rrie Firestone
Girl Power
Jetzt reden wir!
Aus dem amerikanischen Englisch von Barbara König
Für all die, die gegen die Vorschriften verstoßen,
obwohl man es nicht von ihnen erwartet hätte.
Und für die, die immer weitermachen,
das Denken verändern.
Nicht in Ordnung: ein Kleider-Podcast Episode eins
Ich habe noch nie einen Podcast gemacht, und ich habe keine Ahnung, ob ich das hier richtig angehe. Ich habe bisher überhaupt nur zwei Podcasts gehört: einen über einen berühmten Gitarristen und einen anderen über die Südstaaten-Küche. Beide haben mich nicht auf das vorbereitet, was ich hier sagen will. Aber ich habe das Gefühl, dass ich so am besten erzählen kann, was in Wirklichkeit dazu geführt hat, dass die gesamte achte Klasse der Fisher-Mittelschule Olivia Bonaventura hasst.
Es ist Zeit für die Wahrheit.
Ich: Ich heiße Molly Frost, und das hier ist Episode eins von Nicht in Ordnung: ein Kleider-Podcast – die wahre Geschichte über die Kleider-Katastrophe an der Fisher-Mittelschule. Das Ganze ist im Schulgarten passiert, genau neben dem Berg aus bunten Mutmachsteinen, dem Lieblingsprojekt von Mrs Tucker. Ich war dabei. Ich habe alles gesehen. Und nun sitze ich hier mit Olivia zusammen. Hi, Olivia, möchtest du uns erzählen, was passiert ist?
Olivia: Mach du das ruhig, Molly.
Ich: Bist du sicher? Es ist deine Geschichte.
Olivia: Du warst dabei.
Ich: Okay, also, alles fing am letzten Mittwoch an. Ich habe verschlafen und bin total panisch aufgestanden, weil die erste Stunde schon angefangen hatte. Mom hatte an dem Tag schon früh einen Termin, also musste ich laufen und habe die Abkürzung durch den Wald zur Schule genommen. Den Bus hatte ich längst verpasst. Im Schulgarten bin ich stehen geblieben, um mir die Schnürsenkel zuzubinden. Für die von euch, die die Fisher-Mittelschule nicht kennen: Der Schulgarten wurde vor langer Zeit zu Ehren der Schüler angepflanzt, die im Krieg gefallen sind. Als ich wieder hochschaute, sah ich dich vor Mr Dern und Dr. Couchman stehen. Ich weiß noch, dass Dr. Couchmans Gesicht ganz rot war und Mr Dern mit dem Finger auf dich gezeigt hat. Und du hast geweint.
Schweigen.
Olivia: Molly, kannst du mal kurz auf Stopp drücken?
Sendepause
Ich glaube, Nicht in Ordnung: ein Kleider-Podcast war doch keine gute Idee. Olivia sieht jedenfalls nicht besonders glücklich aus.
»Alles okay?«, frage ich und überprüfe noch einmal, ob das Aufnahmegerät wirklich ausgeschaltet ist.
Sie nickt. »Vielleicht lassen wir das Ganze einfach. Pearl hat gesagt, bis wir mit der Schule fertig sind, werden alle die Geschichte vergessen haben.«
»Olivia, alle hassen dich für etwas, was nicht deine Schuld ist. Das geht nicht. Das ist einfach nicht in Ordnung. Alle müssen wissen, was wirklich passiert ist.«
Natürlich werde ich das Olivia nicht erzählen: Aber als Mr Dern und Dr. Couchman sie angeschrien haben, weil sie ein königsblaues Tanktop mit Spaghettiträgern trug, da habe ich gesehen, wie ein Stückchen ihrer Seele ihren Körper verlassen hat. Bis zu dem Tag hatte ich immer gedacht, die Seele verlässt den Körper erst, wenn man stirbt, und zwar in einem Rutsch. Doch als ich Olivias Gesicht gesehen habe, ihre verschränkten Arme, die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, die roten Flecken, die sich über ihre Brust ausbreiteten, da wusste ich, dass alles, was ich bisher über die Seele geglaubt hatte, falsch war. Die Seele verlässt den Körper in winzigen Seufzern. So wie wenn man nach und nach die Luft aus einem Ballon lässt.
Deswegen habe ich ihr zwei Tage später eine Nachricht geschrieben. Ich wollte eigentlich in der Schule mit ihr darüber reden, aber sie hat sich geweigert hinzugehen.
