Rich Schwab

Nie wieder Apfelkorn


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in meinem Zimmer runter, um die Morgensonne auszusperren, und legte mich ins Bett. Draußen rauschte der Alltag durch die Stadt, mit Gehupe, Geknatter, Geschnatter und Gebell. Es war ein schöner, milder September, und als letztes Bild vorm Einschlafen sah ich Nijinsky, der vor Zaks Taxi stand und sagte: »Verpiss disch, sonz tredde isch dir dä Kopp weg!«

      ***

      Nachmittags weckte mich der Duft von frisch aufgebrühtem Vanille-Tee. Er kam aus einem großen blauen Becher mit gelben Punkten, den mir Anna, Veras fünfjährige Tochter, unter die Nase hielt.

      »Komm, Schnarchsack, genug geschlafen«, kicherte sie.

      »Wie spät isses denn?«

      »Drei Uhr, glaub ich.«

      »Und wieso bist du dann schon hier, du Kröte?«

      »Ich bin keine Kröte, ich bin ein Seraphim. Und deswegen hab ich auch keine Lust mehr, im Kindergarten zu gehen.« Sie kletterte zu mir aufs Bett und fing an, meine Haare zu verknoten. Sie roch noch besser als der Tee. Wahrscheinlich hatte Vera mal wieder ein neuer Duftwasser. Bedeutete normalerweise, dass es da irgendwo ’ne neue Freundin gab.

      »In den Kindergarten«, verbesserte ich automatisch. »Und ich bin kein Schnarchsack. Ich übe im Traum neue Lieder, das mag sich nur von draußen ein bisschen komisch anhören. Außerdem heißt es Seraph, ohne -im, wenn’s nur einer ist. Und wenn er sechs Flügel hat. Wo sind denn deine?« Ich begann, sie auf der Suche nach ihren Flügeln im Rücken zu kitzeln, was in eine Riesenbalgerei ausartete. Kinder sind schon eine herzerwärmende Sache. Wenn man sie nicht dauernd am Hals hat; von der Verantwortung ganz abgesehen. Ich war froh, dass ich nicht Vater war, auch wenn man mit einer jauchzenden, blondgelockten Fünfjährigen mit vor Eifer geröteten Wangen schon mal auf ganz andere, wehmütige Gedanken kommt. Trautes Heim. Wenn das meine Fans in Ingolstadt wüssten …!

      Ich machte uns ein paar Brote mit frischem Holländer, mildem Senf und Apfelscheiben, und wir setzten uns auf den Balkon voller duftender Tomatenpflanzen, Küchenkräuter und Blumen und hörten Louis Armstrong. Anna liebte ihn – die Scheibe mit den Greatest Hits hatte ich ihr schon zum zweiten Mal gekauft, weil sie die erste durchgenudelt hatte. Wir aßen unsere Brote und tranken den Tee. Er war viel zu dünn und noch mehr zu süß, aber ich sagte nichts dazu. Sie war offensichtlich sehr stolz, dass sie ihn ganz alleine aufgebrüht hatte.

      ***

      »DIE FAHRT KOSTET DICH ABER ’N PAAR BIER!«, stand auf dem Blatt Papier, das Zak mir auf einem Klemmbrett entgegenhielt.

      »Mindestens«, sagte ich. Und dann las ich, was er auf die Seite darunter gekrakelt hatte. Er war dem gelben Capri die Aachener Straße raus bis nach Junkersdorf gefolgt, eine der feineren Wohngegenden Kölns, wo der in einer Garageneinfahrt geparkt wurde. Die beiden Figuren hatten Britta in einen Bungalow gebracht, dessen Haustür von einer zierlichen Asiatin mit langen Haaren geöffnet worden war. »Pechschwarze Haare bis zum Arsch«, hatte Zak geschrieben, »irgendwo hab ich die schon mal geseh’n – ich meine, im Forum.«

      Leider war die Einfahrt direkt hinter einer Kurve gelegen, und den Jungs musste das Taxi doch noch aufgefallen sein. Als Zak nämlich nach ein paar Minuten ausgestiegen war, um sich den Bungalow etwas näher anzusehen, hatte sich einer der beiden schon in seinen Rücken geschlichen.

      »Ich hör jemanden durch die Zähne pfeifen, dreh mich um, seh den dicken Nijinsky, wie er mich angrinst und hab auch schon seinen Turnschuh in der Fresse. Bin froh, dass der keine Fußballschuhe trägt. Dann weiß ich erstmal nix mehr, bis ich merke, dass ich auf dem Beifahrersitz meiner Karre liege. Der Nijinsky fährt und hält mich mit dem rechten Arm an die Lehne gedrückt. Dann gibt’s ’nen Knall, und ich bin wieder weg. Als ich wach werde, steh’n ’n Haufen Kollegen und die Bullen um mich rum«, las ich. »Der Nijinsky wird sich bald ’ne andere Stadt für seine Streiche suchen müssen. Bis dahin wär’s nett, wenn du mir ’nen Kassettenrekorder und wat Musik besorgen könntest. Und wat machs’ du jetzt?«

      »Ich besorg dir jetzt erstmal deine Musik. Dann such ich Twiggy und guck mir das Häuschen in Junkersdorf mal an.« Zak hob den rechten Daumen und schloss müde die Augen. Ich sah ihn mir noch ’n paar Sekunden an. Ja, er hatte bestimmt recht: Nijinsky würde in Köln nicht mehr viel Spaß kriegen: ’nen kölschen Taxifahrer zusammentreten …!

