nun den Anspruch beider Teile für begründet ansehen und sagen, daß jeder auf Grund des Freundschaftsverhältnisses dem anderen mehr leisten muß; aber der Gegenstand dieses Mehr kann nicht derselbe sein, vielmehr gebührt dem überlegenen Teil mehr Ehre, dem bedürftigen mehr Gewinn. Denn der Lohn der Tugend und Wohltat ist die Ehre; was aber der Bedürftigkeit Hülfe bringt, ist der Gewinn. Daß dem so ist, zeigt sich auch im staatlichen Leben: wer der Gemeinschaft nichts gutes leistet, genießt auch keine Ehre. Denn was das Gemeinwesen gewähren kann, wird dem zuteil, der um das Gemeinwesen sich verdient macht, das aber ist die Ehre. Es geht nämlich nicht an, daß einer vom Gemeinwesen Geldvorteil und Ehre zugleich erhält, und ebenso erträgt es niemand, in allen Stücken zu kurz zu kommen. Wer darum bei dem Gelde zu kurz gekommen ist, wird durch Ehre entschädigt, und wer gern Geschenke nimmt, erhält Geld. Denn das Verhältnismäßige stellt den Ausgleich her und erhält die Freundschaft, wie wir gesagt haben. In dieser Weise müssen also auch die Beziehungen unter ungleichen Freunden geregelt werden, und wer aus der Freundschaft materielle Vorteile zieht oder durch sie in der Tugend und Tüchtigkeit gefördert wird, der muß es dem anderen mit Ehre vergelten, so viel als er kann. Denn die Freundschaft verlangt nur das Mögliche, nicht das Gebührende. Letzteres ist auch gar nicht in allen Verhältnissen möglich, wie z. B. bei der Ehre, die den Göttern zu erweisen ist und den Eltern; da kann niemand nach Würden vergelten, und wer ihnen gegenüber nur nach Kräften seine Schuldigkeit tut, gilt für rechtschaffen.
Darum muß es auch als unstatthaft gelten, daß ein Sohn sich von seinem Vater lossagt, wohl aber darf ein Vater sich von seinem Sohne lossagen. Denn wer schuldet, muß bezahlen, der Sohn aber kann mit allem, was er tut, die empfangenen Wohltaten nicht nach Würden vergelten, und so bleibt er immer in der Schuld. Dem Schuldherrn dagegen steht es frei, den Schuldner aus der Pflicht zu entlassen, mithin auch dem Vater. Gleichzeitig kommt hier in betracht, daß vielleicht kein Vater sich von seinem Sohne trennt, wenn derselbe nicht ein ausgesucht lasterhafter Mensch ist. Denn abgesehen von der natürlichen Liebe und Freundschaft, ist es den Menschen angetan, eine Hilfe nicht von sich zu stoßen. Wenn der Sohn dagegen nichtswürdig ist, so erscheint ihm die seinem Vater zu leistende Hilfe als etwas, dem man sich entziehen oder wofür man sich doch nicht besonders erwärmen muß. Denn Gutes empfangen wollen alle, aber gutes zu tun hütet man sich, weil es nichts einbringt.
So viel über diese Dinge.
Neuntes Buch.
Erstes Kapitel240.
In allen ungleichartigen Freundschaften stellt wie gesagt das Verhältnißmäßige den Ausgleich her und erhält die Freundschaft; so empfängt auch im bürgerlichen Verkehr der Schuster für die Schuhe eine entsprechende Gegenleistung, desgleichen der Weber und die sonstigen Handwerker241. (1164a) Hier ist nun freilich ein gemeinsames Maß an dem Gelde gegeben, und so wird alles auf dieses zurückgeführt und danach bemessen242. Dagegen in Liebesverhältnissen beklagt sich mancher Liebhaber, der vielleicht gar nichts Liebenswürdiges an sich hat, daß er trotz seiner übergroßen Liebe keine Gegenliebe finde, und mancher Liebling beklagt sich, daß der andere ihm zuerst alles versprochen habe und nun nichts halte. Dies kommt da vor, wo der eine der Lust, der andere des Nutzens wegen Freundschaft hält, und beide finden, daß sie ihre Absicht nicht erreichen. Denn wenn die Freundschaft darauf beruht, so muß es zur Trennung kommen, sobald ihnen das nicht zuteil wird, weswegen sie sich liebten. Ihre Neigung galt ja nicht ihnen selbst, sondern dem, was sie besaßen, und was nicht von Dauer war, daher auch ihre Freundschaft die gleiche Beschaffenheit haben mußte. Dagegen die Freundschaft, die auf dem Charakter beruht, die an sich Freundschaft ist, hat wie gesagt, festen Bestand.
