Daniel Marc Segesser

Der Erste Weltkrieg


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in Afrika und in etwas geringerem Ausmaß im Pazifik festzustellen, wo die beteiligten europäischen Mächte ihre Einflussgebiete klar absteckten. Höhepunkt dieser Entwicklung bildete die Berliner Westafrikakonferenz von 1884/85, die von afrikanischen Historikern noch heute – wohl fälschlicherweise – als Ursprung der unseligen Grenzziehungen auf dem schwarzen Kontinent betrachtet wird. Zwar wurden sehr wohl Linien über fast den gesamten Kontinent gezogen, primäres Ziel der europäischen Mächte und vor allem des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck war es allerdings, das von men-on-the-spot wie Carl Peters oder Cecil Rhodes betriebene, ungezügelte Annektieren von afrikanischen Territorien in geordnete Bahnen zu lenken und damit zu verhindern, dass Spannungen zwischen men-on-the-spot unterschiedlicher europäischer Nationalitäten in Afrika negative Konsequenzen für das Verhältnis der europäischen Mächte untereinander haben würde.

      Was 1884/85 mit der Berliner Westafrikakonferenz noch gelang, wurde im weiteren Verlauf des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer schwieriger. Dies lag einerseits daran, dass sich die Spannungen in Europa – und hier vor allem auf dem Balkan – in diesen Jahren angesichts der zunehmenden Schwäche des Osmanischen Reiches zu intensivieren begannen. 1879 sah sich Bismarck gezwungen, seine Politik der Allianz sowohl mit dem zaristischen Russland als auch der Habsburgermonarchie aufzugeben und sich auf ein Bündnis mit letzterer zu beschränken. Längerfristig führte dies zu einer Annäherung des Zarenreichs an das seit 1871 weitgehend isolierte Frankreich und zur langsamen Ausbildung von zwei Bündnisgruppen, die sich um die beiden Gegner des Deutsch-Französischen Krieges herauszubilden begannen. Auch wenn die neuen Bündniskonstellationen die Möglichkeit eines Krieges sicherlich erhöhten, lässt sich der Ausbruch des Krieges dadurch allein nicht begründen. Eine zentrale Rolle spielte mit Sicherheit auch die Tatsache, dass die höhere Produktivität der Landwirtschaft und die erhöhte Leistungsfähigkeit der Transportmittel – zu allererst der Eisenbahn – dazu führten, dass erstmals große Heere nicht mehr nur ohne große Kosten ausgerüstet, sondern auch ernährt und rasch von einem zum anderem Punkt verschoben werden konnten. Die neuen Millionenheere konnten aber nicht einfach innerhalb kurzer Zeit aus dem Boden gestampft werden, wie dies noch zu Beginn der Französischen Kriege von Sadi Carnot gemacht worden war. Vielmehr war eine minutiöse Planung, Ausbildung und logistische Vorbereitung notwendig. Dazu diente in den meisten europäischen Staaten die rigorosere Durchsetzung der bisher schon auf dem Papier bestehenden Allgemeinen Wehrpflicht sowie die Vorbereitung und Durchführung von großen staatlichen Rüstungsprogrammen. Damit sollte ein tatsächlich bestehender oder nur in den Köpfen führender Politiker oder Militärs existierender Vorsprung anderer Mächte ausgeglichen werden. Das führte dazu, dass die Gegenseite selbst ebenfalls solche Programme lancierte, um das in ihren Augen entstandene Ungleichgewicht wieder zu kompensieren. Einmal begonnen, ließ sich dieser Prozess nur noch schwer stoppen; zumindest solange nicht, als sich keine der beteiligten Mächte damit finanziell übernahm, was bis 1914 nicht der Fall war (Fisch 2002, 348-349). Von globaler Bedeutung wurde der in Europa begonnene Rüstungswettlauf durch die um die Jahrhundertwende einsetzende Flottenrüstung des Deutschen Reiches und die darauf erfolgenden Reaktionen Großbritanniens und der USA. Unter Bismarcks Nachfolger strebte das Deutsche Reich mehr und mehr danach, seine in Europa unbestritten starke Stellung auch auf die übrige Welt auszudehnen und sich einen »Platz an der Sonne« zu sichern. Einem Anflug von Selbstüberschätzung erliegend, verzichtete die deutsche Führung darauf, ihre Politik durch eine Ausweitung der bestehenden Bündnisse abzusichern. Die britische Regierung war natürlich keineswegs gewillt, ihre dominierende Stellung zur See kampflos aufzugeben. Sowohl auf Ebene der Technik (Einführung von Schiffen der Dreadnoughtklasse) als auch im Hinblick auf die Anzahl der zu bauenden Kriegsschiffe lancierte sie ein Flottenprogramm, mit welchem die deutsche Seite schon bald nicht mehr konkurrieren konnte. Gleichzeitig nutzte Großbritannien die Ressourcen seines Empires, indem die sich selbstverwaltenden Dominions sowie einheimische Fürsten in Indien und Südostasien erfolgreich um eine Beteiligung an den entstehenden Kosten des Flottenrüstungsprogramms gebeten wurden. Dabei blieb es jedoch nicht. Im Jahre 1902 schloss Großbritannien ein Bündnis mit Japan und 1904 beziehungsweise 1907 erreichte es einen kolonialen Ausgleich mit Frankreich und Russland. Damit konnte es seine Stellung außerhalb Europas konsolidieren und sich flottenmäßig mehr und mehr auf die Auseinandersetzung in Europa konzentrieren. Der Ausgleich mit Frankreich wurde durch Absprachen zwischen den beiden Generalstäben für den Fall eines Krieges auf dem europäischen Kontinent komplettiert. Dies war nicht zuletzt einer der Gründe, weshalb Großbritannien in den beiden Marokkokrisen von 1905/06 und 1911 Partei für Frankreich ergriff. Mit der sich im Zeichen des Imperialismus herausbildenden Weltgesellschaft war die Voraussetzung für Weltkriege geschaffen worden. Dabei handelte es sich nun aber nicht mehr nur um weltweit geführte Kriege zwischen europäischen Mächten, sondern um eine globale Vernetzung von regionalen Konflikten, an welchen außereuropäische Mächte – primär aus Asien und Amerika – beteiligt waren. Ausgangspunkt für diese Konflikte blieb aber Europa. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch in den Planungen für zukünftige Kriege, auf die nun eingegangen werden soll.

