Paul Keller

Von Hause


Скачать книгу

Der Schmerz hatte ihn aber doch so weich gemacht, dass er sich mit seinem alten Gegner Wenzel versöhnt hatte. Trotz dieser Aussöhnung erlaubte er aber nicht, dass Wenzel mit der Franziska zu Grabe ging.

      Und der war doch dabei. Er stand auf einem Berge, von da man den Friedhof übersehen konnte, hörte die Glocken läuten, hörte die Lieder klingen und sah, wie auf weissen Grabtüchern etwas Liebes, Liebes in die Tiefe sank.

      Damit wäre nun eigentlich diese Erzählung aus. Aber da es sich darin nicht bloss um die Liebesgeschichte der schönen Franziska aus dem Böhmerland, sondern um das Leben in den Grenzhäusern überhaupt handelt, will ich noch erzählen, wie ich in späteren Jahren zu meinem Freunde Heinrich Hollmann, Wirt zum „Roten Hahnen“, zurückgekommen bin.

      Er blieb immer der Alte, immer der redselige, etwas grosssprecherische Mann mit der gleichen Respektlosigkeit vor allen Dingen und Personen seiner Umgebung und dem gleichen absoluten Respekt vor seiner Frau. Weber und kleine Bauern gingen in seinem Hahnenwirtshaus ein und aus, und wenn ich diese wortkargen Leute mit den blauen, leeren Augen hinter ihren Branntweingläschen sitzen sah, wusste ich wohl, warum sie schmuggelten. Beileibe nicht nur um des bisschen Erwerbes willen, wie ja auch der Wildschütz nicht nur um eines lumpigen Talerhasens allein Ehre und Freiheit, ja vielleicht Gesundheit und Leben in die Schanze schlägt.

      Ihr Herren, die ihr zu Gericht sitzet, denkt nur an die kleinen niederen Stuben dieser Armen, an ihre eintönige, langweilige Arbeit, die Stunde um Stunde Jahr um Jahr, ein ganzes Menschenleben dieselbe trostlose Last ist. Und denkt daran, dass auch diese Menschen eine Seele haben, die nach Tat und Abwechselung, Freude und Gefahr lechzt, dass auch diese Sehnsucht nach grünen Wegen der Romantik sucht. Was tun sie? Sie schmuggeln, sie wildern wohl auch. Und in all der langen Zeit, da sie hinter dem Webstuhl im engen Käfig sitzen, geht ihre Phantasie auf einsamen Schleichwegen zwischen Gefahr und lohnendem Sieg. Kommt nun einer der Ihrigen, erzählt er von irgend einergelungenen Tat, dann tritt Leben in die leeren Augen, dann geht das träge Herz mal eine Stunde lang schneller, dann steigt’s in müden Leibern auf wie Trotz und Kraft. Was bietet ihnen auch der Staat? Wieviel vom allgemeinen Erbe lässt er ihnen zukommen, und wie gross ist die Schädigung, die sie hinwiederum ihm zufügen? Mögt Ihr es entscheiden; ich tue es nicht.

      Vom Liebich-Müller erzählte mir der Hahnenwirt, dass er nicht mehr schmuggele. Die Fahrt mit dem Sarge war sein letztes unerlaubtes Überschreiten der österreichischen Grenze. Es machte dem Müller keinen Spass mehr, zu schmuggeln. Denn die Franziska war tot, vor der er den Nebenbuhler lächerlich machen konnte. Mit dem Wenzel vertrug er sich, wenn er ihn traf. Er gab jetzt sogar zu, dass der Wenzel gewissermassen auch ein wenig im Rechte sei; denn wenn er, der Liebich, Grenzer wäre, gäbe es überhaupt keine Schmuggler mehr, sondern alle sässen auf Nummer Sicher. Da stimmte ihm dann der Hahnenwirt biedermännisch bei.

      Eines aber brachte dem Müller grosse Genugtuung. Etwa zwei Jahre nach Franziskas Tode heiratete Wenzel ein braves Mädchen aus dem gleichen böhmischen Dorf. Da hat Liebich, als Wenzel mit seiner Braut zur Kirche ging, bei Franziskas Grab gestanden und hineingesagt:

      „Weisste, Franzel, was der Wenzel macht? Hochzeit macht a. Mit der Nitsche Hedwig, dem albernen Ding. Da haste den Kerl! Was hab’ ich dir immer gesagt? A Windhund is a. Ohne eene Spur von Treue. Da wirst du ja jetzt froh sein, dass du mich genommen hast, denn ich hätte nie eene andre als dich genommen, nie!“

      Liebich nahm wirklich keine zweite Frau. Er widmete sich nur mit grosser Liebe der Erziehung seines kleinen Sohnes. — — —

      Über seine eigenen Schmugglererfolge wusste der Hahnenwirt nicht viel Erfreuliches zu berichten. Eines Abends, als Wenzel wieder einmal bei ihm eingekehrt war, steckte er ihm ein Lindenblatt an den Hut.

      „Ah, gilt die alte Korrespondenz immer noch?““ fragte ich.

      „Nu natürlich! Sie roochen doch so gerne Regalia media, und ich hab’ keene im Hause. Nu — Lindenbaum bedeutet eben Regalia media.“

      Am nächsten Tage wurde wirklich vom Blauen Hahnenwirt drüben eine Kiste Regalia media über die Grenze geschafft.

