Magnhild Bruheim

Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi


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Ihnen irgendetwas verdächtig vor?«, versuchte es Tone.

      »Sie sind Journalistin, da sind wir besser vorsichtig mit dem, was wir sagen«, meinte er lächelnd. »Es ist zu früh, um Informationen an die Presse zu geben. Sie rücken uns bereits auf die Pelle. Ein Journalist des NRK war in der Leitung, noch bevor wir von dem Lokaltermin zurück waren. Sie haben einen Tipp bekommen«, fügte er kurz hinzu. Es bestand kein Zweifel, wen er bezüglich des Tipps in Verdacht hatte.

      »Aber es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis Sie selbst damit an die Öffentlichkeit gehen müssen«, wandte Tone ein.

      »Es ist nur so verdammt beschwerlich, Zeit auf aufdringliche Journalisten zu verschwenden, wenn wir alle Hände voll zu tun haben. Und das Einzige, was wir sagen können, ist, dass wir nichts sagen können. Wenn man auf die gleiche Frage hundertmal geantwortet hat, möchte man nur noch den Hörer aufknallen.«

      Tone wagte es nicht, die Angelegenheit weiter zu vertiefen.

      »Haben Sie jemanden gefunden, mit dem Sie reden können?«, sagte Ruud, jetzt in einem milderen Ton.

      »Ich werde mich mit einer Freundin treffen«, antwortete sie.

      Mette Hermansen und Tone Tarud waren auf dem Gymnasium Freundinnen gewesen. Nach dem Abitur besuchten beide die Pädagogische Hochschule. Doch während des Studiums wurde Tone von einem Kommilitonen schwanger. Darauf folgten eine schnelle Hochzeit, die Geburt der Tochter Emma und eine ebenso schnelle Scheidung. Tone schrieb sich auf der Hochschule für Journalistik ein und bekam einen Job beim NRK. Die früheren Freundinnen verloren allmählich den Kontakt zueinander. Doch vor ein paar Jahren hatten sie sich zufällig in Lillehammer wiedergetroffen. Wie sich herausstellte, arbeitete Mette an der dortigen Schule als Lehrerin.

      Tone fand Mette, wie verabredet, in einem Café in der Storgata. Mit einer Tasse schwarzen Kaffees und einer Zigarette. Wie gewöhnlich. Das war das Problem mit ihr, dass man immer im Raucherbereich sitzen musste. Tone legte ihre Jacke auf einen Stuhl und ging zur Theke, um sich einen Caffè latte zu holen.

      »Weißt du, dass das der kalorienreichste Kaffee ist, den es gibt?«, sagte Mette aufbauend, als Tone zurückkam. »Mit der ganzen Milch. Ich habe nie darüber nachgedacht, bis ich das gelesen habe.«

      »Es gibt wohl Schlimmeres als ein paar Extrakalorien«, sagte Tone. »Im Moment kreisen meine Gedanken um beunruhigendere Dinge.«

      »Ja?«, sagte Mette und gab das Signal, dass sie bereit war. »Am Telefon hast du gesagt, dass du etwas Furchtbares erlebt hast.«

      Tone sah sich um, beugte sich über den Tisch und flüsterte: »Ich habe eine Leiche gefunden. Ich bin am Fluss entlang von Mesnali in die Stadt gegangen. Plötzlich habe ich in einer Felsspalte eine tote Frau entdeckt.«

      Mette starrte sie an. »Ein Unfall?« Sie zündete sich eine neue Zigarette an.

      »Die Todesursache ist noch unklar. Sie hatte eine große Wunde am Hinterkopf.« Das Bild kam zurück. Plötzlich hatte Tone das Gefühl, auch eine Zigarette gebrauchen zu können. Ohne zu fragen, nahm sie sich eine aus Mettes Päckchen. Es war lange her, seit sie das letzte Mal geraucht hatte.

      »Du lieber Himmel.« Mette starrte sie mit großen Augen an.

      »Ich muss meine Nerven beruhigen«, sagte Tone. »Ist das okay?«

      »Bedien dich«, sagte Mette großzügig. »Ich will genau wissen, was passiert ist.«

      »Ich habe natürlich die Polizei informiert«, fuhr Tone fort und nahm einen Zug. Inhalierte tief.

      »Was haben die gesagt?«

      »Sie wollten alles wissen, ob ich jemanden gesehen habe, Personenbeschreibungen, auf der Polizeiwache haben sie mir dann ein Bild von dem Gesicht der Toten gezeigt ...« Sie zog erneut an der Zigarette. Aber es beruhigte die Nerven nicht. Ganz im Gegenteil, der Körper wurde noch unruhiger. Übelkeit war im Anzug. Sie machte die Zigarette aus und trank einen Schluck Kaffee, aber das machte die Sache auch nicht besser. Sie suchte nach der Toilette. Sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen, aber es kam nichts heraus.

