Jurgis Kuncinas

Blanchisserie oder Von Mäusen, Moder und Literatursalons


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Narbe über der rechten Wange und einen Tic, das heißt er zuckt mit dem linken Augenlid. Warum du ihn fragen sollst? Ganz einfach: Gerade als die Feiglinge im Gebüsch verschwunden waren, tauchte vor mir ein alter Planwagen auf, genau von derselben Bauart wie der, mit dem einst Abrutis Vigilija ins Theater von Marijampolė kutschiert hatte, und aus ihm kamen vier Polizisten gesprungen, warfen mich zu Boden und fesselten mich. Milošas trat mich nicht allzu schmerzhaft in den Hintern, und natürlich nahm er mir die Automatik ab. Was würde ich Gvido sagen, würde er mich umbringen? Sie brachten mich zu der Wache neben der Bar »Ambasada«.

      »Wer hat dich an der Stirn verletzt?« Ohrfeige links.

      »Woher hast du die Knarre?« Ohrfeige rechts.

      »Wohin warst du unterwegs?« Die Ohrfeigen wechselten sich ab.

      »Wenn Sie sich so aufführen«, ich wurde ernsthaft böse, »dann erzähle ich Sie Scheiße!«

      »Sie!« Milošas verzog sein Gesicht. »Kannst du kein Litauisch mehr?« Klatsch, klatsch. Sofort kam mein Kreislauf wieder in Schwung. »Ein nettes Ding«, gab Milošas zu. »Wie viel hast du dafür geblecht?«

      »Zweitausend Greenbacks«, log ich. »Sehen Sie her, man muss bloß hier ein bisschen drücken, und sofort geht sie lautlos ab.«

      »Du lügst, du Halunke!« Einer der Polizisten holte aus. »Ohne Schalldämpfer?«

      »Nehmen Sie mir die Handschellen ab, dann zeige ich es Ihnen.«

      Milošas nickte mit dem Kopf: »Abnehmen!«

      Ich packte die Automatik, feuerte eine Schussserie an die Decke und zwang alle, an der Wand in die Knie zu gehen. Einer fiel in Ohnmacht, die anderen machten tatsächlich in ihre Uniformhosen, und ein heftiger Gestank erfüllte die ganze Wache. Wo nicht geschissen wurde, fiel der Putz brockenweise von der Decke. »Haben Sie schon genug?«, fragte ich auf dem Weg zur Tür. »Reicht’s?«

      »Ist ja schon gut«, sagte Milošas mit grünem Gesicht, als er wieder zu sich gekommen war. »Jetzt gib mich dein Spielzeug, und wir sind quitt. Ich tue dir nichts.«

      »Milošas«, sagte ich versöhnlich, »wenn ich erst auspacke, was du mit den kurdischen Flüchtlingen und den Nutten aus Weißrussland angestellt hast, wenn ich an geeigneter Stelle den Schwarzen erwähne, der in dem Teich bei der russischen Botschaft ertränkt worden ist, und wenn wir noch die geschändete Kuh von Jeremičius ausgraben …«

      »Pssst!«, rief Milošas und wurde blass. »Psst! Ich gebe dir zweihundert Mäuse, wenn du die Klappe hältst.«

      Ich ging davon aus, dass er log, aber er holte tatsächlich zwei Hunderter hervor und gab sie mir. Ich riss das Magazin heraus, schleuderte die Automatik auf den Boden und ging zur Tür.

      »Du bist offenbar nicht auf den Kopf gefallen«, räumte Milošas ehrlich erstaunt ein.

      »Ich bin ein Idiot«, gab ich zu. »Aber ich gehe. Ich weiß, dass du versuchen wirst, mich um die Ecke zu bringen, aber was soll’s, versuch’s nur.«

      Ich vergrub meine Hände tief in den Taschen meines Bauernrocks und wandte mich der bereits geöffneten Bar »Ambasada« zu. Die Botschafter von Karakalpakistan und von Grönland schlummerten bereits tief und fest, aber an die Theke gelehnt standen ein paar Säufer, die ich vom Sehen kannte, und außerdem »Lokomotive GT«, die einzige Prostituierte von ganz Žvėrynas, die einen gelben Gewerbeschein hatte. Kaum hatte ich mich auf einen der hohen Barhocker gesetzt, kam auch schon der stets lebhafte Wirt Markas Aurelijus Schwarz angetrabt. Eigentlich hieß er mit Nachname Schwanz, aber alle nannten ihn diskret Schwarz.

      »Was wünschen Sie? Das Übliche?« »Das Übliche« waren zweihundert Gramm reiner Wodka mit frisch gepresstem Gurkensaft. Überwältigende Wirkung und Durchfall inklusive.

