Hendrik Lambertus

Die Mission der tollkühnen Bücher


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Hedy Hexensocke, die erste Agentin in der Reihe, aufgeregt. »Hat jemand versucht, ein unschuldiges Buch zu bekritzeln? Oder hat sogar irgendein Flegel Seiten herausgerissen?«

      Auf Hedys Einband war ein Mädchen auf einem fliegenden Besen abgebildet, das eine riesige, regenbogenbunte Ringelsocke trug. Auch die Buchagentin selbst hatte so eine bunte Socke an einem ihrer dünnen Beine, wie das Mädchen in ihrer Geschichte. Selbstredend, dass sie ebenfalls zaubern konnte – mehr oder weniger jedenfalls.

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      »Das weiß ich nicht genau«, gab Dina zu. »Vermutlich ist es keine große Sache. Ein Buch hat vielleicht eine Staub-Allergie und braucht ein Taschentuch oder was auch immer. Ihr werdet es herausfinden. Laut der Buchkontrollanlage liegt das Problem in Raum 103 der Bibliothek vor. Also beeilt euch! Und denkt an Regel Nummer eins unseres Codex: Mit Herz und Hand, Einband und Seiten, wollen wir zum Schutz der Bücher schreiten

      Das nächste Buch in der Reihe trippelte mit seinen Fingern auf dem Griff eines kleinen Säbels herum, den es an der Seite trug. Auf seinem Buchumschlag schwang sich ein Kind an einem Seil auf ein Schiff. Es war unmöglich zu erkennen, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Darüber war der Titel zu lesen: »Paulchen Piratenkind und der Goldschatz von Käpt’n Grumpf«. Doch für so viele Wörter war das Buch viel zu ungeduldig und nannte sich am liebsten einfach nur Paulchen. Niemand wusste so recht, ob der Spitzname von Paul oder von Paula kam.

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      »Ich brenne darauf, fiese Bücherdiebe mit unseren Buch-Fu-Künsten niederzustrecken!«, rief Paulchen ungeduldig. »Wie ist der Schlachtplan?«

      »Das ist doch wohl logisch«, erwiderte Reginald Ratlos, der danebenstand und der dritte Jungagent im Bunde war. »Wir werden eine eingehende Untersuchung durchführen, welche geheimnisvollen Geschehnisse diesen Alarm ausgelöst haben könnten.«

      Auf seinem Einband war ein Pinguin in einem eleganten Frack abgebildet, der eine Lupe in der Hand hielt. Sein Titel lautete: »Reginald Ratlos, der Gentleman-Detektiv, jagt den lachenden Kakadu«. Das Buch war eine Detektivgeschichte, und darum war auch der Buchagent Reginald ein begeisterter Detektiv – und hatte ebenfalls stets eine Lupe dabei.

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      »Also gehen wir zur Stadtbibliothek«, sagte Hedy Hexensocke mit großen Augen, die noch nie zuvor draußen auf den Straßen unterwegs gewesen war.

      »Na, dann los!«, rief Paulchen Piratenkind und machte einen Überschlag.

      »Einen Moment, bitte«, meldete sich ein Buch mit schnarrender Stimme aus einem der Regale. Auf seinem schwarzen Einband stand in Silberbuchstaben der Titel »Dracula«, und in seinem Mund schimmerten lange Fangzähne. »Hältst du es wirklich für klug, Dina, so junge Agenten auszuschicken? Sollten es nicht lieber alte und erfahrene Bücher sein? Zum Beispiel solche, die Blut saugen und durch die Nacht fliegen können?«

      »Ja, ich mache mir auch Sorgen um unsere jungen Agenten«, sagte die Buchagentin Heidi, die nahe bei Dracula im Regal stand. »Heutzutage fahren so viele Automobile in den Städten, da kann ein unschuldiges Buch leicht unter die Räder kommen …«

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      »Für diese Mission braucht es einen Ritter von echtem Schrot und Korn!«, rief Don Quichotte, ein alter, ledergebundener Band mit einer kaputten Lanze in der Hand. Ihr Schaft war notdürftig mit Gummiband geflickt.

