Beate Dolling

Ab in die Rakete


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Toiletten und komische Kammern gibt, bei denen man nicht weiß, was sich in ihnen verbirgt. Nicht, dass er nicht nachts schon öfter allein geblieben ist, aber zu Hause haben sie ein Zusatzschloss an der Wohnungstür, das Mama abends zweimal abschließt. Hier, im Besucherzimmer hat er überhaupt keinen Schlüssel, mit dem er seine Tür abschließen könnte. Nicht, dass er Schiss vor Räubern hätte; er glaubt auch nicht mehr an Monster unterm Bett, aber seitdem er dieses krasse Video gesehen hat, das heimlich auf dem Schulhof weitergereicht wurde, in dem Untote ein Raumschiff entern und die gesamte Crew bei lebendigem Leib zerfetzen, kriegt er diese Space-Zombies nicht mehr aus dem Kopf. Sie tauchen einfach auf, besonders wenn er allein und an fremden Orten ist, und vor allem im Dunkeln. Sein Hals schnürt sich plötzlich zu. Er bekommt keinen Bissen mehr runter.

      »Na, was grübelst du?«, fragt Karl. »Lernst du lateinische Vokabeln für die menschlichen Knochen? Sollen ja über 200 sein. Kennst du die alle schon?«

      »Nee, ich weiß nur, dass das Schienbein Tibia heißt«, sagt Luis.

      »Und das künstliche Hüftgelenk Endoprothese«, sagt Karl. »Ich hab nämlich schon zwei. Genau wie Benno.«

      »Wer ist denn Benno?«

      »Unser Bademeister«, sagt Karl und prostet Herrn Dollmann zu, der zwei Tische weiter sitzt, fröhlich vor sich hin spachtelt und nebenbei mit der Musiklehrerin schäkert. Ihm gegenüber sitzt Frau Weißbrot mit der schicken Dame, die mit den dick aufgemalten Augenbrauen, und daneben Frau Sperling. Sie schaut der schusseligen Küchenhilfe mit wackelndem Kopf hinterher. Frau Weißbrot starrt nur auf ihren Teller. Luis erzählt Karl, dass sie heute nach der Polizei gerufen hat.

      »Sie behauptet, man habe ihre Perlenkette gestohlen.«

      Karl nickt. »Hab ich gehört. Ich sags dir, hier ist immer was los!«

      Luis hält sein neues Glas Apfelsaft fest, das ihm das Küchenmädchen, ohne einen Ton zu sagen, auf den Tisch gestellt hat.

      »Aber ist die Frau nicht …« – Wie war noch mal das richtige Wort für plemplem? – »… dement?«

      »Ja eben«, sagt Karl und schaut über ihn hinweg. Sieht aus, als grübelte er. Luis hört ihn dabei laut atmen. Ob Karl auch dement ist?

      Karl kommt zurück mit seinem Blick und sieht ihn nachdenklich an. »Wenn ich so recht überlege, vermissen in letzter Zeit noch mehr Leute was.«

      »Vielleicht gibt es einen Dieb im Haus«, platzt es aus Luis heraus. Karl guckt sich kurz um, beugt sich dann über den Tisch und sagt leise: »Wollen wir das mal unter die Lupe nehmen?«

      »Wie meinst du das?«

      »Na, wir zwei halten mal die Ohren offen.«

      »Du und ich?« Luis schaut auf Karls Ohren.

      »Ist ja sonst keiner hier, mit dem man Pferde stehlen könnte.«

      »Was denn für Pferde?«, fragt Luis.

      »Ach, das sagt man so.« Karls Augen funkeln ihn herausfordernd an. »Du bist doch klug, gewieft und mutig.«

      »Öh.« Luis weiß gar nicht, was er sagen soll. – Klug, gewieft und mutig? Das hört sich ganz schön gut an. Er lächelt schüchtern.

      »Na, bist du dabei?« Karl sieht nun gar nicht mehr wie ein Senior im Altenheim aus, eher wie ein Agent mit einem Auftrag.

      In Luis’ Kopf schwirrt es. Aber besser ein Schwirren im Kopf als Muffensausen im Magen wegen der Space-Zombies, die bestimmt schon im Zimmer oben auf ihn lauern.

      »Okay«, sagt Luis. »Eigentlich war ich auch schon mal Detektiv.«

      »Dacht ichs mir doch«, sagt Karl und zieht eine Augenbraue hoch, genauso cool wie Sean Connery. Luis streckt seine Hand aus für ein »High Five«. Diesmal braucht Karl ein Weilchen, bis er kapiert, was Luis will, schlägt endlich ein, aber trifft die Hand nicht ganz. Der Apfelsaft kippt wieder um – erneut schütteln die Damen ringsum die Köpfe und eine genervte Küchenhilfe patscht ihren Lappen voll in die Apfelsaftpfütze.

