Boethius

Der Trost der Philosophie


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mit schwankendem Schritt draußen das Dunkel;

      Und vom irdischen Hauch immer vermehret

      Wächst bis zum Übermaß nagende Sorge.

      Und einst war sie gewöhnt Räume des Himmels

      Zu ätherischem Flug frei zu durchmessen,

      Schaute das rosige Licht frühe der Sonne,

      Blickt’ auf den frostigen Glanz spät noch des Mondes,

      Wie der wandelnde Stern zieht seine Bahnen,

      In verschlungenem Kreis wieder zurückkehrt,

      Hatt’ er in Zahlen gefaßt, hier auch ein Sieger.

      Forschte die Gründe er doch, welche das Brausen

      Regeln des Sturms, der tiefaufwühlt die Meerflut,

      Welch ein geistiger Hauch umdreht den Erdkreis,

      Was das Abendgestirn senkt in des Westens

      Meereswogen und früh rötlich im Ost hebt,

      Was die Tage im Lenz angenehm mildert,

      Daß die Erde sich schmückt rosig mit Blüten,

      Wer es macht, daß der Herbst schwanger von Früchten

      Überfließt, bis zuletzt schwellend von Trauben.

      Alles hat er erforscht, bis zur verborgnen,

      Wechselreichen Natur Gründe gelangt er!

      Und nun ist ihm des Geist’s Leuchte erloschen,

      Und den Nacken im Druck engender Ketten

      Zwingt die wuchtende Last nieder den Blick ihm,

      Wehe nur dich zu schau’n, törichte Erde!

      Jedoch, sagte sie, hier ist Arzenei mehr am Platz als Klage. Dann aber richtete sie das Auge voll auf mich und sprach: Bist du es, der du einst mit unserer Milch genährt, mit unserer Speise erzogen, zu mannbarer Geisteskraft gereift warst? Hatten wir dir doch Waffen gegeben, die dich, hättest du sie nicht vorher fortgeworfen, durch ihre nie besiegte Festigkeit beschützt hätten. Erkennst du mich nun? Warum schweigst du? Bist du vor Scham oder vor Staunen verstummt? Lieber wollte ich vor Scham, aber ich sehe, Staunen hat deine Zunge gelähmt. Und wie sie mich nicht bloß schweigend, sondern völlig sprachlos sah, legte sie ihre Hand sanft auf meine Brust: Es ist keine Gefahr, sagte sie, er leidet an schlaffer Abspannung, der gewöhnlichen Krankheit verblendeter Geister. Er hat ein wenig seiner selbst vergessen, er wird sich leicht auf sich besinnen, wenn er zuvor uns erkannt hat. Auf daß er dies könne, wollen wir ein wenig seine Augen abwischen, die trüb sind von der Umwölkung irdischer Dinge. So sprach sie und trocknete mit ihrem gefalteten Gewand meine von Tränen strömenden Augen.

      Da verließ mich das Dunkel, es wichen die nächtlichen Nebel,

      Frühere Kraft rückkehrte den Augen.

      Wie wenn vom Südwind getrieben die stürmischen Wolken sich ballen,

      Regenverschleiert am Himmelsgewölbe

      Sich die Sonne verbirgt, kein Sternbild am Himmel aufsteigt,

      Wenn auf die Erde dunkele Nacht sinkt;

      Dann aus thrazischer Höhle gesandt sie Boreas aufpeitscht

      Und den verschlossenen Tag wieder auftut,

      Phöbus zuletzt hervortritt und Pfeile des Lichtes schleudert,

      Staunende Augen die Strahlen verwunden.

       III.

      Nicht anders zerstreute sich mir der Nebel der Traurigkeit, ich sog den Anblick des Himmels ein, gewann meine Besinnung wieder und erkannte das Antlitz meiner Ärztin. Als ich nun die Augen auf sie wandte, meinen Blick auf sie heftete, sah ich meine Nährerin wieder, an deren Herde, ich von Jugend auf erwachsen war, die Philosophie. Und wie, sprach ich, du bist in diese Einsamkeit meines Kerkers gekommen, du, die Meisterin aller Tugend, hast dich von deinem hohen Wohnsitz herabgelassen? Oder bist du mit mir angeklagt, wirst auch du von falschen Anschuldigungen verfolgt?