      »Du kennst den Codex, Drac«, sagte Tabula Smaragdina und warf Dracula einen strengen Blick zu. »Regel Nummer fünf: Agenten müssen früh beginnen, um Erfahrung zu gewinnen. Und wenn ich mich richtig erinnere, hattet ihr eure letzten Einsätze, als es noch Petroleumlampen und Pferdekutschen gab. Unsere jungen Freunde hier werden ihre Sache gut machen!«

      »Verlass dich nur auf uns, Tabula Smaragdina«, sprach Reginald Ratlos mit einer tiefen Verbeugung, was bei einem Buch recht merkwürdig aussah. »Wir werden diesen Fall mit unserem Scharfsinn zu deiner vollsten Zufriedenheit lösen! Schon bald werden wir erste Ergebnisse …«

      »Kommst du jetzt endlich?«, rief Paulchen vom Ausgang aus. Hedy war schon fast bei dem Piratenbuch. Reginald blinzelte irritiert und beeilte sich, ihnen mit seinem mehr oder weniger würdevollen Pinguingang zu folgen.

      Draußen wartete ein schmutziger Hinterhof auf Paulchen, Reginald und Hedy. Es war ein kühler Herbstmorgen, und Regentropfen glänzten auf den Mülltonnen und dem Gerümpel, das die Menschen hier lagerten. Die drei Agenten huschten ungesehen an der Wand entlang.

      »Bis zur Stadtbibliothek sind es mehrere Straßen«, überlegte Hedy Hexensocke besorgt. »Das ist ganz schön weit … Hoffentlich kommen wir nicht zu spät!«

      »Lasst uns doch einfach eine Abkürzung rüber zur Hauptstraße nehmen!«, rief Paulchen und zeigte auf die hohe Ziegelmauer, die an das Antiquariat angrenzte.

      »Wie sollen wir da denn bitte schön rüberkommen, ohne gesehen zu werden?«, fragte Reginald skeptisch und schaute an der Mauer hoch.

      »Ach, du bist immer so übervorsichtig!« Das Piratenbuch nahm einfach Anlauf. Es stieß sich mit einer Luftrolle vom Boden ab, lief einige Schritte an der nackten Wand hinauf und schwang sich schließlich auf die Mauerkrone.

      »Jaaahuu! Klar zum Entern!«, jubelte Paulchen und winkte den anderen mit dem Säbel zu. Diese starrten mit großen Augen die Mauer hoch.

      »Na, kommt schon! Mir nach«, sagte Paulchen ungeduldig. »Du zuerst, Reginald.«

      »Wie denn?«, wiederholte das Detektivbuch.

      »Bist du nicht ein Vogel?«

      »Erstens können Pinguine nicht fliegen«, erwiderte Reginald würdevoll, »und zweitens ist meine Hauptperson ein Vogel und nicht ich. Das ist ein Unterschied, wie du sehr wohl weißt. Ein Buch über einen Pinguin ist eben kein Pinguin.«

      »Du läufst aber wie einer«, hakte Paulchen nach.

      »Ich kann fliegen«, warf Hedy ein. »Mit der Zauberkraft meiner Hexensocke. Ich werde dich tragen.«

      »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist …«, murmelte Reginald.

      Doch Hedy hörte ihm gar nicht zu. Sie zupfte ihre übergroße Ringelsocke zurecht und sprach fröhlich ihren Zauberspruch:

      »Fli, fla, fliegen, himmelwärts!

       Hoch mit uns, das ist kein Scherz!

      Flü, Fla, Flügel, schön und bunt,

      tragen uns über die Wund … äh, Wand!«

      Ein Paar schillernder Schmetterlingsflügel, regenbogenbunt gestreift wie die Socke, glänzten plötzlich an Hedys Einband. Damit sah sie aus wie eine seltsame, buchförmige Blütenfee. Sie packte Reginald mit beiden Armen – und zischte zusammen mit ihm in den Himmel empor wie eine Feuerwerksrakete. Viel weiter, als die Mauer hoch war.

      »Iiiiih!«, kreischte Reginald gänzlich unwürdevoll.

      »Ich glaube, ihr seid zu ho-hoch!«, rief ihnen Paulchen nach, die Hände vor dem Mund zu einem Trichter geformt.

      Von oben war Hedys ferne Stimme zu hören:

      »Flügel, stopp!

      Setzt uns opp … nein, ab!«

      Sofort kamen die beiden wieder herunter. Im freien Fall, so elegant, wie Bücher ohne Flügel eben fallen können. Paulchen tat, was zu tun war. Das Piratenbuch sprang von der Mauer und versuchte, die beiden im Flug aufzufangen. In einem Chaos aus Buchseiten und Einbänden klatschten die drei nacheinander auf den Boden. Paulchen lag ganz unten, um den Sturz der anderen beiden abzubremsen.

      »Au«, stöhnte Reginald.