gibt, als er ihnen innerhalb ihrer Gattung und Art bevorzugte Objekte zuweist, so daß das Charakteristische der verschiedenartigen Tugenden bei ihnen besonders hervortritt. Die Klugheit ist ihm nicht die Lehrerin jeder praktischen Erkenntnis ohne Unterschied, sondern sie gibt für jeden praktischen Fall die rechte Vorschrift; die Gerechtigkeit beobachtet nicht jede Gleichheit, sondern jene wichtigere, die anderen gegenüber beobachtet wird; die Mäßigkeit hat es nicht mit jeder Lust, sondern mit der des Gefühls zu tun und der Starkmut nicht mit Unlust überhaupt, sondern mit jener Unlust und Angst insbesondere, die Todesschrecken uns einflößen können. So verhalten sich denn zu diesen vier Haupttugenden die andern Tugenden nicht wie die Arten zur Gattung, sondern wie das Sekundäre zum Primären. Nach Thomas von Aquin, Kommentar zur Ethik, II. Buch, 8. Lektion.
107.Hier treten drei Momente hervor, die die Gerechtigkeit von den bisher behandelten Tugenden unterscheiden: 1) sie hat es mit πράξεις, Handlungen, nicht mit πάθη, Affekten, zu tun; 2) sie ist eine Mitte der Sachen und Werte, wie im Verfolg erklärt wird, nicht der Gemütsverfassung; 3) sie ist keine Mitte zwischen zwei Lastern, wie ebenfalls weiter unten deutlich werden soll.
108.Dasselbe Verfahren, einmal indem das Wahre nur allgemein und ohne den Anspruch auf absolute Gültigkeit dargelegt wird, dann, weil von dem ότι, nicht von dem διότι ausgegangen wird. Vgl. I, Kap. 2, Anm. 16.
109.Das Gesicht sieht das Schwarze wie das Weiße, und die Medizin ist Wissenschaft wie von der Gesundheit, so auch von der Krankheit.
110.Das Recht, το δίκαιον, eigentlich das Gerechte. Ein eigenes Wort für unser deutsches Recht, wie das lateinische ius, hat Aristoteles nicht.
111.Homonymie, Gleichheit des Wortes bei Verschiedenheit der Bedeutung, im Gegensatz zu Synonymie, Übereinstimmung verschiedener Worte in der Bedeutung. Ein Beispiel fürs erste ist κλείς, Hausschlüssel und Schlüsselbein, fürs zweite σπουδαι̃ος und επιεικής, die beide tugendhaft bedeuten.
112.Es gibt dreierlei Ungerechte und zweierlei Gerechte; Ungerechte: der παράνομος, der πλεονέκτης, der für sich zu viel (Gutes) haben will, und der άνισος, der für sich zu wenig vom Unliebsamen haben will; Gerechte: der νόμιμος und der ίσος, der in einem dem πλεονέκτης und dem [αν]ισος gegenübersteht. Der Satz mit »mithin« ist eine Anwendung der Bemerkung im vorigen Kapitel, Absatz 2, daß der Habitus es je mit einem Objekt zu tun hat. Also wird dieses aus ihm abgenommen.
113.Freund der Ungleichheit, άνισος, wörtlich der Ungleiche, kann beides bedeuten, einen der zu viel, und einen der zu wenig haben will. Da nun für das erste ein eigenes Wort vorhanden ist, πλεονέκτης, so empfiehlt es sich, das άνισος dem, der zu wenig haben will, vorzubehalten.
114.Das καί heißt nicht auch, sondern sowohl, und ihm entspricht das καί vor έργα του σώφρονος. Dieser Absatz erklärt nämlich, was das Gesetz vorschreibt, wie der vorige, wozu es das tut. Dem μὲν im letzten Satze des vorigen Absatzes: ένα μὲν τρόπον, entspricht nicht das δὲ im ersten des gegenwärtigen Absatzes, sondern nachdem es im folgenden, 1129b 25 und 1130a 8: αύτη μὲν ου̃ν η δικαιοσύνη, zweimal wiederholt worden, das δὲ am Anfang des 4. Kap.