Indessen kommt es auch zu Zerwürfnissen, wenn einem der Freunde statt dessen, was er begehrt, etwas anderes zuteil wird. Denn erlangt er nicht was er wünscht, so ist es, wie wenn er gar nichts erhielte. So ging es jenem Citherspieler, dem jemand versprochen hatte, je besser er spiele, desto höher werde seine Belohnung sein: als er am anderen Tage um Erfüllung des Versprechens anhielt, antwortete ihm jener, er habe Lust für Lust bezahlt. Wenn hier jeder von beiden dies gewollt hätte, so wäre die Sache in Ordnung gewesen; war es aber dem einen um Unterhaltung, dem anderen um Gewinn zu tun und hat jener seinen Zweck erreicht, dieser ihn verfehlt, so sieht es mit der Beobachtung der getroffenen Übereinkunft übel aus243. Denn man hat doch seine Absicht auf das gerichtet, was man gerade nötig hat, und das wird denn auch das Motiv zu jener Leistung gewesen sein, deren wir Meldung getan.
Wer von beiden hat aber den Lohn festzusetzen, derjenige, der zuerst gibt, oder derjenige, der zuerst empfängt? Wer zuerst gibt, scheint damit gewiß die Vergütung dem anderen anheimzustellen. So soll es auch Protagoras244 gemacht haben: wenn er irgend etwas gelehrt hatte, ließ er den Schüler sein erlangtes Wissen abschätzen und nahm nach dessen Schätzung seinen Lohn. In solchen Fällen aber sagt vielen mehr das Wort zu: »dem Manne sein Lohn«245. Die aber im voraus sich bezahlen lassen und hernach, weil sie zu viel versprochen haben, ihr Wort nicht halten können, verfallen gerechtem Tadel, weil sie nicht dasjenige leisten, wofür sie sich anheischig gemacht. So sind vielleicht die Sophisten zu handeln gezwungen, weil ihnen niemand für das, was sie wissen, Geld geben würde. Diejenigen also, die das nicht leisten, wofür sie bezahlt worden sind, unterliegen billig dem Tadel.
Wo aber keine Verständigung über die Dienstleistung stattfindet, da kommt es, wie schon bemerkt worden ist, in dem Falle, daß der eine Teil dem anderen in ganz uneigennütziger Absicht dient, zu keinerlei Klagen. Eine solche Freundschaft ist nämlich die auf Tugend beruhende. (1164b) Hier muß die Gegenleistung nach der Absicht des anderen Teils bemessen werden; denn so geziemt es sich für einen Freund und für die Tugend. Dasselbe gilt für das Verhältnis zwischen einem Lehrer der Philosophie und seinen Schülern. Der gebührende Dank läßt sich da nicht in Geld abschätzen, und einen würdigen Lohn gibt es da nicht, sondern es wird, wie bei den Göttern und Eltern genügen, wenn der Einzelne tut was er kann. Ist aber der Dienst nicht von dieser Art, sondern auf Gegendienst berechnet, so ist es wohl das beste, wenn die Gegenleistung in einer Weise erfolgt, die beide Teile für angemessen halten. Sollte dies aber nicht gehen, so muß es nicht blos als notwendig, sondern auch als gerecht erscheinen, daß der Empfänger des Dienstes seinen Wert festsetzt. Denn wenn er dem anderen soviel leistet, als er Nutzen von ihm gezogen, oder als er für den Genuß gegeben hätte, der ihm durch ihn zu teil geworden, so hat er ihm den gebührenden Ersatz geleistet. So geht es ja offenbar auch bei Kauf und Verkauf zu. Mancherorts bestehen aber auch Gesetze, daß kein Rechtshandel über ein freies Verhältnis geführt werden darf. Hierbei ist die Erwägung maßgebend, daß man mit einem Mann, dem man sein Vertrauen schenkte, sich auch ebenso auseinander setzen müsse, wie man sich mit ihm eingelassen habe. Denn es erscheint den Gesetzgebern als billig, daß derjenige eine Sache abschätzt, dem sie von vornherein im Vertrauen zugewendet wurde, nicht der andere, der ihm die Sache überließ. Schätzen doch meistenteils wer eine Sache hat und wer sie haben möchte, dieselbe nicht gleich, sofern jeder sein Eigentum und das, was er hergibt, hoch bewertet. Und dennoch findet der Austausch zu dem Preis statt, den der Empfänger bestimmt. – Man muß aber den Wert einer Sache nicht danach abmessen, wie man sie schätzt, wenn man sie hat, sondern danach, wie man sie schätzte, bevor man sie hatte.
Zweites Kapitel.
Schwierig