Thomas Mann

Buddenbrooks


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ein Zuspruch könnte willkommen sein; der Mann liegt mit der Kopfrose, und Madame wird mit der Einquartierung zu schaffen haben.«

      »Da, im nämlichen Moment, wen sehe ich mir entgegenkommen? Unsere allverehrte Madame Buddenbrook. Allein in welcher Verfassung? Sie eilt ohne Hut durch den Regen, sie hat kaum einen Schal um die Schultern geworfen, sie stürzt mehr als sie geht, und ihre coiffure ist eine komplette Wirrnis … Nein, das ist wahr, Madame! es war kaum noch die Rede von einer coiffure.«

      »›Welch angenehme surprise!‹ sage ich und erlaube mir, sie, die mich gar nicht sieht, am Ärmel zu halten, denn mir schwant nichts Gutes … ›Wohin doch so schnell, meine Liebe?‹ Sie bemerkt mich, sie blickt mich an, sie stößt hervor: ›Sind Sie's … leben Sie wohl! Alles ist zu Ende! Ich gehe hinunter in die Trave!‹«

      »›Behüte!‹ sage ich und fühle, wie ich weiß werde. ›Das ist der Ort nicht für Sie, meine Liebe! Was ist aber passiert?‹ Und ich halte sie so fest, als der Respekt es zuläßt. ›Was passiert ist?‹ ruft sie und zittert. ›Sie sind über dem Silberzeug, Wunderlich! Das ist passiert! Und Jean liegt mit der Kopfrose und kann mir nicht helfen! Und er könnte auch nicht helfen, wäre er auf den Beinen! Sie stehlen meine Löffel, meine silbernen Löffel, das ist passiert, Wunderlich, und ich gehe in die Trave!‹«

      »Nun, ich halte unsere Freundin, ich sage was man sagt in solchen Fällen, ›Courage‹, sage ich, ›Liebste!‹ und ›Alles wird gut werden!‹ und ›Wir wollen reden mit den Leuten, fassen Sie sich, ich beschwöre Sie, und gehen wir!‹ Und ich führe sie die Straße hinauf in ihr Haus. Im Eßzimmer droben finden wir die Miliz, wie Madame sie verlassen, an die zwanzig Mann hoch, die sich mit der großen Truhe abgeben, wo das Silberzeug liegt.«

      »›Mit wem von Ihnen kann ich Rücksprache nehmen‹, frage ich höflich, ›meine Herren?‹ Nun, man fängt an zu lachen und ruft: ›Mit uns allen, Papa!‹ Dann aber tritt einer vor und präsentiert sich, ein Mensch, der lang ist wie ein Baum, mit einem schwarz gewichsten Schnauzbart und großen roten Händen, die aus den betreßten Aufschlägen heraussehen. ›Lenoir‹, sagt er und salutiert mit der Linken, denn in der Rechten hält er ein Bündel von fünf oder sechs silbernen Löffeln, ›Lenoir, Sergeant. Was wünscht der Herr?‹«

      »›Herr Offizier!‹ sage ich und ziele auf den point d'honneur. ›Sollte die Beschäftigung mit diesen Dingen sich mit Ihrer glänzenden Charge vereinbaren?… Die Stadt hat sich dem Kaiser nicht verschlossen …‹ – ›Was wollen Sie?‹ antwortet er. ›Das ist der Krieg! Die Leute benötigen dergleichen Geschirr …‹«

      »›Sie sollten Rücksicht nehmen‹, unterbrach ich ihn, denn mir kommt ein Gedanke. ›Diese Dame‹, sage ich, denn was sagt man nicht in solcher Lage, ›die Herrin des Hauses, sie ist nicht etwa eine Deutsche, sie ist beinahe Ihre Landsmännin, sie ist eine Französin …‹ – ›Wie, eine Französin?‹ wiederholt er. Und was glauben Sie, daß dieser lange Haudegen hinzufügt? – ›Eine Emigrantin also?‹ sagt er. ›Aber dann ist sie eine Feindin der Philosophie!‹«

      »Ich bin baff, aber ich verschlucke mein Lachen. ›Sie sind‹, sage ich, ›ein Mann von Kopf, wie ich sehe. Ich wiederhole, daß es mir Ihrer nicht würdig scheint, sich mit diesen Dingen zu befassen!‹ – Er schweigt einen Augenblick; dann aber, plötzlich, wird er rot, er wirft seine sechs Löffel in die Truhe und ruft: ›Aber wer sagt Ihnen denn, daß ich etwas anderes mit diesen Dingen beabsichtigte, als sie ein wenig zu betrachten?! Hübsche Sachen, das! Wenn einer oder der andere der Leute ein Stück als Souvenir mit sich nehmen sollte …‹«

      »Nun, sie haben immerhin noch genug Souvenirs mit sich genommen, da half keine Berufung auf menschliche oder göttliche Gerechtigkeit … Sie kannten wohl keinen anderen Gott, als diesen fürchterlichen kleinen Menschen …«

