Uhr … sechs Uhr … Als der Taxifahrer an einer besonders verkehrsreichen Kreuzung warten soll, wirft er ihnen böse Blicke zu und folgt ihnen bis zur Ladentür.
»Welches Hotel? Tja, mal sehen … Hôtel du Louvre.«
Und dann, im Hotel angekommen, fragt sie nach einem Zimmer. Émile bleibt hinter ihr stehen.
»Doppelzimmer?«
»Nein. Ein Einzelzimmer. Nur für mich«, antwortet sie.
»Und für Monsieur?«
»Ich brauche keins«, stottert Émile.
Sie ist äußerst gereizt. Oben im Zimmer, wo sich die Pakete auf dem Bett türmen, bebt sie fast vor Wut.
»Wie lange soll das noch so weitergehen?«
»Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir runter an die Bar gehen und einen Cocktail trinken. In diesem Hotel gibt es eine exzellente amerikanische Bar«, antwortet Émile.
»Oh, jetzt sind Sie Barexperte, was?«
»Ebenso sehr wie für Strümpfe, Madame Baxter.«
Das ist der Name, den sie an der Rezeption angegeben hat.
»Und ein noch größerer Experte, wenn es um Juwelendiebe geht. Sie machen wirklich einen Fehler, wenn Sie mich nicht auf einen Manhattan an die Bar begleiten.«
Fassungslos folgt sie ihm in die Bar. Es ist schwer, sich den zurückhaltenden Monsieur Émile in einer amerikanischen Bar vorzustellen, und doch scheint er sich dort absolut wohlzufühlen und belehrt sogar den Barmann über die Anteile für den Cocktail.
»Wie Sie wissen, meine kleine Dame …«
»Ich verbiete Ihnen, mich ›meine kleine Dame‹ zu nennen.«
»Wie Sie wissen, meine liebe Freundin.«
Sie macht den Mund auf, um wieder zu protestieren, aber ihr ist klar, dass sie bei ihm nicht das letzte Wort haben wird. Selbst wenn man ihn ohrfeigte, bis er rot wäre wie ein Hummer, auf ihm herumtrampelte und ihn bösartig verfluchte, würde er niemals seine Gelassenheit oder seine eigenartige Selbstsicherheit verlieren; Letztere war umso eigenartiger, da sie mit dieser verblüffenden Bescheidenheit einherging.
»Sie sind jung …«, fährt er fort.
»Und was ist mit Ihnen?«
»Ich? Wenn Sie wüssten! Wie auch immer. Sie haben sich den härtesten Beruf ausgesucht, der zwar oberflächlich betrachtet die größten Dividenden abwirft, ganz sicher sogar, wenn man an den Wert der Juwelen denkt. Aber welches Risiko Sie dabei eingehen! Und abgesehen davon, was bekommt man schon für gestohlenen Schmuck, selbst bei den ehrlichsten Hehlern – wenn man sie so nennen kann? Es ist so ein harter Beruf, dass sich nur sehr wenige der seltenen Spezialisten darauf einlassen, und die Polizei kennt ihre Arbeitsweisen …«
»Wollen Sie damit sagen, dass der Einbruch gestern Nacht …«
»Der von gestern Nacht und die zwölf anderen, die ihm in den letzten Monaten hier in Paris vorangegangen sind … Also, bis vor ein paar Tagen hätte ich schwören können, es wäre das Werk von Glatzenteddy … Barkeeper! Noch mal das Gleiche, bitte!«
»Warum sagen Sie, dass Sie’s bis vor ein paar Tagen hätten schwören können?«
»Weil ich … Nein, entschuldigen Sie, weil mein Chef, Monsieur Torrence, der auf seine eigene Art ein sehr außergewöhnlicher Mann ist, so klug war, mit der New Yorker Polizei Kontakt aufzunehmen, und dabei herausgefunden hat, dass Glatzenteddy immer noch im Gefängnis sitzt. Die Nachricht hat uns erst gestern erreicht, aber es besteht kein Zweifel.«
»Haben Sie irgendeinen Beweis, dass ich nicht Glatzenteddy bin, oder seine Komplizin?«, spöttelt sie.
