Hunter S. Thompson

Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten


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treffen samstags in Nepenthe ein, lassen die gesamte Bar mit einem arroganten Blick verstummen – und toben um Mitternacht in den überfüllten Wannen in Hot Springs herum, sind dabei völlig nackt und verlangen kreischend nach einer neuen Ladung Gin. Das Badehaus ist nichts weiter als ein offener Schuppen aus Beton mit Blick aufs Meer, und die Wannen sind mit heißem schwefelhaltigen Wasser gefüllt; sie bieten Platz für zehn Personen. Tagsüber starren die meisten auf die Wand, die den Männer- vom Frauenbereich trennt. Ist aber die Sonne erst einmal untergegangen, geht es in den Wannen so gemischt zu wie in einem Bordell bei einer Silvesterfeier, und oft um einiges wilder.

      Das ist die glamouröse Seite von Big Sur, jene Seite, die sich gelegentlich mit dem Mythos deckt – diese Dinge aber spielen sich nicht auf den Hügeln ab, wie viele vermuten.

      Der einsame Highway genügt, um einen nachdenklich zu stimmen. Er erhebt und schlängelt sich entlang der Klippen wie eine riesige Asphaltwelle, und an einigen Stellen geht es achthundert Fuß geradewegs nach unten, und man kann das Donnern der Brandung hören. Zwischen Carmel und San Simeon, wo die grünen Hänge der Berge von Santa Lucia ins Meer abfallen, ist die Küste furchteinflößend. Nepenthe ist von April bis November geöffnet und eines der schönsten Res­taurants in Amerika; und Chaco, der lüsterne alte za­ris­tische Schriftsteller, der auf seiner Terrasse »Spirituosen alle macht«, wie er sagt, ist eine so schillernde Person, wie man es sich nur wünschen kann.

      Hier leben eine Menge Künstler, von denen die meis­ten in der Coast Gallery ausstellen, ziemlich genau in der Mitte zwischen Nepenthe und Hot Springs. Wie überall sonst auch jobben die meisten der Künstler, um Essen und Miete bezahlen zu können. Andere, wie etwa Bennet Bradbury, fahren ein neues Cadillac-Ca­brio und wohnen in »angesagten« Ecken wie Coast­lands oder Partington Ridge.

      An jedem beliebigen Tag braucht man nur in den Dorfladen zu gehen und wird dort zum Beispiel drei Franzosen und zwei bärtige Griechen antreffen, die sich über die Vorzüge von Dada-Gedichten unterhalten – es kann aber gut sein, dass man schon am nächsten Tag überhaupt niemanden mehr trifft, außer den Viehzüchter aus der Umgebung, der irgendwas von den allgegenwärtigen Gefahren der Maul- und Klauenseuche in sich hineinmurmelt.

      Die lokalen Dichter übertreffen zahlenmäßig die Wild­schweine vor Ort bei weitem, der einzige aber, der einen gewissen Namen hat, ist Eric Barker – und der sieht viel zu sehr nach einem Farmer aus, als dass er bei den Touristen für Aufsehen sorgen könnte. Deshalb sieht in Big Sur auch fast jeder entweder wie ein Farmer oder wie ein Poet aus dem Walde aus. Emil White, der Verleger des Big Sur Guide, wird von den Leuten immer für einen Einsiedler oder einen Sex-Maniac gehalten; und Helmut Deetjan, dem das Big Sur Inn gehört, sieht viel eher wie ein Junkie aus als jene, die seit Jahren wirklich süchtig sind. Und hat man einmal Nicholas Roosevelt gesehen, dem Mann der Oyster Bay Roosevelts, wie er auf dem Highway entlang spaziert, könnte man denken, der ist ein Tramper, macht gleich deine Windschutzscheibe mit einem alten Taschentuch sauber und bittet um einen Vierteldollar. Die örtlichen Tunten lassen sich leicht identifizieren, ansonsten aber könnte fast jeder ein Nudist oder ein Verrückter sein – und manche sind es ja auch.

      Ob man sich in Big Sur umschaut oder wirklich dort lebt, macht einen großen Unterschied. Sich für ein paar Tage dem oberflächlichen Glamour hingeben kann jeder: herumhängen, sich einen antrinken, sich auf die Suche nach Orgien machen – hinter all dem aber verbirgt sich eine Lebensweise, die nur die wenigsten ertragen würden.

      Es hat nichts mehr mit Glamour zu tun, wenn ein unscheinbarer Typ aus der Stadt hierher kommt, um »einmal richtig abschalten zu können« – und der sich, keine zwei Wochen später, mit Wein zulaufen lässt und Amok läuft, weil es hier niemanden gibt, mit dem er reden könnte, und weil ihn die Stille um den Verstand bringt. Einsamkeit ist nichts Aufregendes, und Big Sur ist voll davon. Wenn man Abgeschiedenheit nicht aushält, kann einem das so Angst machen, dass man es nicht erträgt. Es gab Leute, die mich elendig verflucht haben, weil ich nicht blieb, um ihnen Gesellschaft zu leisten, und es gab Leute, die in meinem Haus zu Besuch waren und nicht mehr gehen wollten, weil sie die Vorstellung nicht aushielten, wieder alleine zu sein.

