Martina Meier

Ich und Du


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Tischtuch. Als Thomas sie in den Arm nahm, fast zärtlich, passte sie sich wie von selbst seiner Körperform an. Er zupfte liebevoll und mit großen Augen an ihrer zartesten Saite und der Ton, der erklang, erfüllte ihn mit Stolz und Freude.

      Von diesem Tag an widmete er einen großen Teil seiner Zeit der Liebe zu seiner Gitarre und der Musik, die sie gemeinsam hervorbrachten. Er brachte sich selbst bei, sie so zu spielen, dass die lieblichsten Klänge zutage traten. Diese Gitarre und Thomas, sie teilten alles miteinander. Er erzählte ihr von seinem Alltag, von seinen Ängsten und Hoffnungen. Natürlich erzählte er nicht so, wie er mit seinen Freunden in der Schule redete. Er nahm die Gitarre in den Arm und erzählte mit seinen Fingern. War er traurig, dann weinte sie mit ihm, war er fröhlich, machte sie seinen Tag noch schöner. So wurde die Gitarre zu seinem besten Freund und zu seinem Partner, der ihn ständig begleitete.

      Wie jede Liebe erlebte auch die zwischen Thomas und seiner Gitarre schöne und schlechte Zeiten. Das viele Üben strengte Thomas häufig an, es machte ihm nicht immer Spaß, dieselbe Stelle wieder und wieder zu probieren, nur um festzustellen, dass sie immer noch nicht so klang, wie er es sich vorstellte. In diesen Momenten dachte er darüber nach aufzugeben, die Gitarre in die Ecke zu stellen und sich ein neues Hobby zu suchen. Doch er tat es nicht. Er wusste, dass man manchmal an einer Beziehung arbeiten musste, damit sie funktionierte. Und schließlich war es ja auch nicht die Schuld der Gitarre, wenn der Ton mal nicht saß oder ihm seine Finger nicht gehorchten. Und so verzieh er ihr auch die falschen Töne.

      Belohnt wurde er mit den Momenten, die zu den glücklichsten seines Lebens zählten. Wenn der Sommer die Welt erwärmte, saß er im Garten und spielte fröhliche Melodien, die ein Lächeln auf die Lippen all jener zauberten, die sie hörten. Bei der Schulaufführung stand er zusammen mit seiner Gitarre auf der Bühne und sie genossen gemeinsam den tosenden Applaus, der durch die Aula schallte. Beim Geburtstag seiner Oma zupfte er die Saiten so zärtlich, dass diese vor Rührung Tränen in den Augen hatte. Ein Bild von diesem Abend steht auf ihrem Nachttisch.

      Im Gegensatz zu den meisten ersten Lieben sollte die zwischen Thomas und seiner Gitarre niemals vergehen. Sie blieb zwar nicht seine Einzige, er hatte viele weitere neben ihr, in allen erdenklichen Farben und Formen. Er fand neue, aufregende Freunde, mit denen zusammen er kunstvolle Stücke hervorbrachte. Doch er vergaß seine erste Gitarre nicht. Sie war es, die in seinem Herzen einen besonderen Platz hatte. Und die Melodien, die sie zusammen spielten, werden ewig leben.

      Linnea Schneider ist 25 und lebt zusammen mit ihrem Herzmann in Berlin. Er teilt sich den Platz in ihrem Herzen mit der Musik.

      *

      Verhexter Ewald

      „Nein nein, das dürft ihr nicht!“, schrie ich meine Eltern an. Keine Minute zuvor hatten sie mir offenbart, dass die große, kräftige Trauerweide im Garten gefällt werden sollte, um einem Pool Platz zu machen.

      „Ihr könnt Ewald nicht einfach umbringen! Er lebt!“, tobte ich und rannte heulend in mein Zimmer. Ich warf mich auf mein flauschiges Kissen und vergrub mein Gesicht darin. Der Bezug nahm meine salzigen Tränen rasch auf, doch immer wieder bebte ich unter einem neuen Anflug von Fassungslosigkeit.

      Ein Schatten huschte an meinem Fenster vorüber. Mit verquollenen Augen starrte ich hinüber, erkannte aber durch den dichten Vorhang nicht, was los war. Zögernd lief ich zum Fenster und zog den Vorhang beiseite. Ein kräftiger Ast mit dichtem, grünem Laub wippte vor dem Fenster umher. Ewald wusste einfach immer, wie es mir geht, selbst wenn ich es ihm nicht gesagt hatte. Lächelnd öffnete ich das Fenster und kletterte hinaus in den Garten. Mit wenigen Schritten hatte ich das hohe Gras überquert und schmiegte mich an den breiten Stamm der Trauerweide.

      „Ach Ewald“, schluchzte ich.

      Ein paar kleinere und dünnere Äste schlangen sich um meinen Körper. Das Laub daran kitzelte meine Arme und den Nacken.

