nannten, und süßen Tomaten, so prall, dass sie zu bersten schienen. An den Abenden im Schutz der Weinreben, deren Blätter man von September an ernten musste, bevor der Herbst sie zu Pergament machte. Unter ein und derselben zersetzenden Sonne vermehrten sich die bereits zahlreichen Palästinenser, bis sie doppelt so viele waren wie die anderen Araber, die sich mit ihnen eingeschifft, mit ihnen Halt in Río de Janeiro gemacht und mit ihnen all die Monde über dem Meer hatten aufsteigen sehen, bis zur Ankunft in Buenos Aires, die mit ihnen auf Maultieren, von Treibern geführt, die Cordillera überquert hatten oder später in den Waggons der Transandenbahn, die inzwischen stillgelegt ist.
liebespfeil eisenbahn
Die heisere Dampfpfeife ist zum Schweigen gebracht worden, und die dicken schwarzen Rauchwolken der Lokomotiven haben sich zerstreut, aber die Geschichte von meinen Großeltern und dem Liebespfeil Eisenbahn hat überlebt. Meine Tanten haben dafür gesorgt, sie so weiterzugeben, wie sie sie von ihrer Mutter und voneinander gehört haben, all die Jahre lang. Die Geschichte kann sogar meine Mutter erzählen, lieber als die ihrer eigenen italienischen Verwandtschaft, die sich niemals durch Triumphe der Liebe ausgezeichnet hat. Meine Mutter und meine Tanten erzählen sie und manchmal sogar mein Vater, mit Varianten: dass beide aus Beit Jala stammten, wo sie sich nie begegnet waren, dass sie der gleichen Glaubensrichtung angehörten und sogar einen gemeinsamen Nachnamen hatten (mein Großvater war der Cousin seiner zukünftigen Schwiegermutter, sie hatte einen ausrangierten Meruane in ihrem Stammbaum), dass mein Großvater mit seinem künftigen Schwager in die Schule gegangen war und all das nicht gereicht hatte, um in den Clan aufgenommen zu werden. Meine Großmutter Milade oder Maria sollte einen aus dem engeren Kreis heiraten. Das Stammesgesetz (wie mein Vater es ausdrückte) sprach sich für einen der vielen Sabajs aus, ihre Nachbarn in Chile. Meine Großmutter hatte einen Bewerber, der zwar keine Reichtümer besaß, dafür jedoch mit etwas Land gesegnet war. Kurz bevor Maria meinen Großvater kennenlernte, schaffte sie sich diesen Sabaj vom Hals. Dieser Teil der Geschichte entzückt meine ledige Tante, meine Tante-die-Erstgeborene, die sich an dem Punkt vielleicht mit ihrer Mutter identifiziert: Milade oder Maria hielt es für angebracht, diesem Sabaj mitzuteilen, er sei zu alt für sie und außerdem hässlich, so hässlich, dass man einen Schreck bekomme, wenn man ihn bei helllichtem Tag sehe. Denken Sie nur, wie wird das erst sein, wenn ich Ihnen nachts begegne, sagte sie. Damit war das Werben beendet. Meine Großmutter blieb ledig, im beunruhigenden Alter von fünfundzwanzig Jahren. Bald ist der Zug abgefahren, sagten oder flüsterten die anderen. Aber sie stieg in letzter Minute in den Waggon, und aus eigener Überzeugung, wie ihre Kinder und meine Mutter beharrlich erzählen. Ausgerechnet auf einem Bahnsteig sahen sie sich zum ersten Mal. Auf dem nicht mehr existierenden Bahnhof von Llay-Llay. Sie stieg dort um nach Santiago, in Begleitung ihres Bruders, mit dem sie Geschenke für die Frauen der Familie kaufen musste, in die er hineinheiraten sollte. Dem Bruder war mein Großvater aufgefallen, als er aus dem Zug kam, um ebenfalls umzusteigen, allerdings war Isa oder Jesús oder Salvador in die entgegengesetzte Richtung unterwegs: nach Süden. Mein Großvater war so alt wie sie, oder sie war ihm um ein, zwei Jahre voraus oder auch nur einen Monat, das ließ sich niemals klären. Und er sollte behaupten, um die Sache noch zweifelhafter zu machen und sie zu ärgern, er habe meine Großmutter allein auf dem Bahnhof angetroffen, meine Großmutter mit ihrem langen krausen, geflochtenen Haar, in der Hand einen Weidenkorb, aus dem sie lauwarme Sandwichs anbot, im Pulk der anderen Verkäufer, die die Reisenden bedrängten. Großvater behauptete, Maria habe mit ihm geflirtet, ihm das Schinken- oder Mortadella-Brötchen für einen Sonderpreis angeboten, und so habe alles angefangen. Und mein Vater, wie zuvor der seine, lacht beim Erzählen. Er lacht schallend und für sich allein über diese Bosheit, die seine Mutter so wütend machte. Vielleicht fürchtete sie, jemand könnte diese Version ihrer Begegnung glauben. Und wenn schon, denke ich, mag sie doch eine Straßenverkäuferin gewesen sein wie so viele Araber damals. Da fällt mir auf, dass Schweigen eingetreten ist. Mein Vater ist es leid, die Geschichte zu wiederholen, die wir bereits kennen, oder er hat beim Fahren nichts weiter hinzuzufügen. Vielleicht lenkt ihn auch ein Straßenschild ab. Er verstummt, neben ihm meine Mutter, abwesend oder dösend, ihre nackten Füße auf dem Armaturenbrett. Meine Brüder sitzen neben mir, jeder blickt aus dem Fenster. Wir sitzen so wie immer, wenn wir zusammen sind, wie früher, bei unseren Ausflügen. Abgelenkt auf der kurvenreichen Straße, mit dem Kopf irgendwo anders.
