Stig Ericson

Sturm über Bluewater


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Beschluß gefaßt.

      Ich würde versuchen, Lehrerin zu werden, genau wie sie. Ich würde alles machen, wirklich alles, um so weit zu kommen wie sie. Ich würde niemals Siedlerfrau werden. Ich würde Miss Lind werden, „so eine verdammte Lehrerin“ – aber nicht aus Boston, sondern aus Bluewater oder Lindsdorf oder wie immer der Ort in Zukunft heißen würde.

      Das würde Vater recht geschehen. Das hatte er dann davon. „Das mit der Aussprache wird schon werden“, sagte Mrs. Ryan. „Das kommt mit der Zeit. Das Verstehen der Wörter ist wichtig. Und die Übung im Lesen.“

      Dann nahm sie Mutters Hand, lächelte wieder und sagte, daß es schon spät sei, aber daß sie gerne bei einer anderen Gelegenheit „auf eine Tasse Kaffee hereinschauen würde“.

      An der Tür schaute sie zu mir.

      „Bringst du mich zum Wagen, Jenny?“

      Erst da merkte ich, daß ich immer noch das Gewehr in der Hand hatte.

      Ohne Mrs. Ryan anzuschauen, hängte ich die Winchester auf. Dann schlüpfte ich in die Schuhe und zog mir ein Tuch um die Schultern. Wenn es draußen kalt war, so spürte ich es nicht. Meine Wangen glühten. Da hatte ich mit dem Gewehr in der Hand dagestanden und dumm geschaut und noch nicht einmal danke gesagt. Aber ich weiß noch, daß es klar und windstill war und daß man im Nordwesten eine dunkle Wolkenwand sehen konnte.

      Mrs. Ryan ging zum Einspänner und holte etwas hervor, was unter der Decke auf dem Sitz lag. Das Pferd stand unbeweglich da und hatte das Maul tief im Futtersack.

      „Hier ...“

      Sie reichte mir ein Buch, das in Zeitungspapier eingeschlagen war. „Das ist eine Bibel“, sagte sie. „Ich wollte sie nicht mit hineinnehmen, weil ich ja nicht wußte, ob Onkel Charles ... aber das weißt du ja viel besser als ich.“

      Ich war außerstande, das Paket entgegenzunehmen. Ich schlug die Augen nieder und sah Mrs. Ryans glänzende, schwarze, spitze Stiefel vor meinen Kisten von Schuhen im sternhellen Schnee stehen.

      Ich hatte Tränen in den Augen. Diese unerwartete Freundlichkeit ... Und ich verstand nur zu gut, was Mrs. Ryan mit ihren Andeutungen über Vater und die Bibel meinte.

      Alle in der ganzen Gegend wußten, daß er seinen Fuß nicht in eine Kirche gesetzt hatte, seit er nach Nordamerika gekommen war. Er gab sogar damit an. Die Natur – das war sein Heiligtum, sein einziges Heiligtum, und wenn es einen Gott gab, dann war er da und sonst nirgends.

      Alle Leute wußten auch, daß er Priester und Prediger nicht ausstehen konnte, und vielleicht ahnte ich damals schon, daß das etwas mit seinen Studien in Schweden zu tun hatte, seinen „feinen“ Studien. Er nannte sie manchmal „Himmelslotsen“ und fügte hinzu, daß man vor allem hier auf Erden praktische Führung brauchte. Das Himmelreich konnte warten, je länger, desto lieber.

      Und er selbst war so etwas wie ein „praktischer Führer“.

      Da alles bebaute Land am Fluß entlang abgesteckt war, hatten die Neuankömmlinge es schwer, wenn sie noch freie Grundstücke finden wollten. Vater suchte ihnen geeignetes Land, oft in einem großen, unbewohnten Gebiet, das wir die Sandhügel nannten und das sich westlich vom Fluß weithin erstreckte. Eine solche Tour dauerte oft drei oder vier Tage, und er verlangte dafür fünfundzwanzig Dollar, die „bei Gelegenheit“ bezahlt werden sollten.

      Vater war der Freund der Siedler und der Feind der Prediger. „Ihr habt doch bestimmt keine Bibel im Haus, oder?“ fragte Mrs. Ryan.

      Ich schaute auf meine Schuhe und kämpfte mit dem Weinen im Hals. „Keine englische.“

      Mutter hatte eine deutsche Bibel, aber sie hatte sie meines Wissens schon lange nicht mehr aufgeschlagen. Vielleicht las sie darin, wenn Vater weg war und wir Kinder schliefen. Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, daß sie die Kirche vermißte, und ich hatte einige Male gehört, daß sie zu Gott bat, er solle doch machen, daß Vater nett würde.