Ein Brief an die vierte Klasse
Wenn ich einen Brief an meine damalige vierte Klasse schreiben könnte, würde ich es kurz machen, denn in der vierten Klasse war unsere Aufmerksamkeitsspanne doch sehr begrenzt. Ich würde Folgendes schreiben:
Liebe vierte Klasse,
ihr findet bestimmt, dass das Wort Busen ein komisches Wort ist. Und das ist es auch. Aber das wird sich bald ändern. Okay, in der achten Klasse finden die Jungs es vielleicht noch lustig. Aber für die Mädchen in der achten Klasse ist nichts daran lustig. Denn wenn der Busen wächst, tut das manchmal weh, und manchmal wächst er nicht gleichmäßig und manchmal sogar über Nacht. Da besucht man seine Großeltern in den Frühjahrsferien in Florida, kommt zurück und hat plötzlich dicke Fleischklumpen, die aus dem T-Shirt hervorquellen. Und ehe man sich’s versieht, steht man in einem Garten, zwei erwachsene Männer schreien einen an und bringen einen zum Weinen, weil einem das Shirt nicht mehr richtig passt. Oder es wird so laufen: Jeden Morgen, wenn man aufwacht, kneift man ganz fest die Augen zu und wieder auf und späht unter sein T-Shirt, in der Hoffnung, dass sich was getan hat. Und wenn nicht, zieht man einen BH an, den man eigentlich gar nicht braucht, und darüber ein schlabbriges T-Shirt, damit bloß niemand merkt, dass man immer noch wie eine Viertklässlerin aussieht (nicht böse gemeint). Und dann läuft man neben seiner Freundin mit den Fleischklumpen im schlecht sitzenden T-Shirt und mit hängenden Schultern durch die Gegend. Denn inzwischen hasst man das Wort, das man mal so lustig fand. Busen. Es ist das schlimmste Schimpfwort in der Mittelschule.
Die Vorgeschichte
Früher war ich viel enger mit Olivia und Pearl befreundet.
Olivia war mit mir zusammen in der fünften Klasse und Pearl in der sechsten. Wir waren Mittagspausen-Freundinnen, aber keine Übernachtungs-Freundinnen und erst recht keine Doppel-Übernachtungs-Freundinnen. Wir haben über Hausaufgaben geredet, bei Versammlungen nebeneinandergesessen, und wenn wir in der Pause Mannschaften gebildet haben, haben wir uns gegenseitig zuerst gewählt (oder wenigstens als Zweite oder Dritte). Ich wusste, dass Olivia heimlich in Rahul verknallt war, und Pearl und ich sind mit ein paar von denselben Jungs gegangen. Miteinander gehen, das bedeutete in der fünften und sechsten Klasse: Man hat allen davon erzählt, seinen Pseudo-Freund aber nicht mal angeguckt, und eine Woche später hat man sich wieder getrennt.
Ich werde nie vergessen, wie Nick mir den Stuhl unterm Hintern wegziehen wollte und Olivia ihn geboxt und mich gerettet hat. Dafür musste sie zur Schulleitung. Ich hatte ein ganz schlechtes Gewissen, aber sie hat geschworen, dass es das wert war.
In der siebten Klasse haben Olivia und ich uns aus den Augen verloren, weil wir uns in der sechsten Klasse kaum gesehen hatten und weil Olivia dann in der siebten lauter Leistungskurse belegt hat. Und Pearl und ich haben uns aus den Augen verloren, weil Pearl nicht snapchatten darf, was sie irgendwie zur Außenseiterin macht (ich wünschte, das wäre nicht so) und weil sie auch viele Leistungskurse belegt hat.
Ich bin in keinem Leistungskurs, weil ich in jeder Hinsicht ein sehr durchschnittlicher Mensch bin. Ich würde mal sagen, dass ich mir weder in der Schule noch beim Lacrosse, noch beim Klarinettespielen oder im Leben überhaupt besonders viel Mühe gebe. Aber im Vergleich zu meinem Bruder Danny bin ich ein Wunderkind.
Pearl und Olivia sind ziemlich gut befreundet. Ich schätze mal (da ich in diesem Schuljahr kaum mit Pearl und kaum mit Olivia gesprochen habe, weiß ich es ja nicht genau), dass die beiden Wir-sitzen-bei-einer-Exkursion-nebeneinander-im-Bus-Freundinnen und vielleicht Übernachtungs-Freundinnen sind, aber bestimmt nicht Doppel-Übernachtungs-Freundinnen.
In der siebten Klasse habe ich eine Zeit lang viel mit dem Lacrosse-Team rumgehangen. Es war einfach, sich nach dem Training zu treffen, und die Hälfte von uns