»Glatzenteddy, mein kleines Kind …«
»Vorher haben Sie mich Ihre ›kleine Dame‹ genannt.«
»Ja, und es könnte vorkommen, dass ich Sie einfach nur ›Kleines‹ nenne! Und jetzt trinken Sie aus. Was ich sagen wollte, Glatzenteddy hat nie mit Komplizen zusammengearbeitet, weder männlich noch weiblich. Die wenigen erfolgreichen Juwelendiebe – diejenigen, die man als internationale Größen bezeichnen kann – haben immer alleine gearbeitet. Aber Glatzenteddy hat es mit dieser Regel bis zur Perfektion getrieben.«
Sie lacht eisig.
»Sie klingen wie ein Lehrer …«
»Wie ein Dorfschullehrer, stimmt’s?«
Manchmal ist sie sich nicht mehr ganz sicher. Er hat so eine komische Mischung aus Demut und Stolz an sich, aus Autorität und Bescheidenheit. Und sein Blick …
»Was glauben Sie«, fragt er, »ist der gefährlichste Zeitpunkt für einen Juwelendieb?«
»Sie scheinen mehr darüber zu wissen als ich.«
»Wenn er den Schmuck verkauft. Alle wertvollen Juwelen haben eine Identität, eine Bezeichnung, mit der man sie, wohin auch immer, nachverfolgen kann. Deshalb hat sich Glatzenteddy auch nie mit Kleinkram abgegeben. Wenn er ein Ding dreht, dann im großen Stil. Drei oder vielleicht auch sechs Monate lang raubt er die Juwelierläden einer einzigen Stadt aus, sagen wir Paris, London, Buenos Aires oder Rom. Er leistet gute Arbeit, erledigt sie schnell und verfährt immer nach derselben Methode. Aber solange er sich in dem jeweiligen Land aufhält, nimmt er sich sehr genau davor in Acht, auch nur eins der gestohlenen Stücke dort an den Mann zu bringen.
Glatzenteddy ist auf seine Art ein Großhändler. Wie man so hört, hat er genug Kapital, um eine Weile auf der Ware sitzenzubleiben. Wenn er genug Beute gemacht hat, verschwindet er. Keine Spur mehr von ihm. Die internationalen Polizeikräfte warten vergeblich auf sein Wiederauftauchen.
Er tätigt seine Verkäufe weit weg, sagen wir auf einem anderen Kontinent, und viel, viel später. Dann hat er genug in der Hand, um ein paar Jahre friedlich zu leben. Ich möchte wetten, dass er irgendwo auf der Welt unter einem anderen Namen verehrt und respektiert wird, vielleicht sogar als Bürgermeister in seiner Stadt oder in seinem Dorf.
Und dann, wenn ihm das Geld langsam ausgeht, macht er Pläne für einen neuen Feldzug. Er nimmt sechs bis zwölf Monate Urlaub …«
Émile kippt seinen Drink hinunter und bestellt noch einen.
»Also«, fährt er fort, »wenn die amerikanische Polizei mir – Pardon, ich meine natürlich meinem Chef, dem ehemaligen Inspektor Torrence – nicht garantiert hätte, dass sich Glatzenteddy momentan hinter Gittern befindet, nun, dann hätte ich für meinen Teil jedenfalls schwören können, dass …«
In diesem Moment passiert etwas Ungewöhnliches. Die junge Dame legt ihre Hand auf seinen Arm und fragt ihn:
»Wer sind Sie eigentlich?«
»Meinen Sie nicht, dass ich Ihnen diese Frage stellen müsste? Sie wissen doch, dass ich nur ein Laufbursche der Agence O bin.«
»Also wenn alle Laufburschen so sind wie Sie, dann möchte ich gerne mal wissen, was der Chef für einer ist.«
»Ich auch.«
»Aber andererseits, wenn Sie der Chef sind, warum geben Sie sich dann als …«
»Hören Sie, an dem Punkt, an dem wir jetzt angelangt sind – und ich habe inzwischen drei Manhattan getrunken, von den vier Cognacs im Quatre Sergeants und dem Bier in dem Café an der Île Saint-Louis ganz zu schweigen –, kann ich Ihnen genauso gut gestehen, dass es eben meine Methode ist. Wenn ich Sie heute morgen befragt hätte …«
»Wäre ich auf der Hut gewesen …«
»Vielleicht. Oder andersherum, ich wäre auf der Hut gewesen. Wie Sie wissen, bin ich wirklich sehr schüchtern, und …«
»Und ich versuche, Sie mit fünfzigtausend Franc zu kaufen!«
»Haben Sie irgendeine Idee, wo wir zu Abend essen könnten? Ich habe gesehen, dass Sie ein Abendkleid gekauft haben.