      „Nimm sie jetzt“, sagte Mrs. Ryan. „Ich möchte, daß du sie bekommst. Verstehst du? Ich will es.“

      „Ich bin nicht wie mein Vater“, sagte ich, und jetzt wußte ich, daß ich nicht anfangen würde zu weinen.

      Es war so still auf dem Hof, daß ich sie atmen hörte. Sie steckte mir die Bibel unter den Arm, ich schaute schnell auf, und sie strich mir leicht über die Wange und sagte leise:

      „Kleine Miss Jenny Lind. Ich weiß es. Du bist nicht wie dein Vater.“

      Dann stieg sie in den Einspänner und wickelte sich in die Decke. „Und jetzt hilf mir bitte mit den Zügeln.“

      Jetzt hatte sie wieder ihre normale Stimme. Ich machte die Zügel vom Haltepflock los und reichte sie ihr mit einer Bewegung, die wohl eine Verbeugung darstellen sollte.

      Mrs. Ryan schaute Richtung Nordwesten. Die Wolkenwand war näher gekommen.

      „Ich muß zusehen, daß ich nach Hause komme, ehe das Unwetter da ist. Viel Glück, kleine Jenny. Und grüße deinen Bruder.“

      Sie trieb das Pferd an, und der kleine Einspänner rollte Richtung Fluß davon.

      Miss Jenny Lind.

      So hatte mich noch nie jemand genannt.

      Jetzt faßte ich noch einen Entschluß – einen der eine mehr direkte Wirkung hatte. Ich würde Mutter die Bibel nicht zeigen, noch nicht. Ich würde ein Geheimnis haben.

      Ich machte das Zeitungspapier ab, faltete es zusammen und stopfte es in den einen Schuh. Platz genug war da. Dann versteckte ich die Bibel unter ein paar Sachen neben der Tür und ging hinein.

      Ich saß am Tisch und blätterte im zweiten Lesebuch, als Hanna zu schreien anfing. Hanna war erst neun Monate alt. John, der Dreijährige würde bestimmt auch aufwachen. Ich spürte Mutters Blick. Es war meine Aufgabe, eine meiner vielen Aufgaben, mich um meine kleineren Geschwister zu kümmern. Meine ganze Kindheit und Jugend war ein einziges langes Kinderhüten. Ich konnte keinen Schritt gehen, ohne ein Kind auf der Hüfte zu haben, und ein anderes, das mit hinterherstolperte.

      Das Schreien hörte nicht auf, aber ich tat so, als ob ich nichts hörte.

      Schließlich erhob sich Mutter vom Hocker. Sie brummte etwas von „feinen Büchern“ und ging mit müden Schritten die Treppe hinauf in die Dachkammer, wo wir Kinder schliefen. Ich schlich schnell weg und holte die Bibel. Später würde ich sie an einem besseren Ort verstecken. Ich weiß noch, daß ich erst an ihr roch, ehe ich sie aufschlug. Auf dem hellbraunen Papier auf der Innenseite des Deckels stand etwas mit Tinte geschrieben. Es dauerte einige Zeit, bis es mir gelang, in dem schwachen Licht die Buchstaben zu deuten, aber ich werde nie vergessen, was da stand:

      Mary Elisabeth Finerty

      Johannes 3,16

      Omaha, den 4. Juni 1863

      Ich wußte, daß Mrs. Ryan Witwe war, und daß sie bei ihrem Bruder wohnte, der Arzt war und ein Holzbein hatte. Er hatte im Krieg gegen die Indianer gekämpft. Und der Bruder hieß Finerty. James Finerty.

      Sie hatte mir ihre eigene Bibel geschenkt!

      Ich schaute auf die Jahreszahl und rechnete mit den Fingern. 1863. Das war siebenundzwanzig Jahre her. Sie muß ungefähr so alt wie ich jetzt gewesen sein, als sie sie bekam, vielleicht zum Schulabschluß.

      Sie hatte mir ihre eigene erste Bibel geschenkt. Das war mehr, als ich begreifen konnte.

      Normalerweise habe ich noch nicht richtig den Kopf aufs Kissen gelegt, und schon bin ich eingeschlafen.

      Aber an diesem Abend war nichts wie sonst. Ich dachte an Mrs. Ryan, wie sie wohl ausgesehen hatte, als sie so alt war wie ich, was für Kleider sie angehabt hatte. Bestimmt ein weißes Kleid mit vielen Spitzen. Und einen Hut mit roten und blauen Seidenbändern.

      „Nimm sie jetzt. Ich möchte, daß du sie bekommst. Verstehst du? Ich will es.“

      Genau das hatte sie gesagt. Sie mußte etwas damit gemeint haben, etwas Bestimmtes, etwas, was nur mich