und Seele in der Arbeit auf. Es wird fein sein, ihn wiederzusehen!«
»Ja, da hast du recht«, räumte Erling ein wenig unsicher ein. »Aber eine Kleinigkeit hast du offenbar vergessen.«
»Was denn?« fragte Jan.
»Wir sind ja noch gar nicht eingeladen.«
»Ach, wenn’s weiter nichts ist!« lachte Jan. »Die Einladung wird schon erfolgen. Sonst laden wir uns eben selbst ein!«
»Du siegst immer mit deiner Freimütigkeit und Unbefangenheit«, seufzte Erling. »Ja, da bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als für die Einladung zu danken ...«
Erling brach plötzlich ab und blieb vor einem Schokoladegeschäft stehen, in dessen Schaufenster alle möglichen Leckereien prangten.
»Du, nimm dich zusammen«, mahnte Jan, der sich sofort über die Lage klar war. »Heute gibt’s keine Rahmkaramellen!«
»Nur eine einzige ...«
»Unter keiner Bedingung! Du machst eine Abmagerungskur!«
Jan packte den Freund am Arm, und Erling ließ sich mit leichtem Widerstreben durch den Regen weiterziehen.
Kriminalkommissar Mogens Helmer saß in seiner behaglichen Wohnstube und unterhielt sich mit seinem Bruder, dem Gutsbesitzer Christian Helmer. Das ganze Zimmer war mit Zigarrenrauch gefüllt.
Der Gutsbesitzer lehnte sich in dem breiten Sessel zurück und tat ein paar kräftige Züge an seiner Zigarre. Dann betrachtete er seinen Bruder mit einem kleinen Lächeln und fragte: »Na, wagst du es, mit mir um eine Kiste Zigarren zu wetten, Mogens?«
»Du wirst die Wette verlieren, Christian«, entgegnete der Kriminalkommissar.
»Dann gehst du ja kein Wagnis ein, wenn du wettest«, lachte Christian Helmer. »Aber ich bin keineswegs sicher, daß ich verlieren werde. Auf alle Fälle könnte es ein sehr lustiger Weihnachtsspaß werden, findest du nicht auch?«
»Nun ja ...«
»Zieh die Sache doch nicht so in die Länge, alter Spürhund!« lachte der Gutsbesitzer gemütlich. »Es ist also abgemacht, wir wetten um eine Kiste Zigarren, daß der vortreffliche Jan ...«
Christian Helmer hielt unvermittelt inne, weil die Tür geöffnet wurde. Frau Helmer kam herein, um den Kaffeetisch zu decken.
»Puha!« rief sie lachend und wedelte mit der Hand durch den dichten Tabaksrauch. »Es ist doch unbegreiflich, daß ihr Männer einen Genuß davon habt, solche ... solche ...«
»Glimmstengel zu paffen«, schlug der Gutsbesitzer vor und lachte dröhnend. »Sag ruhig, was du meinst, liebe Schwägerin. Allerdings ist es schade um deine sauberen Gardinen, aber das Zeug schmeckt nun einmal verteufelt gut.«
Frau Helmer betrachtete ihren Mann und ihren Schwager lächelnd. Dann fragte sie unvermittelt: »Worum habt ihr eigentlich gewettet?«
»Gewettet?« wiederholte der Kriminalkommissar unschuldig.
»Ja, ich hörte es deutlich.«
»Dann mußt du an der Tür gehorcht haben, Mütterchen.«
»Nein, darüber bin ich seit vielen Jahren hinausgewachsen«, lachte Frau Helmer. »Aber Christian hat ja eine Stimme wie Diogenes.«
»Demosthenes, Mütterchen!« verbesserte Mogens Helmer. »Du irrst dich immer bei den alten Griechen. Diogenes war der Philosoph in der Tonne ...«
»Ja, und Demosthenes war der, der mit einem Stein im Mund Sprechübungen machte und den Sturm zu übertönen suchte ... jetzt weiß ich es wieder ... aber lassen wir uns nicht zu sehr auf die alten Griechen ein, Mogens, sonst vergessen wir, worüber wir eigentlich reden wollten. Ihr möchtet die Sache mit der Wette offenbar lieber verschweigen. Es handelt sich um Jan ...«
»Die Wette ist soweit kein Geheimnis«, fiel der Kriminalkommissar schnell ein. »Du wirst schon noch erfahren, worum sie sich dreht ... später ...«
Frau Helmer musterte leicht verwundert die beiden Herren, die augenblicklich zwei großen Schuljungen auf verbotenen Wegen glichen. Schließlich schüttelte sie ergeben den Kopf und begann den Kaffeetisch zu decken.
