Kaja Paulan

Aufregung im Advent - Wo ist Herr Polymorf?


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die Feuerwehr zu rufen. Ich sage einfach meinem Nachbarn Großgewachsen und seiner Frau Bohnenstange Bescheid, und die holen sie wieder runter. Und wenn Großgewachsen mal eine Rohrverstopfung hat, dann holt er mich.“ Herr Polymorf machte eine kurze Pause. „Das ist sehr unappetitlich. Manchmal.“

      „Was gibt es noch im Land Tamtaram?“, fragte Paul.

      „Es gibt Fischmenschen, die im Tamtaramer See wohnen, Schlaumeier und Telepathen, Schleuderer, die sich überall Abschussrampen bauen, von denen aus sie sich kilometerweit durch die Luft schleudern lassen und viele andere seltsame Geschöpfe. Wenn ich sie alle aufzählen wollte, würde ich Monate brauchen. Das Eigentümlichste an Tamtaram aber ist, dass es sich ständig verändert. Daran sind die Wandelkobolde schuld, kleine, boshafte Wichtel, die von Ort zu Ort ziehen, an allem und jedem etwas auszusetzen haben und es klammheimlich verwandeln. Transformieren nennen sie das. Ich bin schon mal abends in meinem Haus eingeschlafen, da stand es noch ganz normal an seinem Platz. Das weiß ich genau, denn ich laufe abends immer zwei Runden um mein Haus herum und vergewissere mich, dass alles seine Ordnung hat. Man weiß ja nie. Und, was soll ich sagen, als ich aufwachte, rollte mein Haus als Kugel durch die ganze Stadt. Und eigentlich ist es mir nur aufgefallen, weil ich aus dem Bett gefallen und durch die ganze Wohnung gerollt bin.“

      Anja und Paul lachten.

      „Amüsiert euch nur weiter“, schimpfte Herr Polymorf. „Das war vielleicht ein verdrehter Tag. Die Wandelkobolde hatten alle Gebäude in der Stadt transformiert. Ich war ja schon angeschmiert, aber andere Bewohner hatte es noch viel schlimmer getroffen. Einige Häuser hatten sie in Springbälle verwandelt, die hopsten nun den ganzen Tag munter durch die Gegend und verursachten Brechreiz bei ihren Eigentümern, andere hatten Wände wie Wackelpudding bekommen und schwankten hin und her. Wieder andere veränderten alle fünf Minuten die Form, ihre Besitzer mussten um ihr Leben fürchten. Zum Glück zogen die Kobolde am nächsten Tag weiter und alles war wieder beim Alten. Doch die Beulen und blauen Flecke der Stadtbewohner waren noch tagelang zu sehen. Manchmal verändern wir unsere Stadt aber auch selbst. Dann kommen die Farbenkleckser und spritzen alle Häuser bunt an. Wir müssen nur die Fensterläden dicht machen, sonst können wir am nächsten Tag nicht mehr hinausschauen.“

      „Wie heißt eure Stadt?“, fragte Anja.

      Doch da erklang aus der Puppenstube ein lautes Schnarchen. Herr Polymorf war eingeschlafen. Die Kinder weckten ihn nicht. Sie fanden, er hatte sich heute Mühe gegeben.

3. Dezember

      „Meine Heimatstadt heißt Planlos“, erzählte Herr Polymorf am nächsten Tag. Es war der 3. Dezember.

      „Ist sie die Hauptstadt von Tamtaram?“, fragte Anja.

      „Weiß ich gar nicht“, Herr Polymorf schaute verdutzt. „Als ich wegflog, war sie es noch. Aber jetzt? Jede Stadt ist mal dran.“

      „Ich möchte so gern in Planlos wohnen“, seufzte Paul. „Da ist bestimmt immer etwas los.“

      „Ja, das muss toll sein“, pflichtete Anja ihm bei.

      „Papperlapapp“, unterbrach Herr Polymorf die Kinder schroff in ihrer Schwärmerei. Dann besann er sich und schlug einen versöhnlichen Ton an. „Ihr wisst es sicher nicht besser, aber aus meiner langjährigen Erfahrung heraus versichere ich euch: Es ist wahrlich nicht toll, in Planlos zu wohnen, im Gegenteil, es ist eine Schikane. Wie oft bin ich morgens aufgewacht und mein Haus befand sich irgendwo im Wald, nur weil es einem Nachtschwärmer bei seinem nächtlichen Ausflug im Weg war. Einmal stand es sogar mitten auf der Autobahn und ich wurde morgens um vier Uhr wach, weil ein Truck in mein Schlafzimmer fuhr. Und auf nichts kann man sich verlassen in Planlos. Wenn man morgens zum Bäcker gehen und seine Brötchen holen will, steht plötzlich an der Ladentür ‚Nachtlokal‘. In der Zeitung liest man morgens ‚Heute Abend Opernpremiere im Theater‘ und wenn man sich diese Premiere anschauen will, ist gar kein Theater mehr da, weil alle Sänger und Schauspieler auf Wanderschaft gegangen sind. Ja, nicht einmal die Toiletten bleiben an ihrem Platz. Könnt ihr euch das vorstellen? Man hat ein ganz dringendes Bedürfnis und nirgendwo gibt es eine Toilette? Diese Stadt ist der reine Horror für schwache Nerven.“