      »Nach so einem Erlebnis ist einem schon etwas sonderbar zu Mute«, sagte Tone, als sie zurückkam.

      »Ja, sicher. Du musst doch völlig fertig sein«, sagte Mette verständnisvoll. Dann sah sie auf die Uhr und erklärte, dass sie noch etwas vorhabe. »Ich muss in einer halben Stunde zum Training. Komm mit, dann bekommst du vielleicht ein bisschen Abstand.«

      Tone hatte nicht die geringste Lust, ins Fitnessstudio zu gehen, aber sie hatte noch weniger Lust, sich selbst überlassen zu bleiben. Bis zu ihrer Verabredung waren es noch drei Stunden. Wenn sie die nicht absagen wollte, musste sie sich überlegen, was sie solange mit ihrer Zeit anfangen sollte. Sie konnte also ebenso gut Mette begleiten.

      Auf der Fahrt zum Strandtorget hinunter erzählte Tone von ihren Plänen für den Abend. Dass sie sich mit einem Mann treffen wollte, den sie noch nie gesehen hatte. Ein Blind Date. Mit jemandem, den sie im Internet kennen gelernt hatte.

      »Du scheinst es zu lieben, aufregend zu leben«, sagte Mette und sah sich nach einem freien Parkplatz um.

      »Ich arbeite an einer Radiosendung über Menschen, die ihre Partner über das Internet gefunden haben«, erklärte Tone. Das war zumindest ein Teil der Wahrheit. »Ich weiß nur nicht, ob ich nach dem, was heute passiert ist, eine Verabredung durchstehe«, fügte sie hinzu.

      Sie gingen langsam auf das Gebäude zu, das einmal eine große Fabrik gewesen war. Tone bat um eine Probestunde. Sie hatte im letzten Jahr mit dem Training aufgehört und deshalb nach Weihnachten ihre Mitgliedschaft gekündigt.

      Erst als sie in der Trainingshalle stand und die Stunde begonnen hatte, begriff sie, dass es sich um eine Doppelstunde handelte. Für durchtrainierte Leute. Um sie herum hüpften und schwitzten und amüsierten sich alle. Alles Frauen. Tone amüsierte sich nicht. Am schwierigsten war die Synchronisation von Armen und Beinen, was ihr einfach nicht gelang. Auch die Gedanken spielten nicht mit. Sie wollten hoch in den Wald und sich die Leiche ansehen. Das Erlebnis ließ sie nicht los.

      Nach einer halben Stunde verließ sie die Halle. Sie fühlte sich mutlos, schlecht in Form und ein bisschen zu dick. Der einzige Trost war die Sauna.

      Sie spritzte so viel Wasser auf den Ofen, dass die Hitze kaum auszuhalten war. Während sie den Schweiß aus allen Poren strömen spürte, entschloss sie sich, ihre Verabredung einzuhalten.

      Rica Hotel, Dienstag, 19.10 Uhr

      Er würde in der Bar sitzen. So hatten sie es verabredet. Tone kam zehn Minuten zu spät, er müsste also schon da sein. Sie blieb in der Tür stehen, um einen kurzen Blick hineinzuwerfen. Bestimmt beobachtete er sie. Sah ihr Zögern, taxierte sie und dachte: Das muss sie sein, sie passt zu der Beschreibung. Blondes Haar, normale Figur, durchschnittlich groß, schwarze Hose mit leichtem Schlag, kurze, schwarze Lederjacke. Sie hatte ihm gemailt, was sie anhaben würde.

      In der kleinen Bar saßen nur acht oder zehn Personen, und ihr Blick fiel schnell auf einen Mann, der ihr zuwinkte. Hier bin ich. Komm rüber. Tone ging langsam auf ihn zu und versuchte, sich an den Anblick des Mannes zu gewöhnen, der dort saß. Ihn in sich aufzunehmen und zu akzeptieren. Zu versuchen, den Teil seines Ichs zu finden, den sie bereits kannte.

      Der erste Eindruck war enttäuschend. Das ließ sich nicht leugnen. Er stimmte nicht mit dem Bild überein, das sie sich von ihm gemacht hatte.

      »Håkon Arfoss.« Er stand auf und gab ihr die Hand.

      »Tone Tarud.« Sie lächelte entgegenkommend. Sie mussten offen und positiv sein. Einander eine Chance geben. So lauteten die ungeschriebenen Regeln. Jetzt sollten sie sich erst einmal unverbindlich kennen lernen und herausfinden, ob sie sich miteinander wohl fühlten.

      »Was möchtest du trinken?« Er blieb stehen und wartete auf ihre Antwort.

      »Ein Glas Rotwein«, sagte sie schnell. Sie wollte keinen unentschlossenen Eindruck machen. Lieber lebhaft und selbstsicher erscheinen.

      Mit