Mogens Helmer sah ihr ein Weilchen zu. Dann sagte er munter: »Christian hätte dich und die Kinder gern über Weihnachten in Raunstal. Ich kann leider wegen des Dienstes nicht gut weg ...«
»Dann möchte ich auch lieber hierbleiben, Mogens«, unterbrach sie ihn, »das wirst du wohl begreifen. Glaubst du etwa, ich könnte es ertragen, dich am Weihnachtsabend ganz allein zu wissen?« Frau Helmer wandte sich an ihren Schwager: »Lieb von dir, Jan und Lis einzuladen, Christian; sie werden sich sehr darüber freuen. Hoffentlich besteht diesmal nicht wieder die Gefahr, daß Jan in eine Wildereraffäre oder etwas Ähnliches gerät? Du weißt ja, daß man bei dem Jungen nie ruhig sein kann.«
»Ach was, er ist ja bald ein ausgewachsenes Mannsbild«, meinte der Gutsbesitzer mit einem beschwichtigenden Lächeln.
»Ja, das sagt ihr so, du und Mogens, aber eine Mutter sieht die Sache anders an. Als er die Ferienfahrt auf der ›Oceanic‹ machte, wurde er sogar niedergeschlagen, und bei ihm kann man nie wissen, ob er nicht in noch viel schlimmere Dinge gerät.«
»In der friedlichen Weihnachtszeit gibt es sicher keine Gefahren für den Jungen«, erwiderte der Gutsbesitzer gemütlich. »Zur Sicherheit kann er ja euren Boy und seinen dicken Freund Erling als Leibwächter mitnehmen. Erling habe ich seit fast anderthalb Jahren nicht mehr gesehen, und ich würde mich freuen, wieder einmal seine Gesellschaft zu haben. Die beiden Buben und der Hund sollten wahrhaftig mit jeder Lage fertig werden.«
»Es wird eines Tages schlimm enden, Christian!«
»Dummes Zeug, Mütterchen!« fiel der Kriminalkommissar ein. »Der kleine Denkzettel, den Jan auf der ›Oceanic‹ erhielt, hat ihn sicher vorsichtiger gemacht; und jedenfalls sind die Kinder in Raunstal in guten Händen. Du siehst bald wirklich überall nur noch Verbrecher.«
»Das kommt davon, wenn man mit dem ›Schrekken der Verbrecher‹ verheiratet ist«, lachte Christian Helmer.
Zweites kapitel
Eine unerwartete Begegnung
Das Wetter änderte sich plötzlich und besann sich auf die Überlieferung. Im Verlauf der beiden nächsten Tage fiel die Temperatur stark, und in der dritten Nacht barst der schneeschwere Himmel und entsandte seinen weißen Flockeninhalt fast über das ganze Land. Für die Kinder und den Schäferhund Boy wurde die Reise nach Raunstal zu einem Erlebnis. Die Kinder genossen die Fahrt durch das weiße Märchenreich, und Boy unterhielt sich damit, hinter den Fensterscheiben des Zugabteils nach den weißen Flocken zu schnappen, die draußen dicht fielen. Der kluge Polizeihund entdeckte zwar sofort, daß sich die weißen Flocken nicht fangen ließen; doch als er merkte, daß seine Reisegefährten sich über die vergeblichen Anstrengungen belustigten, schnappte er getreulich weiter, und Erling ermunterte ihn nach bestem Vermögen.
Am Nachmittag langten sie auf der kleinen ländlichen Station an, wo Gutsbesitzer Helmer sie abholen sollte. Der Zug konnte sich noch ohne Schneepflug behelfen; aber die Fahrt war für ihn nicht ganz einfach, und die Lokomotive keuchte schwer, als der Zug an dem schneebedeckten Bahnsteig hielt. Das Dach des kleinen Bahnhofs trug eine dicke Schneeschicht, die Bäume zeigten das schönste weiße Flechtwerk gegen den grauen Himmel, und auf der anderen Seite der Bahnlinie waren die Schneewehen in Mannshöhe angehäuft. Immer noch fielen die Flokken in dichter Menge, und die Augen der jungen Reisenden strahlten.
Jan sprang als erster aus dem Zug; er hob das gesamte Gepäck herunter. Dann folgte Lis mit Boy an der Leine, und zuletzt kam der würdige Erling mit drei Paar Schiern über der Schulter.
»Willkommen, Kinder!« ertönte eine laute Stimme, und Christian Helmer zeigte sich in der Tür des Wartesaals.
Er streichelte den begeisterten Boy mit der linken Hand, während er mit der rechten den Kindern einen so herzlichen Händedruck austeilte, daß ihnen die Finger