der Frauen, die in den 1980er und 1990er Jahren inhaftiert waren, sagten uns, dies sei das erste Mal gewesen, dass sie so offen über ihre Erfahrungen geredet hätten. Sie hätten sich geschämt zu erzählen, was ihnen widerfahren war. Einige der Frauen, die während der Revolution verhaftet wurden, äußerten, dass sie zwar nicht zum ersten Mal von ihren Erfahrungen berichteten, ihr Schmerz aber nicht nachgelassen habe.
Es muss erwähnt werden, dass einige Frauen von sexueller Gewalt berichteten, uns jedoch später baten, diese Passagen wieder zu streichen. Selbstverständlich sind wir ihren Bitten gefolgt und haben verstanden, warum sie das wollten. Manche von ihnen leiden noch immer an den Folgen des Schocks, und die meisten werden nicht psychologisch betreut. Ein wichtiger Grund ist auch, dass sich die Bedingungen bzw. das politische Klima, in denen sie inhaftiert worden sind, noch nicht verändert haben. Ihre Hoffnung, dass die Verbrecher zur Rechenschaft gezogen werden, verringert sich täglich. Mit dem Andauern des Kampfes und dem Scheitern der Bemühungen, eine politische Lösung zu erreichen, die auf Gerechtigkeit und Wiedergutmachung beruht und bei der die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, wächst die Angst bei allen, die die Gewalt des Regimes und die schlimmen Zustände in den Gefängnissen erlebt haben. Das ist eine ernsthafte Herausforderung, die die Menschenrechtsorganisationen, die Gewaltverbrechen gegen Frauen dokumentieren und sich mit der Problematik von Gerechtigkeit und Verantwortung befassen, berücksichtigen müssen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts befinden sich noch immer Tausende von syrischen Frauen unter unmenschlichen Bedingungen in den Gefängnissen und Haftanstalten des Regimes. Das Schicksal vieler von ihnen ist unbekannt.5 Es gibt ebenso Tausende von Frauen, die dem Gefängnis entkommen und ihrem Schicksal überlassen worden sind und sich der Ablehnung und Gewalt der Gesellschaft gegenübersehen, ohne Gelegenheit zur Heilung zu haben. Sie akzeptieren die Situation gezwungenermaßen, isolieren sich und ziehen sich aus dem aktiven Leben zurück. Dieser Bericht ist eine Einladung an die Frauen, die der Haft entronnen sind, ihre Stimmen zu erheben und dem Schweigen zu begegnen. Vor allem aber ist er ein Aufruf dazu, Druck auszuüben, damit die Tausenden von immer noch inhaftierten Frauen freigelassen werden, ein Aufruf an Frauenorganisationen, Zentren und Programme einzurichten, die den freigelassenen Frauen psychologische Unterstützung bieten und dabei die Traumata und Schrecken berücksichtigen, die sie erlebt haben und noch erleben. Es ist auch ein Aufruf an alle Schichten der syrischen Gesellschaft, diese Frauen mit anderen Augen zu sehen, mit ihnen solidarisch zu sein und sie zu unterstützen in ihrer Forderung, Gerechtigkeit walten zu lassen, die Verbrecher zur Verantwortung zu ziehen und Wiedergutmachung zu leisten.
Es ist gut, dass wir – sie und wir – uns am Ende unserer Treffen einig waren, dass zu reden im Wesentlichen bedeutet, Widerstand gegen die Stille, die Unterwerfung und das Schweigen zu leisten, dass es Auflehnung dagegen bedeutet, marginalisiert und daran gehindert zu werden, die Zukunft in unsere eigenen Hände zu nehmen. Und das Wichtigste ist, dass es für uns alle eine Gelegenheit ist zu sagen: Wir sind immer noch da!
Methodik des Berichts
Dieser Bericht beschäftigt sich mit der Gewalt gegen syrische Frauen, die seit den 1980er Jahren bis 2017 zu verschiedenen Zeiten in Haftanstalten des syrischen Geheimdienstes inhaftiert waren. Er umfasst die Aussagen von 23 Frauen und vier Männern. Durch ihre Analyse wollen wir die Formen, Gründe und Ziele der gegen sie angewendeten Gewalt und ihre psychischen, sozialen und politischen Folgen für die Frauen und allgemein für die syrische Gesellschaft aufzeigen. Die Interviews wurden von Mitte Juli bis Ende 2018 durchgeführt, entweder über Skype oder in persönlichen Treffen mit unseren Zeuginnen und Zeugen in der Türkei, Schweden, Deutschland und Frankreich.
Mit ihrer Einwilligung wurden alle Aussagen aufgenommen und später Zitate aus ihnen verwendet. Wir transkribierten und analysierten die Aufnahmen, um den Bericht inhaltlich zu strukturieren.
