Hunter S. Thompson

Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten


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Auge in Auge mit dem Amerikanischen Traum.

      1963: Meine Reaktion auf The Rum Diary fällt negativ aus, ich sage ihm, er solle es bleiben lassen. »Der Entschluss steht, ich schreibe es um«, antwortet er.

      1964: Sein Geld mit Journalismus zu verdienen erfüllt ihn nicht. »Wenn ich ein bisschen Glück habe, treibt es mich zurück in die Literatur.«

      1965: Er ist pleite und ohne Arbeit und gerade dabei, »mit einem Roman zu ringen … Literatur deprimiert mich nicht so wie Journalismus. Literatur ist härter, aber auch eine sehr viel menschlichere Arbeit.«

      1965: Seine Geschichte über Motorradbanden für The Nation zieht sechs Buchangebote von Verlegern nach sich: »Ich bin ganz hysterisch angesichts der Aussicht auf Geld … Das große Ding scheint mir momentan The Rum Diary zu sein. Wenn ich das Buch jetzt schon in Form gebracht hätte, könnte ich morgen 1.500 Dollar Vorschuss herausholen. Aber es ist leider noch nicht gut genug, um es schon zu verschicken.«

      1965: »Ich hätte den Journalismus aufgeben … mich mit allem, was ich bin, der Literatur hingeben sollen. Und wenn ich jemals zu etwas gut sein werde, glaube ich ernsthaft da­ran, dass es mit Literatur zu tun haben wird; es ist der einzi­ge Weg, bei dem ich meine Phantasie ausleben kann, meine Ansichten, Instinkte und all die ungreifbaren Dinge, die in meiner Art von Journalismus die Leute nervös machen.«

      Vermutlich markiert der vorangegangene Absatz einen Wendepunkt in Hunters Denken oder bedeutet sogar sein Eingeständnis, dass das, was er da versuchsweise und so energisch betrieb, alles andere als Journalismus war. Es war im Jahr 1970, als mit der Veröffentlichung von »Das Kentucky Derby ist dekadent und degeneriert« in Scanlan’s Monthly sein Gonzo-Journalismus vollständig hervortrat. War das noch Journalismus? Na gut, der Text erschien in einer Zeitung. Aber war das nicht eindeutig Literatur? Es war nicht Hemingway, der in seiner Lieblingsstadt den Stieren hinterherläuft – aber es war Hunter, der in seinem ganz eigenen Ton die Pferde zum Laufen brachte. Es ist eine Short Story – und das beste Stück Literatur, das er je geschrieben hat.

      Bei unseren ersten Marathon-Sitzungen ging es immer wieder um Schriftsteller, die eine unverwechselbare Stimme haben: Wie die Energie ihrer Sprache sie von anderen absetzte; wie es ihnen gelang, dass ihre Story – nicht die Idee – über allem stand. Mit den Ideen verhielt es sich so: Entweder nahmen sie Gestalt an, indem sie Erzählung wurden, oder sie waren wertlos.

      Gespräche dieser Art gehören für jeden Schriftsteller zur Grundausbildung; wenn auch die wirkliche Herausforderung darin besteht, die gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen. Hunter identifizierte sich mit literarischen Außenseitern, mit Salingers Holden Caulfield oder mit Donleavys Ginger Man. Von Mencken schaute er sich ab, bissig zu sein, gleichzeitig verehrte er aber auch Algren, Fitzgerald und West; Dylan Thomas und Faulkner lernte er auswendig. Ich erinnere mich, wie er in den späten Sechzigern meinte, das Wichtigste, was er mit dem Schreiben erreichen wolle, sei es, »neue Formen« von Literatur hervorzubringen.

      Die Derby-Story war es nun, die ihm den Weg zur großen Goldader aufgezeigt hatte. Es folgten Aufträge von Playboy, The New York Times Magazine, Sports Illustrated, Rolling Stone, Esquire usw. Hunter hatte entdeckt, dass man mit der Art des Schreibens, die man Journalismus nennt, erstaunlich viel Geld verdienen konnte, wo es doch zugleich ein eigenes literarisches Werk war, das dabei entstand.

      1971 lagerte das Manuskript von The Rum Diary noch im Keller, und Hunter schrieb eines der komischsten und originellsten Bücher der letzten drei Jahrzehnte, Angst und Schrecken in Las Vegas; es war sein Tribut an den Drogenwahnsinn, der seinen wachsenden Ruhm begründete und einen verrückten Drogentypen in eine ikonische Comicfigur verwandelte – einen Gonzo-Journalisten mit der Strahlkraft eines Rockstars.

