Rose Bloom

Rage


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Praktikum als Physiotherapeutin! Es macht mir Spaß, ist abwechslungsreich, und wir verdienen deutlich mehr als bei den Gelegenheitsjobs davor. Außerdem kann ich dir so viel besser helfen. Es ist okay, Mum. Ich muss nicht studieren, um glücklich zu sein.«

      »Wenn du denn wenigstens glücklich wärst …« Sie sah mit unendlich traurigen Augen zu mir hoch, und ich wandte den Blick ab. Ich konnte nicht damit umgehen, dass sich meine Mum Vorwürfe deswegen machte. Sie dachte tatsächlich, sie wäre schuld daran, dass alles so gekommen war. Und jetzt fehlte von ihrer jüngsten Tochter auch noch seit Wochen jede Spur.

      »Ich werde Gini finden und hole sie zu uns zurück«, sagte ich überzeugt und widmete mich erneut der Suppe.

      Die Tür wurde aufgeschlossen, und Matts Stimme klang durch den Flur. Ich war froh, dass meine Mum wieder jemanden gefunden hatte, den sie lieben konnte. Und als Pfleger – hierdurch hatten sie sich kennengelernt – konnte er ihr wirklich dabei helfen, ihr Leben so zu meistern, als hätte sie nicht diese Wunden zurückbehalten. Verursacht von einem Mann, den ich von ganzem Herzen verabscheute.

      »Hey, ihr zwei«, sagte Matt. Meine Mutter lächelte ihn verliebt an. Er ging zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. »Hi, Darling«, flüsterte er ihr zu, und sie strich sanft durch sein braungraues Haar. Ich wandte mich ab, weil ich es nicht angemessen fand, die beiden so zu beobachten.

      »Hey, Nashorn«, sagte er zu mir und wuschelte mir durch die Haare. Auch er kannte meine Angewohnheit, meinen Dickkopf durchzusetzen, und hatte mir bei unserem Kennenlernen diesen liebevoll gemeinten Spitznamen verpasst. Er war der Einzige, der mir einen geben durfte, allein weil er meine Mum glücklich machte. Es hatte einige Zeit gedauert, bis sie das neue Glück zugelassen hatte, und ich konnte Matt verstehen, was er an ihr fand. Sie war immer noch eine schöne und humorvolle Frau, und ich wünschte ihr nur das Beste.

      »Hi, Nervensäge«, sagte ich grinsend. Okay, neben Hunter war Matt ebenfalls ein wirklich netter Mann. Zwei Männer von wie vielen auf dem Planeten?

      4

      Der Schweiß lief mir immer wieder ins linke Auge, das allein vom bloßen Blinzeln brannte wie Feuer. Durch das andere konnte ich schon lange nichts mehr sehen. Ungeachtet dessen versuchte ich, meinen Gegner Garcia im Blick zu behalten. Die Geräusche um mich herum verschwammen zu einem undeutlichen Rauschen. Ich hörte nur Robs Schreie, weil er direkt am Käfigrand stand und in meine Richtung brüllte: »MACH DIE TECHNIK SAUBER, VERDAMMT! DER KICK! RAGE!«

      Luft strömte mit schweren Atemzügen in meinen Brustkorb, den ich ebenfalls kaum noch spürte. Mein gesamter Körper war taub. Doch mein Gegenüber sah genauso beschissen aus, wie ich mich fühlte. Ich hatte ihm stark zugesetzt. Trotzdem stand mein Sieg auf der Kippe. Punktemäßig waren wir gleichauf. Ich durfte nicht verlieren. Das war einfach keine Option. Ich war wertlos ohne den Sieg.

      Garcia stürmte auf mich zu. Ich blockte seinen geraden Punch und versuchte, ihm einen Haken zu verpassen. Doch er war schneller. Ruckartig wich er zur Seite aus. Während ich mich noch in der Bewegung befand, verlagerte er sein Gewicht zu einem Kick und traf meine Rippen. Der Schmerz durchbohrte meine gesamte linke Flanke. Ich kannte dieses Gefühl. Damit konnte ich umgehen, nahm es sogar gerne entgegen, denn ich hatte genau diesen Schmerz verdient. Jeden einzelnen Schlag davon. Immer wieder. Bis zum Ende meines Lebens.

      Dennoch war mein Siegeswille seit meiner Kindheit antrainiert und deutlich größer als der Drang nach verdientem Leid. Es war wie eine Sucht, ein Trieb, den ich einfach nicht abstellen konnte. Nur dadurch fühlte ich mich lebendig. Eigentlich stieg ich nur deswegen in den Ring. Ich brauchte den Rausch, um zwischendurch etwas zu fühlen.

      Ich konterte, Blut floss mir in die Augen.

