sich nochmals, setzte dann mit einem Schwunge und indem er das Haupt zurückwarf, seinen grauen Hut auf und schritt mit dem Konsul davon …
»Ein angenehmer Mann!« wiederholte der letztere, als er zu seiner Familie zurückkehrte und seinen Platz wieder einnahm.
»Ich finde ihn albern«, erlaubte sich Tony zu bemerken und zwar mit Nachdruck.
»Tony! Mein Gott! Was für ein Urteil!« rief die Konsulin ein wenig entrüstet. »Ein so christlicher junger Mann!«
»Ein so wohlerzogener und weltläufiger Mann!« ergänzte der Konsul. »Du weißt nicht, was du sagst.« – Es geschah manchmal, daß die Eltern in dieser Weise aus Höflichkeit den Standpunkt wechselten; dann waren sie desto sicherer, einig zu sein.
Christian zog seine große Nase in Falten und sagte:
»Wie wichtig er immer spricht!… Man plaudert! Wir plauderten gar nicht. Und Klatschrosen putzen ungemein! Manchmal tut er, als ob er ganz laut zu sich selbst spräche. Ich störe – ich muß um Verzeihung bitten!… Ich habe niemals schöneres Haar gesehen!…« Und Christian ahmte Herrn Grünlich so vortrefflich nach, daß selbst der Konsul lachen mußte.
»Ja, er macht sich allzu wichtig!« fing Tony wieder an. »Er sprach beständig von sich selbst! Sein Geschäft ist rege, er liebt die Natur, er bevorzugt die und die Namen, er heißt Bendix … Was geht uns das an, möchte ich wissen … Er sagt alles nur, um sich herauszustreichen!« rief sie plötzlich ganz wütend. »Er sagte dir, Mama, und dir, Papa, nur, was ihr gern hört, um sich bei euch einzuschmeicheln!«
»Das ist kein Vorwurf, Tony!« sagte der Konsul streng. »Man befindet sich in fremder Gesellschaft, zeigt sich von seiner besten Seite, setzt seine Worte und sucht zu gefallen – das ist klar …«
»Ich finde, er ist ein guter Mensch«, sagte Klothilde sanft und gedehnt, obgleich sie die einzige Person war, um die Herr Grünlich sich nicht im geringsten bekümmert hatte. Thomas enthielt sich des Urteils.
»Genug«, beschloß der Konsul, »er ist ein christlicher, tüchtiger, tätiger und feingebildeter Mann, und du, Tony, ein großes Mädchen von 18 oder nächstens 19 Jahren, gegen das er sich so artig und galant betragen hat, du solltest deine Tadelsucht bezähmen. Wir alle sind schwache Menschen, und du bist, verzeih mir, wahrlich die letzte, die einen Stein aufheben dürfte … Tom, an die Arbeit!«
Tony aber murmelte vor sich hin: »Ein goldgelber Backenbart!« und dabei zog sie die Brauen zusammen, wie sie es schon mehrere Male getan hatte.
Zweites Kapitel
»Wie aufrichtig betrübt war ich, mein Fräulein, Sie zu verfehlen!« sprach Herr Grünlich einige Tage später, als Tony, die von einem Ausgang zurückkehrte, an der Ecke der Breiten- und Mengstraße mit ihm zusammentraf. »Ich erlaubte mir, Ihrer Frau Mama meine Aufwartung zu machen, und ich vermißte Sie schmerzlich … Wie entzückt aber bin ich, Sie nun doch noch zu treffen!«
Fräulein Buddenbrook war stehengeblieben, da Herr Grünlich zu sprechen begann; aber ihre Augen, die sie halb geschlossen hatte und die plötzlich dunkel wurden, richteten sich nicht höher als auf Herrn Grünlichs Brust, und um ihren Mund lag das spöttische und vollkommen unbarmherzige Lächeln, mit dem ein junges Mädchen einen Mann mißt und verwirft … Ihre Lippen bewegten sich – was sollte sie antworten? Ha! es mußte ein Wort sein, das diesen Bendix Grünlich ein für allemal zurückschleuderte, vernichtete … aber es mußte ein gewandtes, witziges, schlagendes Wort sein, das ihn zugleich spitzig verwundete und ihm imponierte …
»Das ist nicht gegenseitig!« sagte sie, immer den Blick auf Herrn Grünlichs Brust geheftet; und nachdem sie diesen fein vergifteten Pfeil abgeschossen, ließ sie ihn stehen, legte den Kopf zurück und ging rot vor Stolz über ihre sarkastische Redegewandtheit nach Hause, woselbst sie erfuhr, daß Herr Grünlich zum nächsten Sonntag auf einen Kalbsbraten gebeten sei …
Und er kam. Er kam in einem nicht ganz neumodischen, aber feinen, glockenförmigen und faltigen Gehrock, der ihm einen Anstrich von Ernst und Solidität verlieh, – rosig übrigens und lächelnd, das spärliche Haar sorgfältig gescheitelt und mit duftig frisierten Favoris. Er aß Muschelragout, Juliennesuppe, gebackene Seezungen, Kalbsbraten mit Rahmkartoffeln und Blumenkohl, Marasquino-Pudding und Pumpernickel mit Roquefort und fand bei jedem Gerichte einen neuen Lobspruch, den er mit Delikatesse vorzubringen verstand. Er hob zum Beispiel seinen Dessertlöffel empor, blickte eine Statue der Tapete an und sprach laut zu sich selbst: »Gott verzeihe mir, ich kann nicht anders; ich habe ein großes Stück genossen, aber dieser Pudding ist gar zu prächtig gelungen; ich muß die gütige Wirtin noch um ein Stückchen ersuchen!« Worauf er der Konsulin schalkhaft zublinzelte. Er sprach mit dem Konsul über Geschäfte und Politik, wobei er ernste und tüchtige Grundsätze an den Tag legte, er plauderte mit der Konsulin über Theater, Gesellschaften und Toiletten; er hatte auch für Tom, Christian und die arme Klothilde, ja selbst für die kleine Klara und Mamsell Jungmann liebenswürdige Worte … Tony verhielt sich schweigsam, und er seinerseits unternahm es nicht, sich ihr zu nähern, sondern betrachtete sie nur dann und wann mit seitwärts geneigtem Kopfe und einem Blick, in dem sowohl Betrübnis wie Ermunterung lag.