      Sein Buch mit dem Titel Angst und Schrecken im Wahlkampf über den Präsidentschaftswahlkampf, das im Rolling Stone vorab als Serie erschienen war, veränderte sein Image: giftig und scharfzüngig, bösartig und mit Witz, politisch und klug. Auch dieses Buch ging weit über Journalismus hinaus: Es verdankte sich der Kraft der Imagination genauso wie politischem Durchblick. Damit fiel es, zumindest in Teilen, in die gleiche Kategorie wie das Derby-Stück und die Las-Vegas-Geschichte: Fiktion.

      Dass Hunter sich weiterhin als Journalist bezeichnen ließ, ist einer der großen Tiefstapeleien unserer Epoche. Er selbst unternahm einen halbherzigen Versuch, sich zu dem Trick zu bekennen, als er in Die Große Haifischjagd Anmerkungen zur Entstehung des Las-Vegas-Buchs machte. Gonzo, schrieb er, »ist eine Form der ›Reportage‹ und baut auf dem Gedanken William Faulkners auf, dass die beste Fiktion sehr viel wahrer ist als jede Art von Journalismus – und die besten Journalisten haben das immer gewusst.« Weiter führte er aus, dass es sich bei Las Vegas um gescheiterten Gonzo handele, »in seinem Scheitern so komplex, dass ich das Gefühl habe, das Risiko auf mich nehmen und es so bezeichnen zu können: als ersten vorläufigen Versuch in jene Richtung, mit der der New Journalism, wie Tom Wolfe es nannte, seit fast einem Jahrzehnt flirtet.«

      Hunters Erklärung, warum das Las-Vegas-Buch ein gescheiterter Versuch gewesen sei, würde zu weit führen und soll hier keine Rolle spielen. Wichtiger ist, wenn er über das Buch sagt: »Als echter Gonzo-Journalismus funktioniert es kein bisschen – und selbst wenn, würde ich das kaum zugeben. Nur ein verdammter Wahnsinniger würde eine Geschichte wie diese schreiben – und dann behaupten, sie sei wahr.«

      Das Buch war weniger dokumentierter, sondern vielmehr imaginierter Wahnsinn: kurz gesagt – ein Roman.

      Aber wer sollte ihm das glauben?

      Zeitungen und Buchverlage haben sein Werk einer leichtgläubigen Öffentlichkeit seit jeher als Journalismus ausgegeben, wo es doch in Wahrheit nichts als ein Haufen Lügen ist – die klassische Definition also von Fiktion.

      Ich hoffe, wir alle haben unsere Lektion gelernt.

      Als wir uns zuletzt in der Tosca Bar in San Francisco unterhielten, checkte Hunter, der zu dem Zeitpunkt jeder Arbeit aus dem Weg ging, unter dem Namen Ben Franklin in einem Hotel ein. Mir fiel gleich auf, dass er sehr viel rauchte und trank. Ich riet ihm, seine Süchte zu mäßigen und seinem sechzigsten Lebensjahr möglichst entspannt entgegenzugehen – nur so würde er mit seinem Werk vorankommen.

      »Ich für meinen Teil trinke höchstens mal ein Glas Rotwein«, sagte ich.

      Er gestand ein, dass ich wohl recht hätte und drückte seine Zigarette aus.

      »Gott wird gut zu uns sein«, sagte er und saugte mit einem Röhrchen eine ominöse Substanz ein.

      »Das einzige, was zählt, ist das Werk«, sagte ich.

      »Ich weiß«, sagte er. »Das ist der Grund, warum ich einen Roman schreibe. Vielleicht sogar zwei.«

      »Oh, ja, zwei Romane«, sagte ich. »War es nicht das, wovon Du mir damals in San Juan schon erzählt hast?«

      Averill Park, New York

      23. Oktober 1996

       Vorwort des Herausgebers

      Von Douglas Brinkley

       Du kannst auf die Inspiration nicht

       einfach warten. Du musst ihr mit

       der Keule hinterherjagen.

      Jack London

      Am 22. November 1963, in der Mittagszeit, hörte Hunter S. Thompson die Nachricht von der Ermordung des Präsidenten John F. Kennedy; seine erste Reaktion bestand darin, sich vor seine Schreibmaschine zu setzen. In einem Brief an seinen Freund William Kennedy (der für den Roman Ironweed zwanzig Jahre später den Pulitzer-Preis bekommen sollte) machte er seinem Ärger Luft. »Es gibt kein menschliches Wesen im Umkreis von fünfhundert Meilen, mit dem ich irgendetwas besprechen könnte – am wenigsten die Angst und den Schrecken, der nach dem heutigen Mord über mich gekommen ist«, schrieb Thompson zuhause in Woody Creek, Colorado. »Von jetzt an gelten nur noch miese Tricks. Diese wild gewordenen