wirbt.
»Nur noch über die Straße, dann sind wir da …«
In der Wärmeschleuse zwischen den Eingangstüren hängt kalter Zigarettenrauch. Der Mann an Appaz’ Arm hustet.
»Nicht«, sagt Appaz mit besorgtem Blick auf das Beil und schiebt ihn weiter. Die Filzpantoffeln klatschen bei jedem Schritt mit einem schmatzenden Geräusch auf den Fliesenboden.
Der Pförtner sitzt mit gekrümmtem Rücken auf seinem Drehstuhl, den Kopf in die Hand gestützt. Mit leerem Blick starrt er auf den tragbaren CD-Spieler vor sich, eine Hörbuch-CD plärrt schlecht gebaute Dialoge. Die Stimme des einen Sprechers kommt Appaz vage bekannt vor.
»Ein Notfall«, erklärt Appaz. »Wir brauchen einen Arzt.«
Ohne aufzublicken klickt der Pförtner das Menü auf dem Bildschirm an.
»Name, Vorname, Anschrift, Geburtsdatum, Krankenkasse …«
»Ein Notfall«, sagt Appaz noch mal, »ich glaube, Sie sollten möglichst schnell einen Arzt holen.«
»Name und Vorname«, wiederholt der Pförtner automatisch und eindeutig genervt, während er bemüht ist, nur ja kein Wort von seiner Hörbuchgeschichte zu verpassen. Der Name des Sprechers ist Dietmar Bär, fällt Appaz unerwartet ein.
Er beugt sich durch das geöffnete Schiebefenster und drückt die Aus-Taste des CD-Spielers.
»Ich fürchte, Sie haben mich nicht ganz verstanden …«
Ärgerlich ruckt der Pförtner hoch. Er hat schon den Mund geöffnet für irgendeine scharfe Zurechtweisung, dann weiten sich seine Augen vor Schreck.
Appaz nickt. Da sind wir immerhin schon zwei, die sich erschreckt haben, denkt er. Und: Ich gönne dir deinen Schreck, du Sack!
»Damit müssen Sie rüber in die Notaufnahme«, stammelt der Pförtner. Als er Appaz’ Blick sieht, hebt er abwehrend die Hände. »Schon gut, ich rufe den diensthabenden Chirurgen …« Er greift zum Telefon. Während er auf die Verbindung wartet, irren seine Augen ziellos über die Schalter und blinkenden Lämpchen auf dem Pult vor ihm. Auf seiner Stirn bilden sich dicke Schweißperlen.
Er ist noch jung, denkt Appaz, und es wird nicht mehr lange dauern, bis er eine Glatze hat. Er überlegt, ob auch Pförtner als Ein-Euro-Kräfte eingestellt werden. Eher nicht, denkt er, aber jemand mit einer Behinderung ist wahrscheinlich im Vorteil gegenüber Nicht-Behinderten. Bleibt die Frage, ob eine Glatze mit Mitte Zwanzig bereits als Behinderung gilt. Ein Beil im Kopf ist dagegen mit Sicherheit eine ernstzunehmende Behinderung. Ich muss mich zusammenreißen, denkt Appaz. Verdammter Alkohol! Sowie die Sache hier geklärt ist, mach ich mich vom Acker. Ich will nur noch warten, bis der Arzt kommt. Fast hätte er gekichert. Bis der Arzt kommt. Das ist so ein Spruch, den er immer schon blöd gefunden hat: Trinken, bis der Arzt kommt …
Der Pförtner nuschelt etwas in den Hörer. Appaz versteht nur »Beil im Kopf«.
»Kommt gleich jemand«, erklärt der Pförtner an Appaz gewandt. Seine Stimme ist kaum mehr als ein heiseres Flüstern.
»Kommt gleich jemand«, gibt Appaz an den Mann mit dem Beil im Kopf weiter. Er greift wieder den Arm des Alten und führt ihn zu einem grell orangefarbenen Plastikstuhl. Aus den Augenwinkeln sieht er, wie der Pförtner aus seiner Loge stürzt und hinter der Tür mit der Aufschrift »Patienten-WC« verschwindet.
Er klopft dem Mann neben sich beruhigend auf die Schulter. Der Alte ist vielleicht noch gar nicht so alt. Appaz schätzt ihn auf Ende sechzig, vielleicht Anfang siebzig. Er hat jetzt die Augen geschlossen, seine Knie zittern unkontrolliert, er knetet die leberfleckigen Hände im Schoß.
Mach mir jetzt bloß nicht schlapp, denkt Appaz, und meint eigentlich eher sich selbst als den Alten. In der Pförtnerloge klingelt das Telefon.
Eine Ärztin kommt vom Fahrstuhl her durch die Halle. Die blonden Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, statt des üblichen weißen Mantels trägt sie ein blaues Kittelhemd.
