Thomas Middelhoff

Zukunft verpasst?


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mit denen die (digitalen) Wettbewerber Bertelsmann enteilt sind: Google, obgleich erst seit 1998 aktiv, macht rund das Achtfache des Bertelsmann-Umsatzes, der Umsatz von Disney ist zwischenzeitlich um den Faktor vier größer und der Umsatz von Amazon – allein im Medienbereich – liegt um etwa 50 Prozent höher als der von Bertelsmann. Mittlerweile ist bereits der Deutschland-Umsatz von Amazon größer als der weltweite Umsatz von Bertelsmann.

      Geht es um die Finanzkraft, sieht das Bild für Bertelsmann nicht besser aus. Wie der Bertelsmann-Vorstandsvorsitzende Thomas Rabe Anfang Mai 2020 in einem FAZ-Interview versicherte, verfügt der Konzern über eine Liquidität von etwa 4 Milliarden US-Dollar, deren Zusammensetzung in dem Interview etwas vage blieb. Wie eingangs erwähnt, beträgt allein die Cash Position von Google 121 Milliarden. Dies entspricht in cash mindestens dem 30-fachen dessen, was Bertelsmann heute finanzieren könnte. Und auch die Finanzkraft von Comcast (Nr. 4 im Ranking) in Höhe von 127,4 Milliarden US-Dollar oder Walt Disney (Rang 5) in Höhe von 123,9 Milliarden bewegen sich zwischenzeitlich in völlig anderen Sphären als die des Bertelsmann-Konzerns.

      Apple verfügt über einen Barbestand auf seinen Konten in Höhe von mehr als 130 Milliarden US-Dollar. Das ganze Drama, das sich für die Wettbewerbskraft von Bertelsmann seit dem Crash des Neuen Marktes und dem nachfolgenden Rückzug aus dem digitalen Geschäft abgespielt hat, beschreibt ein einziger Satz: Der Google-Gewinn war im Jahr 2019 größer als der Bertelsmann-Umsatz!

      Damit scheidet die Vorstellung aus, Bertelsmann könne zukünftig als Konsolidierer in der digitalen Medienwelt auftreten. Vorstellbar sind allenfalls Akquisitionen in reifen Medienmärkten, die den Handlungsspielraum des Konzerns nicht überfordern, weil dort die Kaufpreismultiplikatoren üblicherweise niedriger sind als in Wachstumsmärkten.

      Die Deutsche Bank und die FinTech-Industrie: Warum Größe nicht vor Dummheit schützt

      Mit einer Bilanzsumme von 1,491 Trilliarden Euro im ersten Quartal 2020 und rund 90.000 Mitarbeitern versteht sich die Deutsche Bank seit Jahrzehnten als das Vorzeigeunternehmen des Landes und bemüht sich auch heute noch, so zu agieren.

      Tatsächlich aber kämpft das ehemals namhafte Institut nicht nur um seinen Ruf, sondern vielmehr darum, ein tragfähiges zukünftiges Geschäftsmodell zu finden, und damit verbunden um seine wirtschaftliche Eigenständigkeit. Aufgrund ihrer vergleichsweise niedrigen Marktkapitalisierung gilt die Bank an den Kapitalmärkten schon seit längerer Zeit als Übernahmekandidat, ähnlich wie dies im Automobilsektor für Daimler gilt. Allerdings glauben wir, dass sich selbst bei einem negativen Kaufpreis kein renommierter Käufer für diese Bank finden würde; zu groß sind die Risiken. Denn die Deutsche Bank war 2016 noch weltweit in etwa 7.800 Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und Zivilprozesse involviert.

      Wer hierzu mehr erfahren will, sollte das Buch von David Enrich lesen, eines Reporters der New York Times, das sich wie ein Thriller liest: Dark Towers: Deutsche Bank, Donald Trump, and an epic trail of destruction (Harper Collins, 2020). Wer ein Buch in deutscher Sprache bevorzugt, dem sei Bad Bank, Aufstieg und Fall der Deutschen Bank (DVA 2018) von Dirk Laabs ans Herz gelegt.

      Conny begleitet die Entwicklung der Finanztechnologie-Industrie bis heute eng, weil er bereits zu einem frühen Zeitpunkt als Investor von dem Potenzial dieser Unternehmen überzeugt war. Ähnlich wie in der Musikindustrie war es eigentlich völlig offensichtlich, dass das gesamte weltweite Bankgeschäft relativ kurzfristig ohne größere Probleme in digitaler Form würde abgewickelt werden können. Nicht so offensichtlich jedoch für das Management der Deutschen Bank. Regelmäßig versuchte Conny Geschäftskontakte zwischen der Deutschen Bank und jungen Start-ups aus dem FinTech-Bereich zu entwickeln. Leider zeigte sich deren Management damals wenig interessiert. Gesprächsvorschläge wurden mit dem Argument negativ beschieden, diese kleinen Start-ups seien zwar „nett, bewegten aber den Puls eines solch großen Konzerns nicht“.