      Die Bevölkerung von Big Sur ist heute kleiner als um 1900 und etwa genauso groß wie 1945. Hunderte von Menschen haben hier seit dem Ende des Kriegs versucht, ein neues Leben zu beginnen, und Hunderte sind dabei gescheitert. Diejenigen aus den Städten, die hofften, sich einer fröhlichen Bande trinkfester, aus einer durchorganisierten Gesellschaft Geflüchteter anzuschließen, waren schnell enttäuscht. Die Geflüchteten findet man nicht so leicht, und mit ihnen zu trinken ist es noch weniger. Bald bekommt die Stille etwas Bedrohliches; die wuchtigen Schläge des Meeres wirken feindselig, nachts hört man die seltsamsten Geräusche. Neben Essen und Schlafen bleibt einem an manchen Tagen nichts weiter zu tun als zu seinem Briefkasten zu gehen und dem Postboten über den Weg zu laufen, der sechs Tage die Woche von Monterey mit einem VW-Bus herunterfährt und Briefe, Zeitungen, Lebensmittel und Bier dabei hat.

      Big Sur ist keine Instant-Kolonie und keine Touristenattraktion voller Souvenirs und Kunstkram. Man stolpert da nicht einfach rein, vergisst seine Probleme und macht sich mal eben locker. Ein gewaltiger Einsatz ist nötig, um sein Leben hier aus eigener Kraft abzusichern, und eine Menge verdammt harter Arbeit. Wer nur kommt, um sich irgendwo dranzuhängen oder durchgefüttert zu werden, wird sich noch wundern.

      In seinem Buch über Big Sur beschreibt Miller die Leute, die er traf, als er ankam. Einige, die von den Touristenströmen deprimiert waren, suchten noch verlassenere Orte auf – Mexiko, die nordwestliche Pazifikküste, griechische Inseln. Viele aber sind geblieben und leben noch genauso wie vor zehn Jahren:

      »Diese jungen Menschen, gewöhnlich in ihren späten Zwanzigern oder frühen Dreißigern … befassen sich nicht mehr damit, ein verderbliches System zu unterwandern, sondern wollen ihr eigenes Leben führen – am Rande der Gesellschaft. So ist es nur natürlich, dass Orte wie Big Sur eine besondere Anziehungskraft auf sie ausüben. Sie alle sind auf den unterschiedlichsten Wegen hierher gekommen, jeder aus einem persönlichen Grund, und jeder unterscheidet sich vom anderen wie eine Murmel von einem Würfel. Und alle sind sie ›Originale‹. Alle auf eine Art ›besonders‹, wenn man sie mit dem Durchschnitt vergleicht. Aus meiner Sicht sind es engagierte Leute, die guten Willens und sehr integer sind. Sie haben die Verhältnisse satt und sind angetreten, sich von Zwängen zu befreien und ihr eigenes Leben zu leben. Niemand von ihnen verlangt irgendetwas Phantastisches vom Leben außer dem Recht, nach der eigenen Fasson zu leben. Keiner gehört einer Partei, einer Doktrin, einem Kult oder einem Ismus an, doch wissen sie alle sehr genau, wie in diesen finsteren Zeiten eine andere Art von Leben möglich ist. Sie führen keine Kreuzzüge für ihre Ideen, setzen aber alles daran, sie umzusetzen. Über allem steht dabei – menschliche Würde. Manchmal ist das nicht so leicht, vor allem, wenn es um ›Details‹ geht, aber in echten Notsituationen funktioniert es immer. Nur wenn sie sich unterordnen sollen, stößt man in der Regel auf taube Ohren.«

      Es sind Expats, Leute, die aus allen Ecken der Welt kommen, um das gute Leben zu wagen. Es gibt aber noch andere, die auch dazugehören. Viehzüchter, deren Familien seit Generationen hier leben. Oder ausgemachte Bastarde, die alleine leben, weil man sie nirgendwo sonst haben will. Einige sind klassische Eigenbrötler, die hier gelandet sind, weil sich niemand um sie schert, solange sie nur ihr eigenes Ding machen. Und dann wären da noch Menschen, denen jedes Unrechtsbewusstsein abgeht, die keinerlei guten Willen haben, nichts hinbekommen, und bei denen man sich fragt, wozu sie überhaupt gut sind.

      Auf gewisse Weise verbindet Big Sur mehr mit New York und Paris als mit Monterey und San Francisco. Für die Schriftsteller und Fotografen, die in Big Sur ein paar Monate im Jahr verbringen, ist New York der Mittelpunkt der Welt – da sind die Verleger, da werden die entscheidenden Aufträge erteilt und die Schecks ausgestellt. Sind die Schecks erst einmal eingelöst, geht es weiter nach Paris. Denn das Motto heißt: In Bewegung bleiben, bis das Geld aufgebraucht ist – und dann wieder zurück nach Big Sur. In ihrem Denken ist San Francisco eine Bar, Monterey ein Lebensmittelgeschäft, und L.A. ein großer Zirkus, einige hundert Kilometer die Straße runter.

      Andere, vor allem Maler und Bildhauer, orientieren sich eher Richtung Norden nach Carmel, wo es zahlreiche Kunstgalerien, Werkstätten und Touristen mit dicker Brieftasche gibt.

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