      Sollte ich dich meinen Zögling verlassen, antwortete jene, sollte ich nicht die Bürde, die du um meines verhaßten Namens willen auf dich genommen hast, in gemeinsamer Mühe mit dir teilen? Es war die Pflicht der Philosophie, den Weg des Unschuldigen nicht unbegleitet zu lassen; ich sollte die Anschuldigung meiner selbst scheuen und vor ihr zurückschrecken, als ob es etwas Neues wäre? Meinst du denn, daß erst jetzt, wo die Sitten verderbt sind, die Weisheit von Gefahren bedrängt sei? Haben wir nicht auch bei den Alten schon vor der Zeit unseres Plato oft den großen Kampf mit der Unbesonnenheit der Dummheit gekämpft? Dieser zwar blieb leben; hat aber nicht sein Lehrer Sokrates mit meinem Beistand in ungerechtem Tod den Sieg errungen? Als dann dessen Erbschaft der epikureische und stoische Pöbel und alle andern jeder sein Teil zu rauben trachteten, als sie mich trotz Widerspruchs und Widerstrebens wie ein Beutestück hin- und herzerrten, zerrissen sie mein Gewand, das ich mit eignen Händen gewebt hatte. Fetzen rissen sie von ihm ab und gingen davon im Glauben, daß ich ihnen ganz gehöre. Und da man noch einige Spuren meiner Tracht an ihnen entdeckte und sie daher für meine Freunde hielt, so hat selbst einige von ihnen, ihrer Unklugheit überführt, der Irrtum der gemeinen Menge ins Verderben geführt.

      Wenn du aber auch nichts von Anaxagoras Flucht, von Sokrates Giftbecher gehört hättest, sie sind ja Fremde, so würdest du doch von einem Canius, einem Seneca, einem Soranus, deren Andenken nicht gar so alt und nicht unberühmt ist, etwas wissen können. Sie hat nichts anderes ins Verderben gestürzt, als daß sie, erzogen in unseren Sitten, den Bestrebungen der Schlechten so ganz unähnlich erschienen. Daher brauchst du dich nicht zu wundem, wenn wir von den Stürmen, die auf der hohen See dieses Lebens hin und her wehen, umgetrieben werden, wir, deren oberster Grundsatz ist, den Schlechten zu mißfallen. Aber wenn auch deren Heer zahllos ist, es ist dennoch zu verachten, es wird von keinem Feldherrn gelenkt, sondern nur von ungefähr vom wahnsinnigen Irrtum hin und her getrieben. Wenn dieser wieder einmal seine Reihen gegen uns aufstellt, uns kräftiger bedroht, dann zieht unsere Führerin ihre Truppen in die Burg zusammen und jene geben sich mit der Plünderung unnützen Gepäcks ab. Wir aber, wenn sie das erbärmliche Zeug mit Gier rauben, lachen von oben über sie, und sicher sind wir vor dem Getümmel der Wütenden, denn uns schützt ein Wall, nach dem die umherschwärmende Dummheit nicht trachten kann.

       IV.

      Wer mit heiterem Sinn das Leben ordnet,

      Wer das stolze Geschick sich zwingt zu Füßen,

      Wer das wechselnde Glück mit festem Auge

      So betrachtet, daß nie ihm zuckt die Wimper,

      Den beugt nimmer die Wut, das Dräu’n des Meeres,

      Das bis tief auf den Grund dieWoge aufwühlt,

      Nie der Zorn des Vesuv, der immer neue

      Schlote reißend im Bauch die Flamme wirbelt;

      Der den ragenden Turm zermalmt, der Blitzstrahl

      Selbst, er wird seinen Geist niemals erschüttern.

      Und nun, Arme, bestaunt ihr feig Tyrannen,

      Die mit wildem Sinn nur kraflos toben?

      Banne Hoffnung und Furcht, im Augenblicke

      Sinkt die Waffe des Zorns gelähmt darnieder.

      Doch wer, bebend das Herz, ob zagt ob wünschet,

      Nimmer steht er fest, ist nie sein eigen,

      Feige warf er den Schild, verließ·die Reihe,

      Knüpft die Fessel sich selbst, die ewig bindet.

      Empfindest du dies, sprach sie, dringt es in deinen Geist? Oder stellst du dich wie