      Aber Hollmann war trotzdem unzufrieden.

      „Wenzel hat meine Leute greulich oft erwischt,“ sagte er niedergeschlagen. „Ich kann sagen, es kost’ mich schon a Vermögen an Strafe. A paar von meinen Leuten haben sogar sitzen müssen. Na, das kost’ dann erst recht viel. Der Kaiser hat nich so teure Hosen an wie su a Gebirgsweber, wenn a für unsereinen amal a Paar durchsitzen muss. Aber geschmuggelt muss sein; denn wer hier in der Gegend nich schmuggelt, is blödsinnig. Und geleimt wird a doch, das haben Se ja geseh’n, wie a geleimt wird.“

      Es vergingen wieder viele, viele Jahre. An mich kam die Vierzig heran, und mein Freund Hollmann hatte den Kopf voll weisser Haare, als ich ihn wieder traf. Verändert hatte sich aber sonst in den Grenzhäusern so gut wie nichts. Es ist mit dem Leben umgekehrt wie mit einer Drehscheibe: im Zentrum rast es am schnellsten, an der Peripherie scheint es still zu stehen.

      Ja, und doch hatte sich Neues und Grosses in den Grenzhäusern ereignet. Des Wassermüllers Sohn Wilhelm war so herangewachsen, dass er schon seine Zeit bei den Hirschberger Jägern abgedient hatte, und der österreichische Zollbeamte Wenzel Hollmann hatte ein Töchterlein, das eine recht frische Bergwaldsblume war. Es war die alte Geschichte: die beiden Kinder liebten sich, und die beiden Väter wollten von dieser Liebe nichts wissen, da sie ihnen ganz gegen das Herz war, wenn sie sich auch äusserlich vertrugen. Den Müller schmerzte oft die halblahme Schulter, die er dem Grenzer zu verdanken hatte, und dieser hatte auch keinen Grund, mit dem Müller recht intim zu werden. So taten die beiden Alten das Dümmste, was sie junger, starker Liebe gegenüber tun konnten: sie sperrten sich dagegen. Dass das gar keinen Zweck hatte, ist unnötig zu erwähnen. Die Grenze hinüber und herüber wurde schönes, goldenes Liebesgut geschmuggelt: Briefe und Küsse, Blumen und Tränen. Und ging es gar nicht anders, so schlich der Mond, der älteste Schmuggler der Welt, hinter Wassermüllers Wald herum, nahm tausend Liebesgedanken als unerlaubtes Gut, stieg über die Berge, leuchtete dem dummen Grenzer, der unten auf dem Wege stand, dreist ins Flintenrohr und lieferte sein süsses Schmugglergut an des Töchterleins Kammerfensterab.

      Schon gut; es ging, wie es halt fast immer geht: die beiden Alten musstennachgeben. Und da kam ein Tag, wo in der Wassermühle ein grosses, echtes Versöhnungsfest gefeiert und alles für die bevorstehende Hochzeit besprochen werden sollte. Gerade da war ich wieder einmal auf eine Woche im „Roten Hahnen“ einquartiert.

      Eines Nachmittags war es, da fuhr ein Glaswagen beim Hahnen vor. Diesmal sass keine Strohpuppe darin und auch der Wenzel nicht beim Kutscher auf dem Bock, sondern stolz und feierlich neben seinem taufrischen Töchterlein. Gott, war das böhmische Mädel ein liebes Ding! Und der Wenzel — der war in Zivil. Hatte einen Zylinderhut aufs Haupt gestülpt, trug einen tadellosen Smoking und Lackschuhe mit Gamaschen. So fesch kann nur ein Österreicher aussehen. Langsam und feierlich kam er auf mich zu und reichte mir gerührt die Hand.

      „Schauns — so kommt’s!“ sagte er. „Aber das freut mich, dass Sie gerade hier sind. Sie gehören ja gewissermassen dazu.“

      Er legte seinen glänzenden Zylinder auf den Tisch und fuhr plötzlich zornig zurück.

      „Verflucht — wer hat mir denn an meinen Zylinderhut eine Kornblume gesteckt? Ist das eine Frechheit!“

      Der Rote Hahnenwirt kam heran, beguckte kopfschüttelnd die Blume und ging hinaus, wo er leise ein Fässchen Wünschelburger Kornbranntwein nach dem Blauen Hahnen in Auftrag gab.

      Wenzel warf die Blume grimmig auf die Erde. Dann wurde er aber wieder feierrlch und erzählte mir, als ob er sich entschuldigen müsste, warum er nun doch seine Einwilligung zu dieser Hochzeit gäbe. Wäre der Liebich noch ein Schmuggler — niemals, nie! Aber der sei kein Schmuggler mehr, der sei nur noch ein alter Esel. Und so fahre er jetzt mit der Ursula hin, und es solle ein schönes Familienfest werden. Der Hahnenwirt und ich, wir müssten mitmachen, denn wir gehörten dazu. Der Blaue Hahnenwirt drüben habe gerade die Gicht; sonst hätte er ihn auch mitgebracht. Im Wagen sei Platz für uns.

      Hollmann der Wirt musste nun Toilette machen und erschien endlich in einem viel zu engen Gehrock, der den Globus seines Bauches