Als Herr Grünlich sich an diesem Abend verabschiedete, hatte er den Eindruck verstärkt, den sein erster Besuch hervorgebracht. »Ein vollkommen erzogener Mann«, sagte die Konsulin. »Ein christlicher und achtbarer Mensch«, sagte der Konsul. Christian konnte seine Bewegungen und Sprache nun noch besser nachahmen, und Tony sagte mit finsteren Brauen gute Nacht, denn sie ahnte undeutlich, daß sie diesen Herrn, der sich mit so ungewöhnlicher Schnelligkeit die Herzen ihrer Eltern erobert hatte, nicht zum letztenmal gesehen habe.
In der Tat, sie fand Herrn Grünlich, wenn sie nachmittags von einem Besuche, einer Mädchengesellschaft zurückkehrte, eingenistet im Landschaftszimmer, woselbst er der Konsulin aus Walter Scotts »Waverley« vorlas – und zwar mit mustergültiger Aussprache, denn die Reisen im Dienste seines regen Geschäftes hatten ihn, wie er berichtete, auch nach England geführt. Tony setzte sich seitab mit einem anderen Buche, und Herr Grünlich fragte mit weicher Stimme: »Es entspricht wohl nicht Ihrem Geschmacke, mein Fräulein, was ich lese?« Worauf sie mit zurückgeworfenem Kopf etwas recht spitzig Sarkastisches erwiderte, wie zum Beispiel: »Nicht im geringsten!«
Aber er ließ sich nicht stören, er begann von seinen zu früh verstorbenen Eltern zu erzählen und berichtete von seinem Vater, der ein Prediger, ein Pastor, ein höchst christlicher und dabei in ebenso hohem Grade weltläufiger Mann gewesen war … Dann jedoch, ohne daß Tony seiner Abschiedsvisite beigewohnt hätte, war Herr Grünlich nach Hamburg abgereist. »Ida!« sagte sie zu Mamsell Jungmann, an der sie eine vertraute Freundin besaß. »Der Mensch ist fort!« Ida Jungmann aber antwortete: »Kindchen, wirst sehen …«
Acht Tage später ereignete sich jene Szene im Frühstückszimmer … Tony kam um neun Uhr herunter und war erstaunt, ihren Vater noch neben der Konsulin am Kaffeetische zu finden. Nachdem sie sich die Stirn hatte küssen lassen, setzte sie sich frisch, hungrig und mit schlafroten Augen an ihren Platz, nahm Zucker und Butter und bediente sich mit grünem Kräuterkäse.
»Wie hübsch, Papa, daß ich dich einmal noch vorfinde!« sagte sie, während sie mit der Serviette ihr heißes Ei erfaßte und es mit dem Teelöffel öffnete.
»Ich habe heute auf unsere Langschläferin gewartet«, sagte der Konsul, der eine Zigarre rauchte und beharrlich mit dem zusammengefalteten Zeitungsblatt leicht auf den Tisch schlug. Die Konsulin ihrerseits beendete langsam und mit graziösen Bewegungen ihr Frühstück und lehnte sich dann ins Sofa zurück.
»Thilda ist schon in der Küche tätig«, fuhr der Konsul bedeutsam fort, »und ich wäre ebenfalls bei meiner Arbeit, wenn deine Mutter und ich nicht in einer ernsthaften Angelegenheit mit unserem Töchterchen zu sprechen hätten.«
Tony, den Mund voll Butterbrot, blickte ihrem Vater und dann ihrer Mutter