      Ich machte mich auf die Socken.

      ***

      Die Stadt brachte sich zunehmend in Feierabendstimmung. Auf der Goldenen Meile, den Ringen zwischen Friesen- und Barbarossaplatz, flogen mir ein paar schwarzbraun gefleckte Blattreste um die Beine. Irgendwo musste es hier doch noch den einen oder anderen Baum geben. Der Verkehr schob sich zäh in beide Richtungen. Hinter den Fenstern der Straßenbahnen klebten graue Gesichter ohne erkennbaren Ausdruck. Vielleicht waren sie tatsächlich nur aufgeklebt, aber ich fand nicht, dass sie eine gute Werbung für den Kaufhof-Schriftzug waren, der darunter prangte.

      Ein Kind in einem Buggy, eingeklemmt zwischen prallen Einkaufstüten, schrie sich neben dem Zebrastreifen an der Richard-Wagner die Kehle wund. Eine höchstens neunzehnjährige Schwangere mit toupiertem Wasserstoffblond schrie ihrerseits genervt auf das Kind ein. Ich hörte mindestens sieben Wenn-du-jetz-nit-bald-still-bis’!, ohne dass sie dem Kind einmal verraten hätte, was denn dann wäre. Der italienisch aussehende Typ daneben betrachtete beide angewidert und versuchte, dabei lässig und unbeteiligt auszusehen.

      Tja, Giuseppe, solltest vielleicht mal überlegen, ob es was nützt, deine Jisela mal eine Stunde durch die Stadt zu schieben, den Kopp in Auspuffhöhe festgeklemmt! Ich glaubte aber nicht, dass das viel nützen würde. Wahrscheinlicher war, dass sie einfach nur zu jung und überfordert war. Dabei war der Giuseppe sooo nett gewesen, damals auf der Deutzer Kirmes, viel süßer als die Mülheimer Halbstarken, mit denen sie sich da sonst immer rumtrieb. Die versuchten ihr nur dauernd an ihre großen Brüste zu gehen, während der hübsche Italiener ihr auf der Bank unten am Rheinufer erzählt hatte: »Dein Auge sin schöne’ dann die von Sophia Loren!« Mittlerweile schien er die Augen auf einem Paar Würfel schöner zu finden. Oder die der italienischen Schlampe hinterm Tresen des Club San Marco, den er nur noch verließ, um sich bei ihr zu Hause frisch gebügelte Klamotten abzuholen. Oder sie zum zweiten Mal zu schwängern.

       4

       Twiggy

      Einen Haufen Tresen und Schlampen würde ich heute Abend wohl auch noch zu sehen kriegen. Twiggy hatte dienstags frei, und das hieß, er konnte in irgendeiner der achthundert Kneipen zwischen Rodenkirchen im Süden Köln und Worringen im Norden, zwischen Rösrath im Osten und Bocklemünd im Westen hängen. Ich hatte ziemliches Glück. In Kneipe Nummer fünf, dem Florchen in der Friesenstraße, fand ich seine Spur in Form seiner verheult aussehenden Dauerverlobten Roswitha.

      »Dä blöden amerikanischen Hungk! Dä soll mer bloß nimmieh unger die Aure kumme! Vun wäje: ‚Dienstag frei, do maache mir uns ene schöne Oovend zesamme!’ Am Suffe un am Käue un am Zocke es dä Drecksack ald widder!«* Sie heulte sich vier Bacardi-Cola wässrig und erzählte mir zum zigsten Mal die Geschichte ihres Liebesleids mit »däm Mister Kritt-dä-Hals-nit-voll«.*

      Aber nach einer knappen Stunde hatte ich raus, mit wem er denn heute unterwegs war, und wo sie angefangen hatten. Danach war’s einfach. Ich fand ihn im Silberne Saddel in Weidenpesch, nahe der Pferderennbahn. Hier verkehrten die Jockeys und die Wettgeschäftemacher, die Fans und die Zocker, Zuhälter aus der nördlichen Hemisphäre der Stadt und ihre Puppen, die aussahen wie die Frauen der dort ansäßigen Geschäftsleute, die ihrerseits aussahen wie Zuhälter. Alle palaverten lautstark und wild durcheinander, das Kölsch floss in Strömen, hauptsächlich in die Mini-Gläser, die in Köln »Stößjen« heißen. Und Abba ließen die Musikbox klirren.

      Twiggy stand mit bloßem