was ist das, was habt ihr mir da wieder angetan? Den da soll es doch gar nicht geben! Den gibt es ja auch gar nicht. Der gehört nicht her zu uns. Laßt mich fort . . .“
Trotz dieser artikulierten Worte schlug die echte Tierangst jetzt über seiner durchtriebenen Angemenschtheit zusammen. Ich aber, bestürzt über meine Situation und angeekelt sowohl von der Kalfakterei als von der Feigheit des Hundes, brummte in mich hinein:
„Vor mir muß sich niemand fürchten, du, außerdem bin ich ja nicht wirklich tot. Ich atme, ich esse, wie du siehst, lieber Hund.“
Der Hausherr, Io-Fagòr, noch verlegener als ich, setzte dem Zwischenfall ein rasches Ende:
„Hinaus mit dir, Sur! Winsle unsern Gast nicht an! In den Garten, du Dummkopf, und sei pünktlich zurück . . .“
Ohne Abschied entwich Sur. So menschlich er sich auch gab, er hieß nur Sur. Das Präpositiv Io, das Ich bedeutet und mithin Unsterblichkeit, wurde ihm trotz allen Fortschritts und aller Verhätschelung doch nicht zugebilligt.
„Entschuldigen Sie, bitte, Surs Taktlosigkeit“, wandte sich Io-Fagòr zu mir, „es gibt eben doch Grenzen der Hundeerziehung, selbst bei geistig und moralisch befähigteren Exemplaren. Aber gewisse Demokraten wollen es nicht wahrhaben. Sie sind verbittert, daß zwischen Menschenund Hunderechten Unterschiede bestehn. Ich erinnere nur an die berühmte Publikation: ,Der Unfall, als Hund geboren zu werden, und die Verpflichtung des Menschengeschlechts zur Ersatzleistung an die betroffene Kreatur.“
„Das geht entschieden zu weit“, gelang es mir noch zu sagen. Darauf aber stieß mir ein gesellschaftlicher Unfall zu, der mich und infolgedessen auch B.H. in die schmählichste Lage brachte: Ich wollte klipp und klar vor dem Hausherrn bekennen, was in Bezug auf Sur meine bestimmte Empfindung und feste Ansicht war: „Ihr Hund, mein Herr, ist ein sehr schlechter Charakter.“ Plötzlich aber war ich der Sprache dieses Zeitalters, in dem ich so unerwartet mich auf Besuch befand, ganz und gar nicht mehr mächtig. Während ich noch knapp vorher mit den wunderschönen Herren und Damen reifen Alters hier aufs unbewußteste in ihrem Idiom parliert hatte, als sei es meine eigene Muttersprache, brachte ich plötzlich keine Silbe dieses Idioms mehr über die Lippen und verstand auch keine Silbe mehr. Es war ein grauenhaftes Impotenzgefühl, an das ich mich noch jetzt erinnern kann. Das Herz schlug mir bis zum Hals, und ich glaubte zu ersticken.
„Votre chien“, stammelte ich zuerst französisch, „a un très mauvais charactère.“
Der Mann sah mich verdutzt und verständnislos an. Niemand antwortete. Da versuchte ich’s auf italienisch:
„Il Suo cane a un molto brutto carattere.“
Die Betretenheit rings wuchs. Ich murmelte mechanisch den Satz in ein paar andern Sprachen, in denen ich mich dank meines langen Exils ein wenig ausdrücken konnte. Es hat gewiß geklungen wie in der Berlitz-School: „This dog has a very bad character“ — „Ten pies má bardzo marny charakter.“
Ich hörte, wie Io-Rasa und Io-Fagòr mit lächelnden Worten mich über die Situation hinwegzuheben versuchten. Es klang wie Aztekisch oder Zapotekisch:
„Titl bitja, topotla clan, potoltuk quel queme misesopono.“
Da hatt’ ich’s nun. Es war wie zuckriges Gezwitscher. Ja, wenn man so eine Sprache nur von außen sieht wie eine Hausfront, da weiß man nichts von den Bewohnern. Da gibt’s auch keinen Unterschied zwischen astronomischer Fortgeschrittenheit und uranfänglicher Primitivität.
„Hilf mir doch, B.H.“, entrang es sich mir.
Das Gesicht meines Freundes, der nun beinahe drohend, in voller Figur hinter der Skulptur hervorkam, war ganz bleich. Er preßte eine Hand an die Schläfe, wie um den Kopfschmerz zu betonen, den ich, seine verkörperte Blamage, durch mein Benehmen in ihm hervorgerufen hatte.