      KAPITEL 5,

      in dem Luis technische Probleme löst

      und es nachts poltern hört

      Luis befindet sich im Nasenkonus der Rakete. Es ruckelt und schuckelt. Unter ihm spuckt das erste Triebwerk einen Feuerstrahl aus und erzeugt einen gewaltigen Schub nach oben. Er wird in die Lehne gepresst. Dann ruckelt es noch einmal und sein Spaceship bleibt stehen. Nanu? Luis drückt auf die Fernbedienung. Sie reagiert nicht mehr. Mist! Die Batterien sind leer, der Space-Sessel lässt sich nicht mehr bewegen. Erst jetzt bemerkt Luis, dass es beinahe dunkel ist im Zimmer, nur der Schein einer Laterne draußen vor seinem Fenster erhellt einen Teil der Zimmerdecke. Aus der Ferne der Ruf eines Käuzchens. Oder ist es der Schrei eines Untoten? Mit einem Senkrechtsatz springt Luis auf und sucht nach einem Lichtschalter. Aus dem Augenwinkel sieht er bereits, wie ein Krakenwesen lange Arme nach ihm ausstreckt. Er haut auf den Schalter. Der Krake entpuppt sich bei Licht als eine Deckenlampe mit langen Holzarmen. Unter so einem Teil kann er unmöglich schlafen! Luis versucht, das wuchtige Holzbett weiter an die Wand zu schieben, aber es knarrt nur, als würde es ihn auslachen. Sein Herz rast. Es nützt ihm gerade gar nichts, klug, gewieft und mutig zu sein. Er fährt herum, hat ihm da nicht gerade jemand mit fauligen Fingern auf die Schulter getippt? Mit einem Satz ist er an der Tür und reißt sie auf.

      »Julia?«, ruft er in den Flur und kneift die Augen zusammen. Auf dem gleißend hell beleuchteten Gang ist niemand, im Schwesternzimmer auch nicht, nur die Tür von dieser komischen Kammer steht halb offen, klaffend, wie ein dunkles Maul.

      »Julia?«

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      Plötzlich hört er ein Knatschen. Gummi auf Linoleum. Crocs im Anmarsch, die Rettung! Er atmet auf. Mariola biegt um die Ecke. Was trägt sie da vor sich her? Eine Bratpfanne?

      »Hey, Luis, was machst du denn hier?«

      Luis kann gar nicht so schnell antworten. Er war ja gerade noch im All, ist nur knapp Kraken und Zombies entkommen und nun auf dieser Kommandostation gelandet, wo es blaue Kittelwesen mit quietschenden Schuhen gibt.

      »Meine Batterien sind leer«, sagt er.

      »Was denn für Batterien?«, fragt Mariola und geht mit der Pfanne in die Kammer und macht Licht an. Luis kommt ein beißender Geruch entgegen. Er bleibt in der Tür stehen.

      »Von der Fernbedienung für den Sessel«, sagt er und guckt mit einem Sicherheitsabstand zu, wie Mariola eine Klappe in einem Metallschrank aufzieht, die Pfanne reinschiebt und die Klappe wieder zumacht. Dann drückt sie einen Knopf und es rumort in der Maschine wie in einem Geschirrspüler. Ist aber keiner, das ist bei dem Geruch schon klar. Und das war auch keine Bratpfanne, sondern eine Bettpfanne, die einem unter den Hintern geschoben wird, wenn man nicht selber aufs Klo gehen kann. So eine hatte Luca auch, als er sich beim Fußballspielen das Schienbein gebrochen hatte und im Krankenhaus war. Da durfte er tagelang nur auf dem Rücken liegen mit hochgelagertem Bein, aus dem ein Metallgestell ragte, das direkt in seine Knochen geschraubt war. Luis durfte sich auch die Röntgenbilder angucken, auf denen er genau sehen konnte, wo der Bruch war und wie tief die Schrauben im Knochen steckten. Wobei Bruch auf Orthopädisch »Fraktur« heißt. Luca hatte eine Tibiafraktur. Zum Pinkeln bekam er eine Ente, so nannten die Schwestern im Krankenhaus eine abgeschrägte Flasche, in die man im Liegen pinkeln konnte.

      »Macht Spaß. Willst du auch mal?«, hatte Luca ihm die Flasche angeboten, aber Luis musste gerade nicht.

      »Im All pinkelt man in ein ähnliches Teil«, hatte er Luca erklärt. »In eine Art Trichter mit Schlauch, an dem eine Tüte befestigt ist, damit nichts daneben geht und durch die Rakete schwebt. Im All fällt ja nichts runter, wegen der Schwerelosigkeit.«

      Luca kicherte. »Stell dir mal vor, man trifft nicht richtig und dann wabern gelbe Pfützen durch den Raum. Oder Kackwürste.«

      »Das passiert