hinzu, das kann er nicht mehr ertragen.
Es dauerte nur drei Tage, bis das Kunstwerk fertig war: ein giftgrünes Lianengewächs auf dem rechten Unterarm. Makellos wie erwartet. Darüber kam ein Verband.
Damit sich keine Fliege auf die frische Tätowierung setzt, sagte der Japaner.
Ich werde mich in acht nehmen, sagte Jacobs.
Sie wird dir immer helfen, sagte der Tätowierer, sie wird dir fast die ganze Welt zeigen, sie ist jetzt deine Begleiterin, und vielleicht wirst du ihre Schönheit erkennen, eine nur einmal blühende Nachtpflanze, die Anlagen sind gut.
Was kostet sie, fragte Jacobs.
Nichts, ich habe zu danken.
Das geht nicht.
Nein, danke, ich bin dir sehr zu Dank verpflichtet.
Aber ich will dafür bezahlen.
Danke, nicht bei mir, sagte der Tätowierer, jetzt weiß ich erst, was ich kann.
Er wirkte alt und übermüdet mit seinen sechsundzwanzig Jahren. Seine Schultern fielen nun leicht nach vorn. Sie waren schmal und kraftlos geworden. Mit jedem Tag, an dem er an dem Ornament gearbeitet hatte, war seine Stimme rauher geworden. Übrig blieb schließlich nur noch ein heiseres Krächzen. Uber sein glänzendes Gesicht zogen sich plötzlich tiefe Falten. Sie trockneten die Haut aus.
Alles, was ich jetzt noch leiste, sagte er, wird dieses Bild nicht mehr erreichen.
Das ist das Alter, denkt Jacobs. Das Sprechen hat er verlernt. Aber er möchte unbedingt etwas sagen. Alles erklären. Seine Augen geistern durch die Portiersloge, versuchen die Menschen einzufangen, diejenigen zu erkennen, die sich um den alten Mann vor dem Spiegel geschart haben. Seine Arme schmerzen besonders stark. So war das damals auch.
Die Zeichnung der ersten Stiche war bereits trocken, als er aufwachte. Grauer Schorf schob sich über den Arm, lockte Entzündungen hervor, die wieder schnell verschwanden. Und dann beherrschten die Farben den Arm. Überall, wohin Hans Jacobs kam, rief seine Tätowierung Begeisterung hervor. Unzähligen Kameras mußte er sich im rechten Profil präsentieren. Sein Arm erhielt einen Ehrenplatz in Fotoalben. Über dreißig Jahre erstrahlte das Lianengewächs auf seinem rechten Unterarm. Aber die Geschichte, die man von ihm erwartete, schluckte er stets hinunter. Später, später werde ich es euch erzählen. Jetzt ist es Zeit dafür.
Er fühlt es deutlich, daß es zu spät geworden ist für ihn. Er will es nicht wahrhaben. Aber es sind noch genug Worte in ihm. Gut, dann wird er es später, viel später einmal erzählen.
Eines Tages dann hatte er festgestellt, daß sich die Liane auf seinem Arm selbständig gemacht hatte. Erschrocken fuhr er mit der Linken über die Haut. Sie war größer geworden. Und sie wuchs mehr und mehr an.
Seine Unruhe war vollkommen, als die Liane sich über alle Körperteile zu erstrecken begann. Es schien so, als würde sie sich in die Haut krallen. Ihre Ranken schoben sich bedächtig vorwärts, zielbewußt, nahmen die Schultern und den Rücken in Besitz und gaben keine Stelle mehr frei. Unaufhaltsam ringelten sie die Beine hinab.
Das Gewächs entzog ihm mehr und mehr Kraft. Jacobs dachte an ein gefräßiges Wesen, das er eigentlich füttern sollte. Aber wenn er, nun immer häufiger, mit seinen Händen darüber tastete, spürte er nur eine leichte Schwellung.
Dann näherte sich das giftfarbene Grün dem Herzen. Morgens prüfte Hans Jacobs jedesmal, wieweit sein Herz bereits eingeschlossen wurde, und er fühlte, so sagte er, den Tod in seinem Körper, aber als das Herz überwuchert war, lebte er immer noch. Dann, das lag erst eine Woche zurück, entdeckte er bei einer leichten Drehung des Oberkörpers in einem Spiegel des Savoy Hotels einen leuchtenden Farbflecken oberhalb seines Kragens.
Schweiß bricht auf seinem ganzen Körper aus. Innen meint er zu vertrocknen. Alles zieht sich zusammen in ihm, würgt den Hals hinauf. Im Spiegel erkennt er einen Mann, der aussieht wie einer, der noch das Schlußwort sprechen will. Er möchte alles ablegen. Mit einem Ruck reißt er sein Hemd auf, und er entdeckt die Blüte. Er sieht sie wachsen, sich entfalten. Er sieht alles sehr genau. Seine Augen sind in Ordnung. Alles ist in Ordnung. Sein Körper brennt innen und außen. Alle seine Geschichten wachsen über ihn hinaus. Er sieht die Schiffe, die in seinem Leben eine Rolle gespielt haben, er sieht, darübergewebt, die fremden Frauen, die in seinem Leben keine Rolle gespielt haben, er sieht den Arzt, der das Hotel betritt, sein Leben sieht er, darübergewebt, in Sekundenschnelle, und er fällt ganz langsam auf sein Gesicht und liegt im Foyer des Savoy Hotels.
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