      »BEENDE ES, RAGE! JETZT!«

      Ich lief auf Garcia zu. Variierte eine schnelle Abfolge von Kicks und Punches. Er versuchte, mich zu umklammern, entweder für eine Pause oder um meinen massiven Körper auf den Boden zu bringen. Doch durch das jahrelange Training mit meinem Vater lag meine Stärke definitiv im Boxen. Deshalb versuchte ich alles, um auf den Beinen zu bleiben, denn beim Kampf auf dem Boden könnte ich der Unterlegene sein.

      Ich drehte mich aus seiner halben Umklammerung. Links. Rechts. Kick. Er konterte, aber die gesamte Wut über eine eventuelle Niederlage erfüllte meinen Kopf.

      Ich hörte Robs Schreie nicht mehr.

      Ich spürte meine Schmerzen nicht mehr.

      Ich schmeckte das Blut auf meiner Zunge nicht mehr.

      Ich wollte diesen Kampf nur zu Ende bringen. Jetzt. Als Sieger.

      Mein letzter Punch traf kraftvoll auf Garcias Kinn. Er ging zu Boden. Knock-out.

      Der Ringrichter zählte aus und hielt meinen Arm nach oben. Die Aggression pulsierte immer noch durch jede meiner Venen. Ich kannte diesen Zustand, und es würde einige Zeit dauern, bis er endlich durch Erschöpfung verdrängt würde. Ich befand mich in einem Strudel aus Leid und tiefster Wut. Diese beiden Gefühle spiegelten sich in meinem gesamten Leben wider. Sie halfen mir im Ring, um als Sieger hervorzugehen. Doch es dauerte eine ganze Weile, bis ich sie wieder fest unter Verschluss hatte, und in letzter Zeit gelang es mir immer schwerer.

      Der Ringrichter entließ mich. Mein Manager und gleichzeitig bester Freund Sam stürmte auf mich zu, genauso wie Rob und der Ringarzt. Ich schüttelte alle ab und stapfte in die Kabine. Immer wieder strich ich mir mit dem Handrücken, der in fingerlosen Handschuhen steckte, über die blutenden Wunden in meinem Gesicht. Ich hätte fast verloren. Das konnte ich nicht ertragen. Siegen war der einzige Lebensinhalt, der mir blieb. Ich war ein Nichts.

      »Rage!«

      »Shawn!«

      »Bleib doch stehen!«

      Menschen redeten auf mich ein, und ich blendete sie genauso aus wie die Geräusche gerade im Ring. In der Umkleide angekommen, trat ich mit dem nackten Fuß gegen den Blechspind. Eine Delle blieb zurück, und ich holte erneut aus. Es hatte nicht gereicht.

      »Verpisst euch alle«, knurrte ich. Ich war ein Versager. Auch wenn der Ringrichter meine Hand zum Sieg gehoben hatte, hatte ich mich während des Kampfes nicht vollständig unter Kontrolle gehabt. In meinen Augen hatte ich nicht gewonnen. Ich hatte es nicht verdient!

      »Mister Dawson, Sie müssen versorgt werden!« Der Ringarzt stellte sich mit verschränkten Armen seitlich neben mich.

      »Ich hab gesagt: Verpisst euch! Alle!«, schrie ich und trat noch ein weiteres Mal zu. Er wich zurück.

      »Ist in Ordnung, Joe macht das …«, hörte ich Robs halb besorgte Stimme wie als lästiges Hintergrundgeräusch.

      »Shawn!« Sam klang bestimmend, und ich verharrte. Er war der Einzige, der mich bei meinem richtigen Namen nannte. »Reg dich ab, verdammt! Du hast gewonnen, also komm wieder runter! Scheiße noch mal!«, fluchte er, und ich senkte den Kopf.

      »Ich weiß, in welchem Rausch du bist, wenn du im Ring stehst, aber es ist vorbei«, sagte er.

      Ich presste die Kiefer aufeinander, bis es knackte. Einmal noch krachte mein Fuß volles Rohr in die Spindtür, daraufhin drehte ich mich um. Mein Atem ging schnell, unzählbare Stellen an meinem Körper schmerzten, das Blut tropfte von meinem Gesicht zu Boden.

      »Okay«, sagte ich atemlos, und Sam nickte. Er schaffte es nicht wirklich, mich runterzubringen, doch hatte ich meistens so viel Respekt vor ihm, mich zumindest äußerlich zu beruhigen. Oft. Nicht immer.

      »Meine Güte, deine Launen nach den Kämpfen werden immer schlimmer«, maulte er und fuhr sich durch die dunklen Haare. Mein Blick glitt zu Boden, meine Hände waren zu Fäusten geballt. Ich kam nicht darüber hinweg, dass ich fast das Weiterkommen in die nächste Runde und somit den Kampf in Atlanta vergeigt hatte.

      Atlanta. Allein wenn ich an die Stadt dachte, bekam ich Kopfschmerzen. Doch sie war nur eine Zwischenstation. Für mein nächstes großes Ziel.