Die Interviews dauerten zwischen anderthalb und drei Stunden. In manchen Fällen entschlossen wir uns, das Gespräch zu unterbrechen, um die Zeugin ihr Trauma nicht erneut durchleben zu lassen. Wir boten ihr dann an, entweder einen neuen Termin festzulegen, um ihre Aussage fortzusetzen, oder sich mit dem zu begnügen, was sie uns bereits erzählt hatte.
Wir hatten eine Reihe grundlegender Fragen vorbereitet, auf die die Befragten antworteten, aber wir gaben ihnen auch die Gelegenheit, spontan von ihren Erfahrungen zu berichten.
Viele der Befragten gaben an, dass sie zum ersten Mal Zeugnis über ihre Haft und die syrischen Gefängnisse ablegten.
Der Bericht verbindet die Hafterfahrungen während der Zeiten der Herrschaft von Hafiz al-Assad und Baschar al-Assad, Vater und Sohn, durch die Befragung von 15 vor der Revolution und zwölf während der Revolution Inhaftierten. Bei der Auswahl der Zeuginnen und Zeugen wurde auf kulturelle und regionale Vielfalt geachtet.
Wir versuchten außerdem, verschiedene Haftanstalten zu berücksichtigen – mehrere Abteilungen6 der Geheimdienste, Zivilgefängnisse, das Militärgefängnis in Saidnaya und das Gefängnis von Tadmur.
Auch der politische Hintergrund spielte eine Rolle. Unter den Gefangenen aus den 1980er Jahren waren solche, die aufgrund der Zugehörigkeit zu einer politischen Organisation, wie der Revolutionären Arbeiterpartei, der Kommunistischen Arbeitspartei und anderen linken Gruppierungen sowie den Muslimbrüdern, inhaftiert worden waren. Die Gründe für die Festnahme der Frauen während der Revolution reichen von politischen Aktivitäten in Koordinationskomitees und der Teilnahme an Demonstrationen und Sit-ins bis hin zur Arbeit in Hilfsorganisationen und medizinischer Versorgung.
Die Haftzeit unserer Zeuginnen betrug vor der Revolution zwischen zwei und 16 Jahren, einige wurden unter der Regierung von Hafiz al-Assad auch mehrfach verhaftet, dann erneut unter der Herrschaft von Baschar al-Assad vor und während der Revolution. Während der Revolution betrug die Haftzeit zwischen 15 Tagen und zwei Jahren, auch hier wurden viele unserer Zeuginnen mehrfach verhaftet.
Der Bericht konzentriert sich vor allem auf die Zeugenaussagen der Frauen, aber es wurden auch vier Männer befragt, deren Aussagen den Bericht ergänzen, indem sie darüber berichteten, wie sie Zeuge von Gewaltanwendung gegenüber Frauen wurden, oder weil weibliche Angehörige Opfer von Gewalt oder damit bedroht wurden, um von ihnen Informationen zu erpressen oder um sie zu erniedrigen und zu demütigen.
Alle persönlichen Informationen der Zeug*innen wurden gespeichert, wobei jedoch ihre Namen geändert wurden. Meist wählten wir einen Namen bzw. die Zeug*innen baten uns, einen Namen auszusuchen, andere wollten, dass wir ihren Vornamen benutzen. Wir waren sehr darauf bedacht, die Beschreibung der Personen so kurz wie nur möglich zu halten, um zu vermeiden, dass man sie identifizieren kann.
Historischer Hintergrund
Seit der Machtübernahme von Hafiz al-Assad im Jahr 1970 durch einen Militärputsch7 und nachdem er sich seiner Gefährten entledigt hatte,8 griff er zur Politik der Verhaftung seiner Gegner.9 Damit wollte er seine Macht festigen und ihren Erhalt sichern und nutzte dazu auch den Ausnahmezustand,10 der nach der Erringung der Macht durch den Putsch der Arabischen Sozialistischen Baath-Partei am 8. März 1963 ausgerufen worden war.
Der Ausnahmezustand und eine Reihe anderer repressiver Maßnahmen11 boten den verschiedenen Geheimdiensten,12 die während der drei Jahrzehnte seiner Herrschaft expandierten und deren Einfluss sich ständig verstärkte, einen Deckmantel dafür, viele Jahre lang willkürlich Menschen zu verhaften und verschwinden zu lassen, sie unmenschlich zu foltern, zu demütigen und ihre Menschenwürde zu missachten, ihnen sämtliche Grundrechte sowie medizinische Versorgung im Gefängnis zu verwehren, sie nach der Entlassung ständig zu verfolgen und ihnen oft auch ihre Bürgerrechte zu verwehren.13 Nachdem die Macht gefestigt war, zeigte das Regime seine Krallen und ging zu scharfen repressiven Maßnahmen über, um die syrische Gesellschaft und ihre Institutionen im Zaum zu halten, jedmögliche organisierte Opposition im Keim zu ersticken14 und damit zu verhindern, dass sich das syrische Volk erneut am politischen Leben und der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten beteiligt.15 Das Regime zögerte dabei nicht, immer mehr zu Gewalt, Erniedrigungen, Verhaftungen und kollektiver Bestrafung zu greifen.