      „Was ist denn los Clarissa?“, brummte eine dunkle, kratzige Stimme.

      Seufzend löste ich mich von der Rinde und schaute in zwei riesige Augen. Ein kleiner, abgebrochener Ast deutete die Nase an und eine Art Wulst formte die breiten, dicken Lippen.

      Seit unserem Einzug vor sechs Monaten hatte diese Trauerweide eine magische Anziehungskraft auf mich. Stundenlang ließ ich mich von ihr auf der Schaukel wiegen oder vertraute ihr meine Geheimnisse an. Nach kurzer Zeit offenbarte mir Ewald sein wahres Gesicht. Bevor wir das Haus kauften und einzogen, wohnte eine Hexe hier. Sie hatte Ewald als kleinen Pflänzling aus dem Astorpark gerettet, als der Park neu angelegt werden sollte, um ein Blickfang in Walldorfs Stadtmitte zu werden. Damit er nie wieder jemandem im Weg sein konnte, pflanzte die Hexe ihn in die Mitte des Gartens, genau an die Stelle, an welcher nun ein Pool gebaut werden sollte.

      „Ewald, meine Eltern wollen dich fällen lassen“, wimmerte ich.

      Ewalds Augen verkleinerten sich. Es war nicht einfach zu erkennen, ob er nun wütend oder traurig war. „Ich habe so was befürchtet“, seufzte er. Mit einem kleinen Ast wischte er mir meine Tränen weg. Ein weiterer Ast hatte sich fest um meinen Arm geschlängelt.

      „Ich werde das nicht zulassen“, sagte ich bestimmt.

      Ewald kicherte.

      „Was willst du schon ausrichten, Kindchen?“, fragte er. Aber eine Antwort wartete er nicht ab. „Ich bin schon sehr alt. Meine Zeit ist wohl einfach gekommen“, murmelte er. Seine Äste hingen tiefer als sonst. Er war ganz sicher traurig.

      „Sag so was nicht. Ich finde einen Weg“, knurrte ich. Mit schnellen Schritten lief ich zurück zum Fenster und kletterte hinein. Ich durfte keine Zeit verlieren.

      Am nächsten Morgen schnappte ich mein Rad und radelte in das drei Kilometer entfernte Wiesloch. Die alte Hexe befand sich dort in der Psychiatrie – wer glaubte schon an echte Hexen – mit einer Notlüge hatte ich es geschafft, sie besuchen zu dürfen.

      „Ewald? Wie geht es ihm?“, fragte die alte Dame neugierig. Sie hatte schneeweißes Haar und eine kleine, runde Brille saß auf ihrer langen Nase. Ihre Augen waren schmal und das Gesicht übersät von Falten. Sie trug einen grünen Bademantel und weiße Stoffpantoffeln. Ihre Stimme war hell, aber kratzte ein wenig.

      „Das ist das Problem, meine Eltern wollen ihn fällen“, erzählte ich. Nur mit Mühe konnte ich meine Tränen unterdrücken.

      „Ist er krank? Ich habe ihn stets gepflegt“, stutzte sie.

      „Nein, meine Eltern wollen einen Pool bauen und Ewald steht im Weg“, erklärte ich. Die Aussicht, wegen einer Lappalie meinen geliebten Freund zu verlieren, schmerzte unerträglich.

      „Vielleicht habe ich etwas für dich“, grübelte die Dame und bat mich, auf sie zu warten. Danach verschwand sie im Wohnheim.

      Minuten vergingen und ich saß nervös auf der kleinen Parkbank. Mit meinen Füßen zeichnete ich kleine Kreise in den bunten Kies. Die Dame hatte wirklich etwas Hexenhaftes an sich, aber auf eine angenehme und knuffige Art. „Clarissa?“, sagte eine Stimme hinter mir.

      Erschrocken wirbelte ich herum. Damit hatte ich nicht gerechnet. Die Dame hatte sich wie eine Maus angeschlichen.

      „Verzeih mir, ich wollte dich nicht erschrecken“, beschwichtigte sie. Mein Herz wummerte wild in meiner Brust. „Glaubst du an Magie?“, fragte die Hexe, während sie neben mir Platz nahm.

      „Ich weiß nicht“, antwortete ich und dachte an all die Bücher, die ich schon gelesen hatte. An Hexen mit schwarzen Katzen, faule Zauber, böse Zauber. Ich schauderte. Dennoch war Hexerei meine letzte Hoffnung.

      Die alte Dame zog ein samtiges Säckchen aus ihrer Tasche. Im Schein der Sonne funkelte der Stoff.

      „Was ist das?“, fragte ich neugierig.

      „Echsendung, gemahlene Früchte und Kräuter“, kicherte die Hexe. Mein Magen drehte sich. Echsendung klang scheußlich.

      „Ewald soll das hier