er blickte auf seine Armbanduhr und fuhr fort: »Kommen Sie mit mir. Wir gehen zum Essen. Dort unten lernen Sie die anderen kennen. Die sitzen mit Ihnen an einem Tisch. Ihr Platz war bisher verwaist. Ich sitze natürlich bei den anderen