Joe Barry

Privatdetektiv Joe Barry - Todeskuss von Lily Belle


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Er hob die Brauen. „Erlaubt denn das die Feuerpolizei?“

      „Er ist im Wohnzimmer. Geh nur schon hinein. Du kennst ihn. Ich stelle inzwischen den Sekt kalt.“

      Jo stieß die Tür auf und blickte erstaunt auf den Mann, der dort in einem Sessel saß. Der Mann trug Zivil, aber er war unverkennbar Offizier. Captain Holmes von der Home Guard.

      „Hallo, Mr. Barry.“ Der Captain erhob sich. „Nett, Sie wiederzusehen.“

      „Ganz meinerseits.“

      Der Captain begann sofort ein Gespräch, aber Joe hatte das sichere Gefühl, daß der Mann etwas auf dem Herzen hatte. Nach fünf Minuten kam es dann auch.

      „Übrigens“, sagte der Captain. „Sie sind doch Privatdetektiv. Ich hätte da einen interessanten Fall, zu dem ich gern Ihre Meinung gehört hätte.“

      Jo kam sich vor wie ein Klaviervirtuose, den man zum Abendessen eingeladen hat und dem man zum Dessert einen Konzertflügel hinschiebt.

      „Vorsicht, Mr. Holmes“, sagte er. „meine Meinung ist nur gegen Honorar zu haben. Und ich bin ziemlich teuer.“

      „Sie sind ein Spaßvogel“, sagte der Captain. „Aber jetzt im Ernst … “

      „Wo steckt denn Jane?“ fragte Jo.

      „Sie muß gleich kommen. Also, zu meinem Fall. Sie haben doch sicher von dem Einbruch in ein Vorratslager der Home Guard gehört, bei dem Gangster mit einem raffinierten Trick rund zweitausend Gewehre entwendeten? “

      „Ja“, sagte Joe, „die Zeitungen sind voll davon. Irgendein Kollege von Ihnen hat da nicht gerade eine rühmliche Rolle gespielt.“

      „Dieser Kollege“, bekannte der Captain, „bin ich selbst.“

      „Sie?“ Joe beäugte den Captain interessiert. „Dann vergessen Sie, was ich eben gesagt habe.“

      „Sie haben ja recht“, sagte Holmes finster. „Meine Vorgesetzten denken genauso. Diese Geschichte wird vermutlich meine Karriere ruinieren. Zwölf Jahre lang bin ich jetzt Offizier der Armee, ohne mir auch nur einmal die Weste zu bekleckern. Und jetzt diese Geschichte.“

      „Machen Sie sich keine Vorwürfe“, sagte Joe. „Woher sollten Sie wissen, daß dieser angebliche Colonel falsch war?“

      „Sie kennen die Details des Falles? Dann wissen Sie auch, daß meine Vorgesetzten mich vom Dienst suspendiert und einen Untersuchungsausschuß eingesetzt haben, der den Fall klären soll.“

      „Es war ein eindeutiger Verstoß gegen die Dienstvorschriften, sämtliche Posten abzuberufen“, sagte Joe. „Aber ich glaube nicht, daß man Ihnen daraus einen Vorwurf machen kann. Sie hatten einen klaren Befehl, und Sie mußten den Colonel angesichts der Umstände für echt halten. Ich würde mir an Ihrer Stelle keine Sorgen machen.“

      „Ich bin nicht so optimistisch“, sagte der Captain. „Um die Wahrheit zu sagen, ich stecke in einer scheußlichen Klemme. Und ich will ganz offen zu Ihnen sein: Jane hat diese kleine Feier arrangiert, damit ich Ihnen meinen Fall vortragen kann.“

      „Sie werden lachen“, sagte Joe trokken, „das habe ich bereits gemerkt.“

      „Ich kenne Ihre Preise“, sagte Holmes. „Es ist völlig ausgeschlossen, daß ich die bezahle.“

      „Darum geht es nicht“, gab Joe dem Offizier zu verstehen. „Sie sind an der falschen Adresse. Was Sie brauchen, ist ein guter Anwalt.“

      „Die Home Guard hat mir für das Disziplinarverfahren schon einen Verteidiger gestellt. Er scheint ein tüchtiger Anwalt zu sein.“

      „Na, sehen Sie“, sagte Joe. „Vertrauen Sie getrost auf ihn.“

      „Mit Vertrauen ist es in meinem Fall nicht getan“, sagte Holmes langsam und drückte seine Zigarette aus. „Ich habe mir nämlich ein Ziel gesetzt. Ich möchte dieses Verbrechen aufklären.“

      „Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun“, warnte Joe. „Soviel ich weiß, hat die Regierung einen Sonderausschuß eingesetzt.“

      „Stimmt. CIC bearbeitet den Fall.“

      „Und das sind hartgesottene Kriminalisten. Mit denen können Sie sich nicht messen.“

      „Vielleicht nicht. Aber ich habe ein paar Beobachtungen gemacht und daraufhin eine Theorie aufgestellt. Und wenn die stimmt, steht uns allerhand bevor.“

      In diesem Augenblick öffnete Jane die Tür.