      »Nein, mein lieber Aurelijus«, flüsterte ich, »diesmal will ich einen doppelten Bannister. ›Bannister in canister‹. Noch nie davon gehört? Das Zeug hat mein Nachbar Rikardo in der Zeit um 1976 immer bestellt. Haben Sie was davon?«

      »Leider nein«, seufzte Markas Aurelijus Schwanz. »Der Herr Rikardo ist hier zwar als raffinierter und hartnäckiger Trinker allgemein bekannt, aber von dem Whiskey, den Sie da erwähnen, ist nichts mehr da. Doch weil Sie Herrn Rikardo kennen, und, wie man so hört, auch den Bullen Milošas, gebe ich Ihnen auf Rechnung des ›Ambasada‹ einen Armagnac aus dem Jahre 1933 aus. Als Hitler an die Macht kam, hat mein Großvater, der aus Dummheit überall mit ›Schwantz‹ unterschrieben hat, diesen Schatz an einer geheimen Stelle eingebuddelt, und dort ist er geblieben. In Ordnung?«

      »Klasse!«, freute ich mich und hörte durchs Fenster, wie Milošas seine Befehle erteilte: »Wir kesseln ihn ein! Serjoša, Kęstas! Vorwärts!«

      »Jede Nacht gibt es eine Schießerei«, seufzte der Wirt, »manchmal sogar mit schallgedämpften Waffen. Aber ich höre alles«, sagte er und blinzelte verschmitzt.

      »Ja«, stimmte ich zu. »Auch ohne Geräusch findet eine Kugel ihren Weg in das Herz des Menschen …«

      »Reichlich banal«, maulte der Maître, »aber immerhin doppeldeutig. Ich schreibe es auf. Übrigens habe ich hier eine Nachricht für Sie.«

      Und er gab mir deinen Zettel, Nabė. Er war so lieblos, dass ich regelrecht aufseufzte: zwei Sätze und fünf Interpunktionsfehler …

      »Wir kriegen ihn, und zwar lebendig!« Milošas’ Stimme klang immer noch triumphierend. »Lebendig!«

      »Und der Herr Rikardo kommt nur noch selten«, sagte der Besitzer des eingegrabenen Armagnacs. »Zumindest tagsüber. Ein netter Mensch, nicht wahr?«

      »Sehr«, stimmte ich widerspruchslos zu. »Und die Autorin von dem da«, ich wedelte mit dem Zettel durch den Tabaksqualm, »kommt sie noch vorbei?«

      »Es ist jetzt fünf Uhr morgens«, überlegte Markas Aurelijus. »Mademoiselle Nabelle erscheint immer um fünf Uhr nachmittags, und sie kommt nicht allein, das sage ich Ihnen lieber gleich ganz offen: Meistens begleitet sie ein einäugiger Soldat der Luftwaffe.«

      »Sie kommt täglich?«

      »Jeden Tag. Um fünf Uhr nachmittags. Soll ich es aufschreiben?«

      »Nein. Was bestellt sie?«

      »Der Flieger bestellt für sie einen trockenen Martini, aber sie nimmt ihren üblichen Gurkendrink und sprintet dann aufs Klo. Ich glaube, dass sie Sie immer noch liebt. Übrigens geht der Gurkensaft auf Ihre Rechnung, mein Herr.«

      »Was Sie nicht sagen! Wie viel ist denn mittlerweile zusammengekommen?«

      »Zweihundert Dollar, mein Herr. Lustig, nicht wahr?«

      »Und wie, ich habe es sogar passend. Eine Bitte noch.«

      »Ich höre, mein Herr.«

      »Träufeln Sie ihr morgen ein bisschen Schlafmittel in den Gurkendrink. Wenn sie eingeschlafen ist, entführe ich sie.«

      »Aber verzeihen Sie, mein Herr, von dem Zeug bekommt sie doch Durchfall!«

      »Ich bezahle die Putzfrau. Abgemacht?«

      »In Ordnung. Aber Sie haben mir nichts … Wie gesagt, ich habe nichts gehört, es steht Aussage gegen Aussage. Abgemacht.«

      Als kurz darauf die Sturmtruppen von Milošas in das »Ambasada« eindrangen, marschierte ich schon die Kęstučio gatvė entlang, wo ich beinahe unter die Räder gekommen wäre, und das um fünf Uhr morgens! Es war schon fast hell, und eine Eskorte von schwarzen und weißen Limousinen kam die Schnellstraße entlanggedüst. Wie hatte ich das vergessen können, heute kam doch der Präsident von Mauretanien zu einem inoffiziellen Besuch nach Litauen, um Auerochsen und Auerhähne zu jagen oder vielleicht auch um sich eine Frau zu kaufen, eine Miss Baltikum. Natürlich war die Sache nirgends publik gemacht worden, aber wen es etwas anging, der wusste es, wie Gvido und Nataša, Kapitän Milošas oder Markas Aurelijus, und wer mit Rauschgiftschmuggel befasst war, der wusste über solche Kleinigkeiten wie die Visite des mauretanischen Herrschers erst recht Bescheid.

      Wie