      „Aha!“ Paul nickte verständnisvoll. „Darum bist du also zu uns gekommen.“

      „Ich bin nicht freiwillig zu euch gekommen!“, rief Herr Polymorf. „Ich wurde strafversetzt. Ich mag Kinder nicht so gern, mit Ausnahme von euch natürlich. Und wenn ich gewusst hätte, dass ich Kinder betreuen muss, wäre ich doch lieber in Planlos geblieben.“

      Anja und Paul sahen sich lange an, beschlossen aber, Herrn Polymorfs Einwurf zu ignorieren.

      „Warum bist du also hier?“, fragte Anja schließlich.

      „Ich hatte mich um einen Posten in der Weihnachtsstadt beworben“, antwortete Polymorf verlegen.

      „Die Weihnachtsstadt liegt in Tamtaram?“, riefen Paul und Anja wie aus einem Mund. „Wir dachten, die liegt am Nordpol.“

      „Ihr müsst nicht alles glauben, was man euch weismachen will“, erwiderte Herr Polymorf. „Die Weihnachtsstadt! Am Nordpol? So einen Blödsinn hab ich ja noch nie gehört. Ihr denkt wohl auch, dass der Weihnachtsmann einen langen weißen Bart hat und einen roten Mantel trägt und die unartigen Kinder mit einer Rute bedroht.“ Er schaute die Kinder grimmig an. Paul und Anja schauten mit großen Augen zurück.

      „Das stimmt allerdings“, sagte Herr Polymorf. Als die Kinder weiterhin schwiegen, meinte er schnell: „Das war ein Scherz, nur ein Scherz.“

      „Merkwürdige Scherze machst du“, sagte Paul.

      Herr Polymorf rieb sich betreten die Hände und fuhr fort.

      „Ich hatte das Leben in Planlos vollständig satt, nachdem ich eines Tages meinen schönen Balkon vermisste und feststellen musste, dass ein Blumenfreund ihn einfach mitgenommen hatte, weil er meine Geranien so herrlich fand und sie nicht aus ihrer alten Erde entfernen wollte. Also dachte ich, beim Weihnachtsmann hätte ich ein ruhigeres Leben. Einmal im Jahr wäre für vier Wochen Hochsaison und danach könnte ich Schneemänner bauen, Schlittenfahren, Eislaufen, Winterwanderungen unternehmen, alles, was das Herz begehrt. Also bewarb ich mich um einen Posten als Weihnachtsbeschäftigter. Der Weihnachtsmann selbst war hocherfreut über meine Bewerbung, denn bei ihm herrscht ständig Personalmangel. Mittlerweile weiß ich auch, wieso. Doch damals war ich ahnungslos. Ich sollte zunächst ein Praktikum machen, zeigen, was ich konnte. Froh und munter packte ich meine Sachen und bemerkte in meinem Eifer nicht, dass ich einen Wirrling einsteckte.“

      „Einen Wirrling?“

      Herr Polymorf erklärte geduldig: „Wirrlinge sind völlig nutzlose und überflüssige Dinge. Sie sehen aus wie zusammengeknüllte Taschentücher mit Augen und haben nur eine einzige Funktion: Alles durcheinander zu bringen. Um also mit meiner Geschichte fortzufahren … ich packte meine Sachen samt Wirrling ein und machte einen Abflug.“

      Paul begann, zu kichern. Anja tat es ihm nach.

      „Ein Wirrling!“, prusteten beide. „Was für ein komischer Name.“

      Jetzt platzte Herr Polymorph der Kragen. „Wisst ihr was?“, knurrte er. „Ihr seid mir viel zu albern. Und darum erzähle ich heute gar nichts mehr. Außerdem habe ich Halsschmerzen und einen trockenen Mund. Man bekommt hier keinen Eistee, muss in einem zugigen, viel zu hellen Zimmer schlafen und dann wird man auch noch beim Geschichtenerzählen ständig unterbrochen. Es ist nicht zum Aushalten.“

      Beleidigt kroch er in sein Bett, zog sich die Decke bis über beide Ohren und kam trotz aller Bitten der Kinder nicht wieder hinaus.

      „Ich glaube, es fällt ihm immer noch schwer, nett zu sein“, vermutete Anja. „Wollen wir ihn wirklich hier behalten?“

      „Vielleicht können wir ihn erziehen“, antwortete Paul. „Was er erzählt, klingt jedenfalls richtig spannend.“

      „Und er hat sich zumindest eine ganze Weile richtig Mühe gegeben.“

4. Dezember