      „Joe, für dich ist jemand am Telefon. Captain Roller oder so ähnlich. Hast du denn gesagt, daß du zu mir fährst?“

      „Ja“, sagte Joe, „ich arbeite gerade an einem Fall, und da muß ich ständig erreichbar sein.“ Er ging ins Nebenzimmer, nahm den Hörer auf und meldete sich.

      Das unverkennbar kratzige Organ Tom Starrs meldete sich. Captain Rowlahd war Chef der Mordkommission Manhattan und zugleich Jos ältester Freund.

      „Hör zu“, sagte der Captain. „Wir sind deinem Tip nachgegangen und haben die Kings Brothers in Long Island aufgespürt. Sie haben sich in einem Haus verbarrikadiert und ballern aus allen Rohren auf uns.“

      Die Kings Brothers hatten einen großen Juwelenraub ausgeführt, und Joe hatte den Fall im Auftrag einer Versicherungsgesellschaft übernommen.

      „Bist du jetzt in Long Island?“ fragte Joe.

      „Ja. Der Attorney hat Tränengas angefordert, aber ich würde es begrüßen, wenn du erst einmal mit den Burschen sprechen würdest. Vielleicht verzichten sie dann auf ein Feuerwerk.“

      „Okay“, sagte Joe. „Ich komme sofort hinaus.“

      „Mußt du weg?“ fragte Jane durch die offene Tür.

      „Ja“, sagte Joe. „Tut mir leid. Schlagen Sie sich Ihre Theorie aus dem Kopf, Captain. Sie begeben sich auf ein heißes Pflaster. Überlassen Sie das Feld den Experten.“

      *

      Die Kings Brothers beschäftigten ihn bis zum frühen Morgen. Dann kapitulierten die Gangster, und Joe konnte den Fall abschließen. Es war eine heiße Jagd gewesen.

      Sie transportierten die Gangster in die Centre Street, und Joe blieb noch, bis die völlig übermüdeten Beamten die erste Vernehmung abgeschlossen hatten. Es war fünf Uhr morgens, als er nach Hause fuhr. Captain Holmes hatte er völlig vergessen.

      Es war schon ziemlich hell. Der Himmel war wolkenlos. Der Tag versprach schön zu werden. Die Straßen waren wie ausgestorben. Für eine kurze Weile war die Riesenstadt am Hudson zur Ruhe gegangen.

      Jo stellte den Mercedes vor dem Haus ab und betrat das Gebäude. Die Gun Hill Road war menschenleer. In der Halle brannte noch die Beleuchtung. Er warf einen Blick zum Glaskasten des Hausmeisters hinüber. Die Kabine war leer.

      Der Fahrstuhlknopf leuchtete rot. Jemand mußte also unterwegs sein. Joe löste den Rufkontakt aus und wartete. An der Skala konnte er sehen, daß der Lift in der vierten Etage stand — dort, wo auch seine Wohnung war. Jetzt verschwand die beleuchtete vier und die drei leuchtete auf, dann die zwei, die eins. Automatisch glitten die Türen auseinander.

      Jo sah, daß jemand im Lift war, und blieb stehen, um dem Mann Platz zu machen. Der trug einen Mantel und hatte den Kopf gesenkt. Der Hut verdeckte sein Gesicht vollkommen.

      Jetzt machte er einen Schritt vorwärts und kam ins Taumeln. Joe faßte zu und fing den Mann auf. Dabei verrutschte der Hut, und Joe konnte das Gesicht des anderen sehen.

      Es war Captain Holmes.

      „Holmes!“ rief er. „Was ist passiert?“

      Der Captain versuchte zu sprechen, aber er brachte kein Wort heraus.

      „Holmes!“ rief Joe noch einmal. Er spürte, wie der glatte Mantelstoff durch seine Finger rutschte. Er konnte den Mann nicht halten. Der Captain glitt zu Boden.