      Stattdessen konzentrierte sich die Deutsche Bank während des verlorenen Jahrzehnts vornehmlich auf den Auf- und Ausbau des Investmentbanking und versuchte sich mit der Übernahme von Bankers Trust und unter Einsatz aller anderen nur denkbaren Mittel als bedeutender Player an der Wall Street zu etablieren. Wirtschaftlich gesehen endete diese Strategie in einem Fiasko. Die Deutsche Bank konnte sich im angelsächsischen Bereich nicht nachhaltig erfolgreich als Investmentbank etablieren und verlor im Wettbewerb in dieser Disziplin vor allen Dingen gegen Banken wie JPMorgan oder Goldman Sachs. Verdeutlicht wird dieser Sachverhalt am Verlauf des Aktienkurses der Deutschen Bank im Vergleich mit JPMorgan und Goldman zwischen 2000 und 2020.

      Abbildung 5: Kursentwicklung von JP Morgan, Goldman Sachs, Crédit Agricole und Deutsche Bank über den Zeitraum der letzten 20 Jahre.

      Aufgrund der Fokussierung auf das Investmentbanking und der Verwicklung in eine Unzahl an Rechtsstreitigkeiten vernachlässigte die Deutsche Bank zugleich die Digitalisierung des Bankgeschäfts, die Entwicklung des Onlinebanking und das dramatische Wachstum des Mobile Payment, was sich als Folge des verlorenen Jahrzehnts nach unserer Einschätzung noch stärker rächen wird als der vergebliche Versuch, sich als bedeutende Investmentbank zu etablieren. Eine analoge Entwicklung wie in der Automobilindustrie, wo durch die Verwicklung in „Dieselgate“ die Fokussierung auf alternative Antriebsformen verpasst wurde.

      Aktuell will sich das Management der Bank zwar verstärkt auf das Privatkundengeschäft konzentrieren, das vor allen Dingen über die frühere Postbank betrieben werden soll. Tatsächlich spielt diese aber bei den weltweiten Online- und Mobile-Transaktionen nur eine untergeordnete Rolle bei einem weltweit verschwindend geringen Marktanteil. So gesehen hat die Deutsche Bank nicht nur die falsche Priorität verfolgt, sondern zugleich die Zukunft im Bereich des Digital Banking verspielt.

      Während neue Wettbewerber aus dem Fintech-Bereich, die vollständig digitalisierte Geschäftsmodelle betreiben, seit der Jahrtausendwende immer mehr Vertrauen von Kunden und Investoren gewinnen, fällt es der Deutschen Bank als Folge des verlorenen Jahrzehnts zunehmend schwer, mit diesen neuen Wettbewerbern Schritt zu halten.

      Das digitale Geschäftsmodell von Finanztechnologie-Unternehmen gewinnt zunehmend Marktanteile im Bankensektor, und dies weltweit. Hierzu zählen heute beispielsweise Anbieter wie Klarna, Raisin, N26, Revolut und PayPal oder WeChat Pay und Alipay in China, die sich dort als Zahlungsabwickler oder Onlinebank am Markt etablieren konnten und hohe Wachstumsraten aufweisen. Dies war bereits lange vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie ein Fakt und wurde durch diese weltweit nochmals beschleunigt.

      Klarna beispielsweise verfolgt das Ziel, durch Digitalisierung den finanziellen Alltag seiner Kunden so einfach und transparent wie möglich zu gestalten. Das Zinsportal Raisin verfügt hingegen nicht nur über eine Banklizenz, sondern hat 2019 auch die MHB-Bank, Frankfurt, übernommen. Nach unserer Beobachtung ist dies das erste Mal, dass ein FinTech-Startup die Bank übernommen hat, die sie bislang finanzierte. Dies ist auch insofern eine bemerkenswerte Entwicklung, weil üblicherweise Banken junge Start-ups übernehmen, um auf diesem Wege die Digitalisierung ihrer eigenen, internen Prozesse zu beschleunigen und um Know-how einzukaufen – und nicht umgekehrt.

      Dieser Schritt könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass Techfirmen, die Schritt für Schritt in das Bankgeschäft vordringen wollen, sich benötigtes Know-how oder auch Marktanteile durch gezielte Akquisitionen von Banken erschließen können. Es ist für uns durchaus vorstellbar, dass ein Unternehmen wie beispielsweise Amazon oder Apple eine Großbank übernehmen könnte, die sich vor allen Dingen auf den Bereich der Zahlungsabwicklung konzentriert hat. Die Übernahme der Commerzbank, die am 8. Juli 2020 eine Marktkapitalisierung von 5,66 Milliarden Euro hat, wäre für Apple – ähnlich wie eingangs in unserem Beispiel „Global Lift“ beschrieben – bei einer Marktkapitalisierung in Höhe von über 1 Trillion US-Dollar und einem Cash-Bestand von über