„Haltung, F.W.“, flüsterte er scharf, „und ein bißchen Psychologie, möchte ich bitten. In der monolingualen Sprache dieses Zeitalters kann man verletzende Dinge, die man aufdringlicherweise für Wahrheiten und Aufrichtigkeiten hält, nicht öffentlich ausdrücken.“
Da war’s, als ob mir jäh Ohren und Kehle wieder aufgingen und, unversehens und unbewußt der derzeitigen Sprache wieder mächtig, wandte ich mich mit einer Verbeugung an unsern Hausherrn, Io-Fagòr:
„Ihr Hund ist sehr schön und sehr klug“, sagte ich. Das ging wie geschmiert, und ich empfand nicht den geringsten Gewissensbiß bei dieser Lüge, noch auch das Bedürfnis, das auszudrücken was ich wirklich dachte. Ich hatte darüber hinaus die erleuchtete Empfindung, daß es heutzutage auch gar nicht notwendig war, auszudrücken was man dachte, da jeder es bis zu einem gewissen Grade schon wußte. Ich fügte zu meinem Lob noch folgende Frage hinzu:
„Was für einer Rasse gehört der Hund Sur an? Ich konnt’s nicht genau unterscheiden . . .“
Neues Erstaunen der Runde. Der Beständige Gast fragte unsicher:
„Was verstehen Sie unter ,Was für Rasse’, Seigneur? Ist Hund nicht Hund? Es gibt ja doch nur eine Art Hund.“
Genau an diesem Punkte der Unterhaltung begann ich, die Gesichter zu unterscheiden. Aus dem blassen Hintergrunde der allgemeinen Schönheit und Jugendlichkeit traten, zum erstenmal für mein Auge, individuelle Züge und Differenzen hervor. Der Beständige Gast zum Beispiel hatte eine lange Nase und tiefere Einbuchtungen der Wangen als die andern Persönlichkeiten. Auch verschwand seine Stirne beinahe unter dem silbernen Lockenaufbau aus opalisierender Masse. Er erinnerte mich an die Büste eines barocken Habsburgers oder Bourbonen mit Allongeperücke. Über der Betrachtung der Gesichter vergaß ich zu antworten. Daher mischte sich B.H. ins Gespräch, um keine Pause aufkommen zu lassen und mir zu helfen:
„Mein Freund F.W.“, sagte er, „hat einige Rassen und Arten von Hunden gekannt.“
Und er zwinkerte mir ermunternd zu, ich möge frisch drauflos erzählen und mich unterhaltsam über diesen harmlosen Gegenstand verbreiten, bei dem ja nicht viel passieren konnte.
Da ich mich aber durch B.H.s Ermunterung unangenehm aufgeführt fühlte, schwieg ich, der unterscheidenden Betrachtung der Gesichter hingegeben. Darauf schwärzte sich der Hausweise ins Gespräch, ein etwas dickeres Gesicht als die andern, mit einer Spur von Doppelkinn, ein zugleich eitler wie weichlicher Mann wahrscheinlich, der vom Wortführer als eine überflüssige Nebenerscheinung des Haushaltes tyrannisiert zu werden pflegte:
„In der folkloristischen Abteilung unseres Sephirodroms“, sprach er schnell, als ob er befürchte, seinen Satz nicht ungestört beenden zu können, „ja, in dieser Bibliothek beschäftigen sich mehrere Dissertationen mit einem Mythus über fünf oder sechs verschiedene Hundearten, von welchen jede einem besonderen Zwecke gedient haben soll, der Tötung von Tieren die eine, der Führung von Blinden die zweite, der Bewachung kleiner Kinder die dritte, der Verfolgung von Verbrechern die vierte und der Vollbringung gewisser Zauberriten, mit Göttin Hekate zusammenhängend, die fünfte.“
Er hatte recht gehabt, für seinen Satz zu fürchten, denn der Wortführer schnitt ihm mit einer Handbewegung die Rede ab. Ich aber sagte:
„Es wäre ein Fehler, das einen Mythus zu nennen, wovon die Dissertationen im Sephirodrom handeln. Sie sehn, ich gebrauche schon keckerweise das Wort Sephirodrom, ohne ganz genau zu wissen, was es bedeutet. — Nein, das mit den Hunderassen ist durchaus kein Mythus, sondern geschichtliche Wirklichkeit.“ Und ich begann aufzuzählen: „Windspiele und Bernhardiner und Chows und kleine Pekinesen und Wolfshunde und Doggen und Dobermans und Terrier . . .“
B.H. winkte mir ab. Nun aber verneigte sich der Wortführer gegen mich:
„Ihnen, Seigneur“, sprach er, „der einer farbenreichen, formenstrotzenden Märchenwelt entsprossen ist, muß die unsere, die moderne Welt sehr verarmt erscheinen . . .“
„Nicht verarmt“, entgegnete ich, ebenso höflich wie er, denn ich wußte schon, daß man sich mit jedem Wort angenehm machen sollte. „Nicht verarmt, aber vereinfacht Geht nicht der Aufstieg des Lebens vom ich-losen Gewimmel zur einmaligen Persönlichkeit, vom tausendfach wiederholbaren Cliché zur