sprachen, die sich gabeln
Weiter geht es, schweigend oder auf Spanisch, obwohl noch andere Sprachen in unserer Genealogie schlummern. Die arabischen Einwanderer machten sich das Spanische im gleichen Rhythmus zu eigen, in dem sie ihre Muttersprache verloren, behielten sie jedoch untereinander bei wie einen Geheimcode, der ihren Kindern verwehrt war: Sie verschluckten lieber ihre Zunge, bevor sie ihnen das Stigma einer zweitklassigen Staatsbürgerschaft vermachten. Diesen Akzent umgab ein auffälliger Schatten wie die Armut ihre verschlissenen Kleider. Beide musste man loswerden, und das war nicht schwer. Mit der neuen Kleidung hatten sie kaum Schwierigkeiten, denn ihr Stil glich dem der mitgebrachten. Kaum Schwierigkeiten hatten sie auch damit, ihren durchlässigen Sprachen das Spanische hinzuzufügen: Ihre Vorfahren hatten jahrhundertelang im Spanischen gewohnt, auf der Iberischen Halbinsel, hatten es arabisiert und mit der stummen Parenthese des eingeschobenen arabischen h und des vorangestellten, hallenden al- seine Seele erobert. Es jetzt zu sprechen, war eine andere Art der Rückkehr. Meine Großmutter, sagt mein Vater, hatte es gleich nach ihrer Ankunft erlernt, als Kind; mein Großvater dagegen hatte es erst mit elf, zwölf, vielleicht auch mit vierzehn angenommen. Mein Vater nutzt diesen Abzweig und erklärt, Salvadors Alter sei deshalb ungewiss, weil seine Geburtsurkunde beim Brand der palästinensischen Kirche verloren gegangen sei. (Noch ein Brand, notiere ich. Noch ein Verlust, der der Dokumente, die seinen Ursprung belegen.) Aber seine Mutter und seine Geschwister hätten das Jahr doch wissen müssen, führe ich ins Feld, hebe den Bleistift vom Papier, die Augen zu meinem Vater. Er verzieht die Lippen und beruft sich auf meine Tante-die-Zweite, die sich dieses Rätsel ebenfalls nicht erklären kann, es gar nicht versucht, sondern sagt, man habe damals die Kinder spät getauft, das Datum gefälscht, um den türkischen Militärdienst hinauszuschieben oder zu umgehen. Dann erfahre ich, dass nicht einmal klar ist, ob Isa mit seiner verwitweten Mutter eingetroffen war, einer Frau mit Namen Esther (und tiefblauen Augen, die niemand geerbt hat), oder ob sie mit seinen älteren Geschwistern bereits in Chile und er später mit Onkel und Tante nachgekommen war. Die Versionen widersprechen sich. Mein Vater sagt und verbürgt sich auch dafür nicht, mein Großvater habe dann im Süden gearbeitet, in der Mühle seiner älteren Brüder, während er seine dritte Sprache in Angriff nahm. Deutsch hatte er auf einer protestantischen Pfarrschule gelernt, denn damals hatte es viele Schulen europäischer Religionsgemeinschaften in Palästina gegeben. Szenen kommen mir in den Sinn: Mein Großvater, der im Laden La Florida mit einem Kunden auf Deutsch radebrecht, mein Großvater, der sich als Schreiber betätigt, als freiwilliger Vorleser für Landsleute ohne Schulbildung, die Familienbriefe aus der Levante bekamen. Er sagt, mein Vater: Ich sehe ihn noch vor mir, ein kleiner alter Mann aus der Kolonie, sehr weißhäutig, blond mit hellen Augen, der weder lesen noch schreiben konnte. Wenn er Briefe von seiner Familie erhielt, ging er zu meinem Vater, damit er sie ihm vorlas und beantwortete, und manchmal begleitete ich ihn in den Laden und staunte, wie er da von rechts nach links über das Blatt fuhr. Damals war es keine Tragödie, seinem Alphabet ein zweites hinzuzufügen, die Schreibrichtung zu ändern, die Syntax zu tauschen, den Tonfall zu modulieren, bis man den chilenischen Akzent perfektioniert hatte: Das Schild an dieser Weggabelung der Sprachen deutete in Richtung Fortschritt, und diesen Weg schlugen die Palästinenser ein. Sie ließen den fliegenden Handel hinter sich, und auch mein Großvater gab seine Fahrten durch den Süden auf, wo er den Stoffvertrieb eines gewissen Manzur vertreten hatte. Mein Vater betont, übergenau und überflüssig, da es nicht einmal mich interessiert, für ihn jedoch eine Frage der sozialen Stellung zu sein scheint: Mein Großvater sei kein fliegender Händler gewesen, sondern Vertreter. Das gab seiner prekären Stellung etwas Gewicht, so dass mein Großvater die Mühle und den Laden verlassen konnte, den er gemeinsam mit seinen älteren Brüdern in Toltén führte, einer Stadt, die zwanzig Jahre später ein Tsunami hinwegreißen sollte. (Noch ein Verschwinden, notiere ich, in dieser Saga der Verluste.) Es war dringend angebracht, sich im Landesinnern niederzulassen, damit die drei Töchter und die folgenden zwei Söhne eine bessere Ausbildung bekamen. Denn meine Großmutter, kultivierter