115.»Der Vergleich rührt von Euripides her, der in der Tragödie »Melanippe« von dem goldigen Antlitz der Gerechtigkeit sprach und jenen Vergleich gebrauchte,« Lasson.
116.Ursprünglich ein Vers des Theognis.
117.Bias von Priene bei Milet, einer der sieben Weisen Griechenlands.
118.Also nicht nach der Gerechtigkeit im weiteren Sinne oder der Legalität, sondern nach der Gerechtigkeit im engeren Sinne als einer der vier Haupttugenden. Daß es eine solche partikuläre Gerechtigkeit gibt, zeigt sich z. B. darin, daß man fehlen kann, ohne gegen die Gleichheit zu fehlen, etwa durch Feigheit, Zorn, Unbarmherzigkeit.
119.Vgl. 2. Kap., letzten Absatz.
120.Die Hinweise und Bemerkungen zu dem »weiter unten, ύστερον,« bei Susemihl, Appendix 279 sind vielleicht nicht ganz zutreffend. Im Schlußkapitel der Ethik kommt eine Aussprache über die Erziehung als Recht und Pflicht des Staats vor und erfolgt somit auch eine Beantwortung der Frage nach der Stellung der Pädagogik im System der Wissenschaften. Freilich eine eigentliche Erledigung dieser wichtigen Frage ist damit nicht gegeben. Aristoteles scheint aber an dieses Problem bei dem ύστερον zunächst weniger gedacht zu haben, sondern eher an das im Schlußsatz des Absatzes angedeutete. Dieses wird aber in der Politik III, 4 erörtert. Dort hören wir, daß es nicht in jedem Staate schlechthin dasselbe ist, ein guter Mensch und ein guter Bürger zu sein, sondern nur in dem Staate dasselbe wäre, der die beste Verfassung hätte. Daraus scheint freilich hervorzugehen, daß nur in einer Art Idealstaat die Erziehung schlechthin Staatssache wäre, wobei wieder der Fall, daß eine von Gott gesetzte Erziehungsanstalt, die Kirche, bestände, außer betracht bliebe.
121.Hier wird gezeigt, daß es sich bei der distributiven Gerechtigkeit um proportionale Gleichheit handelt. Die Dinge, die verteilt werden, müssen sich verhalten wie die Personen, unter die sie verteilt werden; der dreimal Verdientere und Würdigere bekommt dreimal mehr, sonst bekommt er nicht Gleiches. Von den vier bei jeder Proportion erforderlichen Gliedern werden zwei aus der Sache und zwei von den beteiligten Personen abgeleitet. Die Zweiheit des Zuviel und des Zuwenig bleibt außer betracht. Denn die Gerechtigkeit findet sich nicht darin, sondern die Ungerechtigkeit. – Der Schlußsatz des Absatzes ist so gemeint: die Demokraten sagen: gleiches Recht für alle, weil alle die gleichen Freiheiten genießen; die Oligarchen und die Aristokraten: die größeren Rechte für uns, weil wir mächtiger oder tüchtiger sind.
122.Wo Zahl da ist auch Verhältnis. Zahl ist aber überall, wo Quantität ist, stetige oder diskrete Größe.
123.Das Beispiel zeigt, was mit kontinuierlicher und diskreter Proportionalität gemeint ist: Gleichheit zweier Verhältnisse, die in einem Gliede übereinstimmen, ist kontinuierliche, sonst diskrete Proportionalität. Ein Beispiel fürs erste: 8:4 = 4:2; fürs zweite: 6:3 = 10:5.
124.a und b seien etwa 2 und 1 Mark, c und d Kastor und Pollux; jener habe 2, dieser 1 Tag gearbeitet. Der gerechte Lohn des einen ist also 2 M., der des anderen 1 M. Also auch umgekehrt: wie 2 M. zu Kastor, so 1 M. zu Pollux, d. h. jedes ist je gerechter Lohn. Dasselbe Verhältnis hat das Ganze zum Ganzen: a + b verhält sich zu c + d, wie a zu c oder wie b zu d, oder der Lohn von 3 M. ist gerechter Lohn für Kastor und Pollux zusammen.