Appaz geht ihr entgegen.
»Ich bin die Neurochirurgin hier im Haus. Der Pförtner hat irgendwas gesagt, dass Sie nicht in die Notaufnahme …«
Appaz weist mit dem Kopf hinter sich.
Mit ein paar schnellen Schritten eilt die Ärztin an ihm vorbei. Als sie sich zu dem Mann mit dem Beil im Kopf bückt, sieht Appaz, wie sie hart schluckt. Aber ihre Augen versuchen, den Blick des Mannes auf sich zu ziehen, mit ihren Händen stoppt sie einen Moment das nervöse Auf und Ab seiner Knie. Ihre Hände sind überraschend groß und kräftig.
»Wir setzen Sie jetzt ganz vorsichtig in den Rollstuhl da drüben und dann …«
»Wieso wir?«, hakt Appaz sofort ein. »Ich …«
Die Ärztin wirft ihm einen schnellen Blick zu.
»Ich brauche Ihre Hilfe. Es ist niemand weiter da.«
Schulterzuckend holt Appaz den Rollstuhl. Das linke Vorderrad ist blockiert und zieht quietschend einen schwarzen Gummistreifen über den Fußboden.
Sie fassen den Mann mit dem Beil im Kopf unter den Achseln und hieven ihn auf den Sitz des Rollstuhls.
»Wer von Ihnen hat eigentlich diese unglaubliche Fahne?«, fragt die Ärztin.
»Ich, aber … also ich war den ganzen Abend in der Kneipe und dann, als ich zur U-Bahn wollte, da stand er da und … Aber ich gehe jetzt auch, ich muss los.«
»Nein.« Wieder der schnelle Blick. Die Augen der Ärztin sind von einem leuchtenden Blau, das kein Ausweichen zulässt »Ich brauche Sie noch.«
»Ich bin müde«, setzt Appaz noch mal an. Er blickt auf seine Uhr. »Es ist nach eins, und … ich bin betrunken. Ich muss jetzt los, wirklich.«
»Ich habe Kaffee auf der Station. Gerade frisch aufgesetzt.«
Keine Chance, denkt Appaz. Ich weiß nicht, wieso ich nicht trotzdem gehe, sie kann mir gar nichts, ich bin schneller draußen, als sie gucken kann. Aber sie hat irgendwas, was mich hier festhält. Und es ist lange her, dass mich jemand zum Kaffee eingeladen hat. Oder so. Egal. Auf zehn Minuten kommt es jetzt auch nicht mehr an.
Auf dem Weg zum Fahrstuhl rutscht dem Mann einer seiner Pantoffeln vom Fuß. Appaz schiebt ihn in das Netz, das von der Rückenlehne des Rollstuhls baumelt.
Die Ärztin spricht jetzt leise mit dem Alten, der angestrengt darüber nachzudenken scheint, wieso einer seiner Füße des Filzpantoffels beraubt ist. Als der Fahrstuhl anruckt, drückt sie beruhigend seine Hand.
Es scheint keine Frage zu sein, dass Appaz mit ins Behandlungszimmer kommt. Diesmal ist er es, der dem Mann gut zuredet, während die Ärztin dessen Ärmel hochstreift, um ihm irgendeine Spritze zu setzen.
»Er hat vorhin erzählt, dass er Streit mit seiner Frau gehabt hat«, berichtet Appaz in dem unklaren Versuch, sich nützlich zu machen. »Es scheint so, als hätte sie ihm das Beil …«Er macht eine hilflose Geste in Richtung des Altmännerschädels.
Die Ärztin nickt. Behutsam tastet sie mit den Fingern das Umfeld der Klinge ab. Als sie die Aufschrift auf dem Stiel des Beils sieht, verdreht sie die Augen. Dann rollt sie den Mann zum Röntgenzimmer.
Appaz wartet auf dem Gang. Und als die beiden zurückkommen, tappt er wie selbstverständlich hinter ihnen her, wieder in den Behandlungsraum.
Die Ärztin wirft einen Blick auf die Röntgenbilder. »Es scheint tatsächlich nur oberflächlich zu sein«, sagt sie mehr zu sich selber als zu Appaz. »Die Klinge ist im Knochen steckengeblieben. Soweit ich sehen kann, ist das Gehirn nicht verletzt. Obwohl er eigentlich komatös sein müsste, aber …«
Sie stellt sich vor den Alten und holt tief Luft. Dann zieht sie mit einem kurzen Ruck das Beil aus dem Schädel des Mannes. Der Alte zeigt kaum mehr Reaktion als ein unwillkürliches Zucken mit dem Hals.
Appaz guckt schnell woandershin und klammert sich an die knochigen Schultern unter dem feuchten Jackett,