      Wie bereits im vorangegangenen Kapitel betont, führte die Aufstellung von Millionenheeren in Europa im Verlauf des späten 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts dazu, dass die jeweilige militärische Führung sich gezwungen sah, konkrete Planungen an die Hand zu nehmen, um Fragen der Ausrüstung, des Transports und der Ernährung von solchen Verbänden zu klären. Zudem musste sich die militärische Führung klar werden, welche Ziele mit diesen Verbänden mit welchen Mitteln in jeweils unterschiedlichen Situationen erreicht werden sollten. Neben der Planung für kleinere regionale Konflikte bildete für die Militärführung der meisten Staaten ein Konflikt zwischen dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten einerseits sowie Frankreich und seinen Verbündeten andererseits weiterhin die grundsätzliche Ausgangsdisposition.

      Unter diesen Voraussetzungen trat im Jahre 1891 der neue preußische Generalstabchef Alfred Graf Schlieffen sein Amt als Nachfolger des glücklosen Grafen Waldersee an. Die politische Situation hatte sich dabei grundlegend verändert. 1890 war der Rückversicherungsvertrag des Deutschen Reiches mit Russland ausgelaufen und 1892 hatte letzteres ein Militärbündnis mit Frankreich geschlossen. Schlieffen machte deshalb deutlich, dass die militärtechnischen und bündnispolitischen Veränderungen es für das Deutsche Reich unmöglich machten, eine «Ermattungsstrategie» zu verfolgen. Dieser Erkenntnis versuchte Schlieffen in seinen Planungen so weit als ihm möglich schien Rechnung zu tragen. Obwohl der Generalstab sehr wohl wusste, dass die Chance für einen kurzen und rasch erfolgreichen Krieg nicht groß war, blieb ihm angesichts der fehlenden Bereitschaft zur langfristigen und umfassenden Vorbereitung eines totalen Krieges und der Unmöglichkeit, das eigene Scheitern einzugestehen (Förster 1995) nur der Entscheid, die Planung eines möglichst kurzen Feldzuges weiterzuverfolgen. Das Ziel bestand darin, aus einem Krieg an zwei Fronten, zwei Kriege an je einer Front zu machen, wobei an der einen Front (im Westen) ein Vernichtungssieg nach dem Vorbild der Schlacht von Cannae angestrebt werden sollte. Dies hätte dann dazu geführt, dass der Krieg an der anderen Front erheblich einfacher geworden oder gar hätte vermieden werden können. Die grundsätzliche Stoßrichtung war für Schlieffen klar, in der konkreten Umsetzung gab es allerdings Unsicherheiten. Auf einer großen Zahl von Generalstabsreisen und Kriegsspielen wurden einzelne Aspekte der operativen Idee immer wieder thematisiert und angepasst, ohne dass an der grundsätzlichen Stoßrichtung etwas geändert wurde (Ehlert et al. 2007, 9-10). Gerade diese Tatsache führte vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg immer wieder dazu, dass Schlieffens ›Plan‹ heftig diskutiert wurde und ihm, respektive seinem Nachfolger Helmuth von Moltke dem Jüngeren, die Schuld für das Scheitern der deutschen Operationen zu Beginn des Ersten Weltkrieges zugeschoben wurde. Die Tatsache, dass der Große Generalstab gemäß den Planungen Schlieffens, die von dessen Nachfolger Moltke mit einigen kleinen Änderungen übernommen wurden, den Einsatz der deutschen Streitkräfte primär im Westen vorsah, führte dazu, dass Russland in den militärischen Planungen Österreich-Ungarns eine größere Bedeutung eingeräumt werden musste. Hatte der dortige Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf in den Jahren vor 1909 Pläne für Kriege gegen Italien und auf dem Balkan geschmiedet, so kam es 1909 zu einer Absprache, gemäß welcher die K.u.K. Armee primär an der Grenze zu Russland in Galizien aufmarschieren sollte. Dieser grundsätzlichen Vereinbarung folgten allerdings