hatte jemand auf das Bett gelegt.
»Setz dich«, sagte Vladan auf Rumänisch. Seine Augen schimmerten dunkel.
Sie wartete auf seinen Wutausbruch, aber nichts kam. Er nahm auf einem Stuhl Platz und steckte sich eine Zigarette an, obschon man ihnen erklärt hatte, dass sie in diesen Räumen nur zu Gast waren und dass man hier nicht rauchen dürfe. Leise Musik drang aus dem Nebenzimmer, zur Rechten, nicht aus dem Nachbarraum, in dem Irina gewohnt hatte.
»Ich habe mir Sorgen gemacht«, sagte Vladan in einem väterlichen Tonfall. »Du warst weg, und ich … ich bin für dich verantwortlich. Wo bist du gewesen? Du musst es mir sagen!«
Er zog an seiner Zigarette und schnippte die Asche dann ganz einfach auf den Boden.
Sie schaute ihn an. Nein, sie durfte ihm nichts von Therese erzählen, die sie wahrscheinlich am Bahnhof suchen würde. Zum Glück hatte sie ihr nicht genau erzählt, wo das Haus stand, in dem Vladan sie gefangen hielt.
Als sie nicht antwortete, machte Vladan eine Geste, als wolle er ihr über den Kopf streichen. Hastig zuckte sie zurück.
»Ich weiß, es ist alles neu für euch hier«, sagte er, »und wir hätten euch auch besser Bescheid sagen müssen, was euch erwartet. Bevor ihr arbeiten dürft, müsst ihr untersucht werden. Das ist in diesem Land hier so. In Deutschland gibt es viele Gesetze und Vorschriften.«
Plötzlich sah sie, dass er eine Wunde am Hals hatte, ein Pflaster klebte da. Ein Gedanke kam ihr.
»Wo ist Irina?«, fragte sie. »Was ist mit ihr passiert?«
In Vladans Augen loderte etwas auf, sein Kopf ruckte in die Höhe. »Irina ist nach Hause gefahren – mit dem Bus«, sagte er. »Sie hat eine Krankheit, deshalb haben wir sie zurückgeschickt. Sie darf in diesem Land nicht arbeiten.«
»Sie hat geschrien«, sagte sie. »Warum hat sie geschrien? Hast du ihr gesagt, dass sie hier in einem Bordell arbeiten soll?«
Vladan sprang abrupt auf. »Miststück!«, brüllte er. »Ich bin gut zu dir. Ich könnte auch anders, und wenn du noch einmal nach Irina fragst, dann …« Er beugte sich vor.
Sie roch seinen Atem. Nikotin und Bier. Widerlich!
Seine Hand schoss vor, auf ihr Gesicht zu, aber dann kniff er sie nur so heftig in die Wange, dass ein scharfer Schmerz sie durchzuckte, und stürmte aus dem Zimmer.
Sie spürte, dass sie zu weinen begann. Es war ein Fehler gewesen, zurückzukommen – nur wegen ein paar Sachen und ein wenig Geld. Sie zog ihr Nokia hervor. Sie musste Therese Bescheid geben, wo sie war – dass sie wieder eingesperrt war. Jetzt auf der Stelle!
Doch kaum hielt sie das Telefon in der Hand, war Vladan zurück. Er starrte sie hasserfüllt an, so kam es ihr vor, und als er das Nokia entdeckte, ergriff er es sofort.
»Biest!«, brüllte er erneut. »Was soll das? Du machst mir nur Ärger. Wenn du noch einmal wegläufst, muss ich dich fesseln.«
Mit dem Nokia verschwand er, aber zumindest sperrte er sie nicht ein.
Als sie zum Fenster ging, entdeckte sie, dass nun ein Schloss daran angebracht war. Keiner der beiden Flügel ließ sich mehr öffnen. Nun müsste sie schon das Glas zerschlagen, um hinunterspringen zu können.
Der Anblick des Schlosses saugte ihr die letzte Kraft aus dem Körper. Erschöpft sank sie auf das Bett, und ohne dass sie es selbst recht merkte, kamen ihr die Tränen. Sie weinte stumm, bis sie so müde war, dass sie einschlief.
8
Max zeigte sich von seiner besten Seite. Er kochte Kaffee und deckte den Tisch fürs Frühstück. Er hatte sofort begriffen, dass Danuta etwas mit ihrem neuen Fall zu tun hatte und dass es auch darum ging, dass sie Vertrauen fasste.
Danuta trank zunächst nur Kaffee, doch nach der ersten Brotscheibe nahm sie eine zweite und eine dritte, während Max, ganz als hätten sie eine gute Freundin zu Gast, davon sprach, dass er gleich Sport machen und dann mit seinem Verlag telefonieren wollte. In vier Wochen sollte sein Buch erscheinen – der Roman über den Tag, an dem das Kölner Stadtarchiv eingestürzt war.