       Inhaltsverzeichnis

      »Sie haben ihn gesehen, Herr Pastor?« –

      Die Teller wurden aufs neue gewechselt. Ein kolossaler, ziegelroter, panierter Schinken erschien, geräuchert, gekocht, nebst brauner, säuerlicher Chalottensauce, und solchen Mengen von Gemüsen, daß alle aus einer einzigen Schüssel sich hätten sättigen können. Lebrecht Kröger übernahm das Tranchieren. Die Ellenbogen in legerer Weise erhoben, die langen Zeigefinger gerade auf den Rücken von Messer und Gabel ausgestreckt, schnitt er mit Bedacht die saftigen Stücke hinunter. Auch das Meisterwerk der Konsulin Buddenbrook, der »Russische Topf«, ein prickelnd und spirituös schmeckendes Gemisch konservierter Früchte, wurde gereicht. –

      Nein, Pastor Wunderlich bedauerte, Bonaparte niemals zu Gesichte bekommen zu haben. Der alte Buddenbrook aber sowohl wie Jean Jacques Hoffstede hatten ihn von Angesicht zu Angesicht gesehen; ersterer zu Paris, unmittelbar vor der russischen Kampagne, gelegentlich einer Parade im Schloßhofe der Tuilerien, letzterer zu Danzig …

      »Gott, nein, er sah nicht gemütlich aus«, sagte er, indem er einen Bissen von Schinken, Rosenkohl und Kartoffel, den er auf seiner Gabel komponiert, mit erhobenen Brauen in den Mund schob. »Übrigens soll er sich ganz heiter benommen haben, in Danzig. Man erzählte sich damals einen Scherz … Er hasardierte den ganzen Tag mit den Deutschen, und zwar nicht eben harmlos, abends aber spielte er mit seinen Generälen. ›N'est-ce pas, Rapp‹, sagte er, und griff eine Handvoll Gold vom Tische, ›les Allemands aiment beaucoup ces petits Napoléons?‹ – ›Oui, Sire, plus que le Grand!‹ antwortete Rapp …«

      In der allgemeinen Heiterkeit, die laut wurde – denn Hoffstede hatte die Anekdote hübsch erzählt und sogar ein wenig das Mienenspiel des Kaisers markiert –, sagte der alte Buddenbrook:

      »Na, ungescherzt, allen Respekt übrigens vor seiner persönlichen Großheit … Was für eine Natur!«

      Der Konsul schüttelte ernsthaft den Kopf.

      »Nein, nein, wir Jüngeren verstehen nicht mehr die Verehrungswürdigkeit des Mannes, der den Herzog von Enghien ermordete, der in Ägypten die achthundert Gefangenen niedermetzelte …«

      »Das alles ist möglicherweise übertrieben und gefälscht«, sagte Pastor Wunderlich. »Der Herzog mag ein leichtsinniger und aufrührerischer Herr gewesen sein, und was die Gefangenen betrifft, so war ihre Exekution wahrscheinlich der wohlerwogene und notwendige Beschluß eines korrekten Kriegsrates …« Und er erzählte von einem Buche, das vor einigen Jahren erschienen war, und das er gelesen hatte, das Werk eines Sekretärs des Kaisers, das volle Aufmerksamkeit verdiene …

      »Gleichviel«, beharrte der Konsul, indem er eine Kerze putzte, die im Armleuchter vor ihm flackerte. »Ich begreife es nicht, ich begreife nicht die Bewunderung für diesen Unmenschen! Als christlicher Mann, als Mensch von religiösem Empfinden finde ich in meinem Herzen keinen Raum für ein solches Gefühl.«

      Sein Gesicht hatte einen stillen und schwärmerischen Ausdruck angenommen, ja, er hatte sogar den Kopf ein wenig auf die Seite gelegt – während es wahrhaftig aussah, als ob sein Vater und Pastor Wunderlich einander ganz leise zulächelten.

      »Ja, ja«, schmunzelte Johann Buddenbrook, »aber die kleinen Napoléons waren nicht übel, was? Mein Sohn schwärmt mehr für Louis Philipp«, fügte er hinzu.

      »Schwärmt?« wiederholte Jean Jacques Hoffstede ein bißchen mokant … »Eine kuriose Zusammenstellung! Philipp Egalité und schwärmen …«

      »Nun, mich dünkt, daß wir von der Juli-Monarchie bei Gott eine Menge zu lernen haben …« Der Konsul sprach ernst und eifrig. »Das freundliche und hilfreiche Verhältnis des französischen Konstitutionalismus zu den neuen praktischen Idealen und Interessen der Zeit … ist etwas so überaus Dankenswertes …«

      »Praktische Ideale … na, ja …« Der alte Buddenbrook spielte während einer Pause, die er seinen Kinnladen gönnte, mit seiner goldenen Dose. »Praktische Ideale … ne, ich bin da gar nich für!« Er verfiel vor Verdruß in den Dialekt. »Da schießen nun die gewerblichen Anstalten