Birte beobachtete, wie die junge Frau aus Litauen sich zusehends entspannte. Mit dem Schmutz aus ihrem Haar waren auch andere Dinge von ihr abgefallen.
Dann nach dem zweiten Kaffee sagte Danuta: »Du bist Polizistin – ich soll dir helfen, nicht?«
Birte nickte. So deutlich hätte sie es nicht ausgesprochen, aber ja, es stimmte. »Kannst du mir etwas über diesen Bus aus Rumänien sagen?«
Max zog sich in ihr Schlafzimmer zurück, um sich anzukleiden. Danuta sah ihm nach.
»Netter Mann«, sagte sie, dann wurde ihr Gesicht ernst. »Ich bin oft am Bahnhof. Für Arbeit und für Unterkunft, aber nicht für die Männer – auf keinen Fall. So etwas tue ich nicht.« Sie vollzog mit der Hand eine harte Geste, als hätte sie ein Messer in der Hand und wollte etwas abtrennen. »Da habe ich den Bus gesehen. Aus Rumänien. Nein, ist eigentlich kein Bus. Ein Transporter. Vier Männer und zwei Mädchen. Die Männer sind weggegangen, aber auf die Frauen hat jemand gewartet. Junge Frauen. Kann sein – die Frau von dem Foto war dabei. Weiß ich nicht genau.« Sie beugte sich vor, um einen weiteren Schluck Kaffee zu nehmen.
Birte hatte plötzlich das Gefühl, dass Danuta log, dass sie sich wichtigmachen wollte.
»Wann war das?«, fragte sie. »Wann genau ist dieser Bus angekommen?«
Danuta legte die Stirn in Falten. »War Mittwoch«, sagte sie. »Gegen Mittag.«
»Also vor sechs Tagen?«
Die junge Frau trank ihren Kaffee aus. »Genau«, sagte sie. Es klang allerdings nicht, als wäre sie sich ihrer Sache sicher. »Kann sein – sechs Tage.«
Und was hast du in diesen sechs Tagen gemacht – wo bist du gewesen?, hätte Birte am liebsten gefragt, doch sie ließ es.
Danuta fielen unvermittelt die Augen zu.
Sie würde gerne bleiben, dachte Birte, wenigstens für eine Nacht, um sich einmal richtig auszuschlafen. Wahrscheinlich hatte sie seit langer Zeit kein richtiges Bett mehr gesehen. Aber es ging nicht. Sie konnte Max nicht einfach eine junge Frau dalassen, um die er sich kümmern musste.
»Danuta«, sagte sie behutsam. »Ich würde dir gerne helfen und morgen mit dir zum Bahnhof fahren, damit du mir diesen Bus zeigst, aber hier kannst du leider nicht bleiben, doch vielleicht weiß ich einen anderen Ort.«
Danuta blickte auf, ihr Blick irrte umher, als hätte sie tatsächlich ein paar Sekunden geschlafen. »Ich bin müde«, sagte sie, »und ich träume von meinen Puppen. Wo sind meine Puppen?« Ihre Stimme zitterte.
»Ich weiß vielleicht einen Ort«, wiederholte Birte. »Bei einer guten Freundin.«
Danuta erhob sich schwerfällig, dann schlurfte sie zur Tür, müde und irgendwie enttäuscht, als wäre sie hinausgeworfen worden, und nahm ihren Rucksack.
Birte sagte kurz Max Bescheid, der auf dem Bett an seinem Laptop saß und zum Gruß die Hand hob.
In ihrem Alfa überlegte Birte, ob sie Therese vorher anrufen und ihren Besuch ankündigen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. So oder so war es eine Zumutung, dass sie einfach mit einer wildfremden Frau vorbeikam, aber insgeheim setzte sie auf das schier grenzenlose Mitgefühl der alten Hebamme, wenn sie Danuta erblickte.
»Es ist wirklich wahr«, sagte Danuta im Auto. »Ich bin Danuta, und ich war Puppenspielerin … Ich war … wie heißt es? … Famous in Vilnius.« Sie griff in ihren alten Parka und holte einen Fetzen Papier hervor.
Es war ein Ausschnitt aus einer Zeitung, erkannte Birte, als sie an einer Ampel halten musste. Auf dem Foto stand eine junge Frau mit Zöpfen, die an Fäden zwei Marionetten vor sich herführte. Mit einiger Mühe war eine jüngere, fröhliche Danuta auf dem Bild zu erkennen.
»Ich habe gedacht, ich könnte in Deutschland mehr Geld verdienen«, sprach